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Netanjahu und die ZweistaatenlösungTotaler Sieg über den Frieden

Gastkommentar von Michael B. Elm

Netanjahu lehnt eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten ab. Darin ist er sich mit der Hamas einig – und untergräbt jede Hoffnung auf ein Ende der Gewalt.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bei einer Pressekonferenz im Oktober 2023 in Tel Aviv, Israel Foto: Abir Sultan/ap

D as rechte und rechtsextreme Lager unter Premierminister Netanjahu hat sich entschieden, in der Frage nach einer politischen und regionalen Nachkriegsordnung auf Konfrontation mit dem Westen zu setzen. Netanjahu wird nicht müde, die Formel vom „totalen Sieg“ über die Hamas auszugeben, während die Militärführung längst klargemacht hat, dass es diesen nicht geben wird.

Die Strategie ist, die Regierungskoalition zusammenzuhalten und darauf zu setzen, dass die internationale Gemeinschaft bei der Durchsetzung von Kompromisslösungen scheitern wird. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Letzte Woche gelang die Verabschiedung einer Regierungserklärung, die sich gegen jegliche „unilaterale Anerkennung“ eines palästinensischen Staates aussprach, wie sie von Großbritannien und den USA diskutiert wird. Netanjahu hat es dabei mit 99 von 120 Knesset-Stimmen geschafft, nahezu die gesamte Opposition ins Boot zu holen. Dem Meister der politischen Ränkespiele scheint es gelungen, das Blatt zu wenden.

Michael B. Elm

ist Research Fellow am Minerva Institute für deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv und arbeitet an einem Projekt zu „The State of Democracy in Israel and Palestine“.

Dabei ist allen Israelis bekannt, dass Netanjahu mit seinem Versuch der Spaltung der palästinensischen Nationalbewegung tatsächlich zu deren Stärkung beitrug, indem er etwa finanzielle Zuwendungen aus Katar an die Hamas gestattete. Anders als die Führungspersönlichkeiten aus den Sicherheitsapparaten und im Militär weist er jedoch jede politische Verantwortung zurück. Es lohnt sich, einen Blick auf den Etappensieg in der Knesset zu werfen, da dieser die Konfliktlinien zwischen der israelischen Mehrheit und der Wahrnehmung der internationalen Gemeinschaft offenbart.

Die Regierungserklärung stellt die Aussicht auf einen palästinensischen Staat als Belohnung für den Terror dar, welche jedwedes zukünftiges Friedensabkommen verhindere. So als ob es bei dem Massaker der Hamas um einen palästinensischen Staat neben dem israelischen gegangen wäre. Letzteres ist völliger Unsinn, was im Grunde auch alle Beteiligten wissen. Die Hamas will die Errichtung eines islamischen Gottesstaates und die Vernichtung Israels. Sie ist sich in der Ablehnung der Zweistaatenlösung mit dem rechten Lager israelischer Politik einig.

Zwei Geschichtserzählungen

Was sich in der unterschiedlichen Auslegung des Massakers vom 7. Oktober zeigt, ist die Etablierung einer vollkommen unterschiedlichen Geschichtserzählung in Israel und international. Während das Massaker in breiten Teilen der jüdisch-israelischen Bevölkerung als ein Vorbote dessen gesehen wird, was einen erwartet, wenn man die Kontrolle an eine palästinensische Verwaltung übergibt, herrscht international die Einschätzung vor, dass die Gewaltspirale ohne eine Aussicht auf nationale Selbstbestimmung der Palästinenser nicht zu beenden ist. Die Rückkehr der Zweistaatenlösung in die Diplomatie des Nahen Ostens ist der politische Ausdruck dieser unterschiedlichen Auffassungen.

Netanjahus Nachkriegsplan […] gleicht einer abgespeckten Version der Besatzungspolitik aus dem Westjordanland

Netanjahu versucht, das Trauma der israelischen Bevölkerung für sein politisches Überleben einzuspannen. Auch die parlamentarische Opposition vermag es nicht, sich dem zu entziehen. Einerseits teilen breite Teile davon die Einschätzung der Gefahren, die von einem palästinensischen Staat ausgehen, und andererseits befürchtet man, die Wählergunst zu verlieren. Die allwöchentlich in den Straßen von Tel Aviv und anderen Städten zu vernehmenden wütenden Rufe à la „Du bist der Kopf, du bist schuldig“ finden keine Übersetzung ins politische System.

