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Strategien gegen FemizideWas wir nicht mehr hören wollen

Carolina Schwarz
Kommentar von Carolina Schwarz

Jede Frau bekommt Ratschläge, wie sie in der feindlichen Realität ihre Überlebenschancen erhöhen kann. Dabei müssen wir die Realität selbst verändern.

Keine offenen Getränke in der Disko, rät nicht nur die Oma Foto: Pond5/imago

A ls ich noch jünger war, hat meine Oma mich gewarnt, keine offenen Getränke in der Disko zu bestellen. Vermutlich hatte sie zuvor einen Beitrag über K.O.-Tropfen im Fernsehen gesehen. „Trinkt nur Cola aus Flaschen“, sagte sie zu mir und meiner Cousine. Neben dem Tipp, nur Getränke in geschlossenen Flaschen zu bestellen, gibt es noch zig weitere, wie Frauen sich im öffentlichen Raum schützen sollen: Die Haare geschlossen halten, lieber den längeren statt den kürzeren Rock anziehen. Beim Nachhauseweg den Schlüssel in die geballte Faust nehmen, besser Taxi statt U-Bahn fahren und am besten in Begleitung nach Hause gehen. Und grundsätzlich sich von bestimmten Orten und Männern lieber fernhalten.

Fast jedes Mädchen und jede Frau wird diese Ratschläge schon einmal gehört haben. Und obwohl sie sicherlich das ein oder andere mal eine Person geschützt haben, sind sie falsch. Denn diese Tipps ignorieren, dass die meiste geschlechtsspezifische Gewalt im eigenen Zuhause durch den (Ex-)Partner verübt wird. Und sie laden die Verantwortung bei den potentiell Betroffenen ab anstatt bei den Tätern.

Mich hat damals in erster Linie amüsiert, dass meine Oma denkt, dass wir in der Disko Cola trinken. Heute macht es mich vor allem wütend, dass meine Oma sich Sorgen um ihre Enkelinnen machen muss und die Sicherheit von Mädchen und Frauen noch immer eine Privat- statt eine Staatsangelegenheit ist.

Doch der Staat nimmt seine Verantwortung bislang nicht wahr. Wenige Tage vor dem 8. März, wenn Politiker_innen und gesellschaftliche Akteur_innen ihre feministische Ader entdecken, steht das Thema geschlechtsspezifische Gewalt für kurze Zeit wieder auf der Agenda. Da heißt es dann: Gewalt gegen Frauen geht uns alle an. Sie geht durch alle Schichten und kann jede treffen. Und es stimmt, dass für jede Frau das Risiko im öffentlichen wie im privaten Leben höher ist. Was diese Warnungen unterschlagen, ist aber: Gewalt trifft nicht alle Frauen gleich – und nicht alle haben die gleichen Möglichkeiten, sich vor ihr zu schützen.

Zum Einzelfall gemacht

Denn ein Taxi zu nehmen, kostet mehr Geld, als U-Bahn zu fahren. Und sich im Notfall, wenn das Zuhause oder der Arbeitsplatz zu gefährlich werden, eine eigene Wohnung oder einen neuen Job zu suchen, bedarf bestimmter Privilegien. Doch wie sicher das Leben einer Frau ist, darf nicht von ihrem Kontostand abhängen. Gerade deswegen ist es wichtig, die Sicherheit von Frauen zur Staatssache zu machen.

Das hat sich auch vor einer guten Woche gezeigt, als ein Mann in einem Wiener Bordell drei Frauen mit Stichverletzungen tötete. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass es sich bei den Opfern um Prostituierte mit chinesischer Staatsangehörigkeit handelt. Auf Anfrage der taz kann die Wiener Staatsanwaltschaft keine Auskünfte zum Motiv des Täters geben. Doch dass diese Frauen – mit ausländischer Staatsbürgerschaft und in einem Bordell arbeitend – weniger Möglichkeiten haben als andere, um sich vor Gewalt zu schützen, ist nicht nur statistisch so, sondern in diesem Fall zu einer traurigen Gewissheit geworden.

Schon eine Woche später droht der Mord als dramatischer Einzelfall abgestempelt zu werden und in Vergessenheit zu geraten. Drei getötete Frauen sind ein paar wenigen Politiker_innen in Österreich ein kurzes Entsetzen wert, doch dann geht es weiter im Tagesgeschäft. Dabei handelt es sich bei diesen Femiziden, also wenn Frauen aufgrund ihres Geschlechtes ermordet werden, nicht um traurige Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem, für das es dringend politische Lösungen braucht.

Diese liegen dabei schon lange auf dem Tisch: Intensive Täterarbeit, um die Gewalt bereits präventiv zu verhindern. Kampf gegen Frauenarmut und für bezahlbaren Wohnraum, um die Situation langfristig zu lösen. Sowie runde Tische mit Expert_innen und ausreichend Schutzräume, um im Notfall schnell und sensibel handeln zu können. Die Gewaltschutzkonzepte sind also längst da, es fehlt schlicht der politische Wille, sie umzusetzen. Und das nicht nur in Österreich – auch Deutschland vernachlässigt den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt sträflich, obwohl beide Länder laut Istanbul-Konvention verpflichtet sind, mehr zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen zu tun.

Wie es besser gehen kann, zeigt Spanien. Dort wurde 2004 zum Schutz von Frauen ein eigenes Gesetz verabschiedet und ein paar Jahre später der Kampf gegen Femizide zum Staatsauftrag gemacht. Mit Reformen auf institutioneller Ebene – in der Gesetzgebung, auf den Polizeibehörden und bei den Staatsanwaltschaften – ging auch ein Wandel auf gesellschaftlicher Ebene einher. Und obwohl auch Spanien noch lange kein feministisches Paradies ist, zeigt der Kampf erste positive Wirkungen.

Anstatt am 8. März also mit leeren Worthülsen um sich zu werfen, sollten Politiker_innen in Österreich, Deutschland und andernorts sich ihrer Verantwortung bewusst werden und mehr in den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen investieren. Damit es irgendwann keine Frage der Sicherheit, sondern nur noch des Geschmacks ist, ob ich eine Flasche Cola oder ein Getränk im Glas bestelle.

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Carolina Schwarz
Ressortleiterin taz zwei
Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.