Gaza als Westbank 2.0

Netanjahus Nachkriegsplan von vergangenem Wochenende ist sicherlich keine Ankündigung einer historischen Wende. Vielmehr wird mit dem Vorschlag einer zeitlich unbegrenzten militärischen Kontrolle, der Einrichtung von Pufferzonen, einer antiterroristischen „Reeducation“ und einer nicht näher spezifizierten Zivilverwaltung ein Szenario erkennbar, das als abgespeckte Besatzungspolitik aus dem Westjordanland bereits bekannt ist.

Wenn es der internationalen Koalition nicht gelingt, der Regierung einen verbindlicheren Fahrplan abzutrotzen, werden sich die Gegner der Zweistaatenlösung weiterhin die Bälle zuspielen. Netanjahu ist darin seit den Angriffen auf die Verträge von Oslo der versierteste Akteur.

Insbesondere wird jede palästinensische Zivilverwaltung für den Gazastreifen, wie sie gerade nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Mohammed Schtajjeh vorbereitet wird, einen schwierigen Stand haben. Jahre von Korruption und Autoritarismus haben die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland und im Gazastreifen erheblich diskreditiert.

Zudem gestaltet sich die Suche nach politischen Repräsentanten, die sowohl die internen palästinensischen Fraktionen überbrücken können als auch den israelischen und internationalen Anforderungen genügen, als äußerst kompliziert. Als wäre das nicht genug, wurde mit der Verordnung zur Beschränkung der muslimischen Besucher zum Tempelberg/Haram al-Scharif zu Beginn des Ramadan am 10. März durch den nationalen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir ein erster Fallstrick für kooperationswillige Partner ausgelegt.

Das eigene Überleben im Sinn

In der israelischen Opposition scheint vergessen, dass sich ein zionistischer Politiker wie Jitzhak Rabin für Verhandlungen mit der PLO entschied, als die Zustimmungsquote für einen Palästinenserstaat bei gerade mal 30 Prozent lag. Heute sind es knapp unter 50 Prozent. Der an Meinungsumfragen orientierte Populismus frisst seine Kinder. Netanjahus „totaler Sieg“ mündet in der endgültigen Liquidierung einer Zweistaatenlösung zugunsten seines eigenen politischen Überlebens.

In den Tunneln der Hamas dürfte man sich die Hände reiben. Das Einzige, was die fundamentalistische Terrororganisation langfristig gefährdet – die Bildung einer internationalen Koalition, die ihr die Finanzmittel abstellt und dabei eine politische Perspektive jenseits von Gewalt eröffnet –, wird gerade hintertrieben.

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12 Kommentare

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  • Tja, dann müsste die Weltgemeinschaft sich überlegen, wie sie dazu steht. Als sich die Staaten des ehemaligen Jugoslawien zerfleischt haben, wurden Blauhelmtruppen dorthin geschickt und es wurden Anklagen wegen Kriegsverrbechen ausgesprochen. Ich sehe nicht, warum man das hier anders sehen sollte.

  • Die Hamas ist ein Problem, Netanjahu aber auch.



    Diesen Konflikt kann man nicht damit lösen, indem man den Gazastreifen platzt walzt und bombardiert.



    So verständlich der Kampf gegen die Hamas ist, so unlogisch ist die pauschale Dampfwalze gegen das Volk. Bei den Kindern im Gazastreifen wird sich Israel als grausamer Feind einbrennen, so wird es nie Frieden geben.

  • Netanjahu ist Mitglied der Likud-Partei. Likud ist seit ihrer Gründung 1977 gegen eine Zweistaatenlösung. Das ist im Gründungsdokument der Partei festgehalten. Hier:



    "a. The right of the Jewish people to the land of Israel is eternal and indisputable and is linked with the right to security and peace; therefore, Judea and Samaria will not be handed to any foreign administration; between the Sea and the Jordan there will only be Israeli sovereignty.



    b. A plan which relinquishes parts of western Eretz Israel, undermines our right to the country, unavoidably leads to the establishment of a "Palestinian State," jeopardizes the security of the Jewish population, endangers the existence of the State of Israel. and frustrates any prospect of peace."



    Es ist mir schleierhaft, wie man seit 47 Jahren nicht wahrnehmen will, wofür Likud und Netanjahu stehen.

    • @ecox lucius:

      Der Fehler ist, die Einstaatenlösung in jeder Form auszuschließen. Für die meisten Palästinenser geht es nur um ein angenehmes Leben in Autonomie. Der Bundeskanzler verweigert der Ukraine einzelne Waffensysteme. Welche Armee, welche Außenpolitik wird ein Palestinenserstaat haben? Angesichts der Bedrohung durch Hamas oder eine mögliche Nachfolgeorganisation gibt es wenig Spielraum, was von Israel zulassen werden könnte. Bliebe es bei einem Autonomiegebiet, wären die wirtschaftlichen Aussichten viel besser.

  • Ich habe hier ja nun seit langem und immer wieder zugunsten der israelischen Position argumentiert, aber Netanjahu und seine rechtsextremistischen Buddies sind in jeder Hinsicht einfach nur ein Klotz am Bein. Das sehen ja auch viele Israelis nicht anders.

    Wenn man Frieden haben will, dann wird man auch in Israel nicht um die schmerzliche Erkenntnis herumkommen, dass die Siedlungen auf der Westbank geräumt und eine Zweistaatenlösung akzepiert werden muss. Dass das für jede israelische Regierung ein gewaltiger Kraftakt sein wird, ist auch klar. Ganz abgesehen von den berechtigten Sicherheitsinteressen Israels, die ein zusätzliches Problem sind.

    Aber ich denke, dass es an der Zeit ist, dass die wenigen Verbündeten, die Israel derzeit noch hat, mal aus dem Stadium zahnloser Proteste herauskommen, stattdessen eine deutliche Ansage machen und Bibi unmissverständlich verklickern, dass er für die Umsetzung seiner ideologischen Ziele keine carte blanche hat.

  • Ein typischer Konflikt mit gegensätzlichen Zielen bei sich gleichzeitig symmetrisch entsprechenden Interessen der Konflikt- "Partner". Sowohl Netanjahu als auch die Hamas haben das selbe Ziel: bloß kein Frieden, wobei die Hamas wahrscheinlich noch nicht mal wirklich an einem Siegfrieden interessiert wäre. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Parteien ist aber, dass sich die Hamas nicht um Zustimmung sorgen muss, notfalls erzwingt sie sie einfach. Netanjahu hingegen ignoriert nicht nur große Teile der eigenen Bevölkerung, er isoliert sein Land auch immer mehr. Lange wird das nicht mehr funktionieren, aber daraus folgt nichts. Beide Seiten werden sich von ihren Verlusten erholen, dann geht es weiter wie vorher. Ein Rabin ist nicht in Sicht, Hass und Angst dominieren und blockieren.

  • Was ist das für eine Überschrift bitte, taz?! Srsly?

  • Fantastische Darstellung der Situation. Nur die Schaffung eines Palästinenserstaates kann die Terrororganisation Hamas wirklich zerstören. Man muss aber auch realistisch bleiben, in einem demokratisch verfassten palästinensischen Staat wird der politische Islam eine Rolle spielen, und damit wahrscheinlich auch Leute die der Hamas einmal nahegestanden haben.

  • Die Araber im Mandatsgebiet hätten schon 1948 ihren eigenen Staat haben können, wenn sie sich auf den Teilungsplan der Vereinten Nationen eingelassen hätten. Auch im weiteren Verlauf der Geschichte waren die Bemühungen der arabischen Seite nicht unbedingt zielführend. Das ein souveräner arabischer Staat neben Israel unbedingt Frieden verheißt wage ich bei der Betrachtung der Nachbarstaaten Libanon und Syrien zu bezweifeln.

    • @Barthelmes Peter:

      "Die Araber im Mandatsgebiet hätten schon 1948 ihren eigenen Staat haben können, wenn sie sich auf den Teilungsplan der Vereinten Nationen eingelassen hätten"



      Warum hätten sie das damals tun sollen? Hätten Sie das an deren Stelle getan?

    • @Barthelmes Peter:

      Die Frage müsste auch eher heißen, was führt wahrscheinlicher dazu, dass sich die Lage entspannt? Eine Besatzung mit Restriktionen gegen einen Teil oder ein eigenständiger Staat.

  • Heute wissen wir, wie Deutschland wiedervereinigt werden konnte. Erst durch Brandts Kniefall und der Anerkennung der DDR als souveräner Staat war es möglich, Verhandlungen über die Einheit zu führen. Dasselbe gilt für Israel. Nur wenn der Westen die Einstaatenlösung anerkennt und Verhandlungen darüber führt, wie sich Israel und die Palästinenser eine Einstaatenlösung vorstellen und man auch praktische Details zu der Einstaatenlösung bespricht, kann es eine Zweistaatenlösung geben. Solange jedoch stur an der Alternativlosigkeit festgehalten wird, kann es keine Bewegung geben. Weder intern in den Lagern noch im Dialog. Wir müssen endlich aufwachen und die Realitäten anerkennen.