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Hohe Geldstrafe wegen VolksverhetzungReue zahlt sich nicht aus

Wegen volksverhetzender Äußerungen gegen „Zionisten“ wird ein junger Mann zu einer Geldstrafe verurteilt. Seine Reue wirkt nicht strafmildernd.

Der denkbar falscheste Ort: Kerzen auf dem Hamburger Carlebach-Platz erinnern 2018 an die Opfer der Novemberpogrome 1938 Foto: Axel Heimken/dpa

Zur falschen Zeit, am falschen Ort – und ja, auch das Falsche, insoweit herrscht Einigkeit im Gerichtssaal. Dieses Falsche, das waren Äußerungen, die Frank R.* heute bereut: „Ihr dreckigen Zionisten!“, hat er gerufen, „wo ist die Solidarität mit den 10.000 Zivilisten, die in Gaza gestorben sind?“ Und nochmal: „Scheiß-Zionisten!“ Volksverhetzung, so lautet die Anklage dafür.

Das Ganze trug sich an der Ausgrabungsstelle auf dem Joseph-Carlebach-Platz zu, mitten in Hamburgs historischem jüdischen Viertel am Grindel. Dort werden seit einiger Zeit Überreste der historischen, im Nationalsozialismus zerstörten Bornplatz-Synagoge gesichert, in Vorbereitung eines Wiederaufbaus. Ein denkbar falscher Ort also, das wurde dem Angeklagten noch vor Ort klar, als Polizisten ihn aufhielten mit den Worten: „Was Sie da gerade gesagt haben, ist strafbar.“

Die Polizei war in den Novembertagen des vergangenen Jahres verstärkt im Grindelviertel präsent, um die Ausgrabungsstelle, aber auch das nahe gelegene jüdische Bildungshaus zu schützen. Erst von der Polizei habe er erfahren, was das für ein Ort ist, sagt P., und sei schockiert gewesen, über sich selbst. Denn, das betont er ein ums andere Mal: „Ich bin kein Antisemit.“

Das ist ihm wichtig, und er macht den Eindruck, als habe er vor allem deshalb Widerspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, statt die 120 Tagessätze zu zahlen, die das Hamburger Amtsgericht ihm aufgebrummt hatte.

Vom Nahostkonflikt „emotional aufgeladen“

Frank R. ist allein. Er hat keinen Rechtsanwalt, verteidigt sich selbst. Auch zu seiner Unterstützung ist niemand mitgekommen. Er behält die ganze Zeit seine warme Steppjacke an, hat kleine, müde Augen in geröteten Höhlen. „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, ich hatte lange nichts mehr mit der Justiz zu tun“, sagt er, und: „Sie müssen entschuldigen, ich bin sehr aufgeregt.“ Er hat seine Aussage säuberlich auf ein paar linierte Din-A4-Zettel geschrieben. Mehrfach fragt er, ob er sie vortragen darf.

„Ich sehe ein, dass ich einen Fehler gemacht habe“, beginnt der Angeklagte mit leisen, aber präzisen Worten, „das war eine ziemlich dumme Aktion von mir“. Er hege „keinen Groll gegen unsere jüdischen Mitbürger oder gar das jüdische Volk“, lehne jede menschenverachtende Ideologie ab.

„Sie können mir das glauben oder nicht“, fügt er hinzu, „aber wenn ich mitbekäme, wie ein Jude nur wegen seines Jüdisch-Seins öffentlich angegriffen würde, dann wäre ich der Erste, der sich schützend vor ihn stellen würde.“ Den Vorwurf der Volksverhetzung weise er deswegen zurück. „Ich verurteile die Hamas und ihre Taten genauso wie den rechtsradikalen Zionismus, der auch von vielen Juden abgelehnt wird.“

An jenem Abend des 11. November habe er viele Kerzen auf dem Bornplatz gesehen und gedacht, die sollten an die Opfer des Hamas-Angriffs auf Israel vom 7. Oktober erinnern. „Emotional aufgeladen“ sei er gewesen. Der Nahostkonflikt habe ihn damals sehr bewegt, sowohl der furchtbare Angriff der Hamas als auch die „unverhältnismäßige“ Reaktion Israels.

Wenn ich mitbekäme, wie ein Jude nur wegen seines Jüdisch-Seins öffentlich angegriffen würde, dann wäre ich der Erste, der sich schützend vor ihn stellen würde

Frank R., Angeklagter

„Ich kenne Palästinenser, die mir ihr Leid erzählt haben“ – und das habe zu dieser „blöden Situation“ geführt, die „wirklich komplett daneben war.“ Erst im Gespräch mit den Polizisten habe er realisiert, dass die Kerzen für die Opfer der Reichspogromnacht waren, die sich zwei Tage vorher gejährt hatte.

Das Leben von Frank R. ist schon früh aus der Spur geraten. Der 33-Jährige sagt, ihn plage eine lebenslange Schlafstörung, weshalb er keiner geregelten Arbeit nachgehen könne und auch keine Ausbildung habe machen können. Er habe sich damit abgefunden und „mache das beste draus“. Derzeit helfe er alten Menschen im Alltag – „ehrenamtlich“.

Während der Amtsrichter durch sein Vorstrafenregister hetzt, verrinnt eine ganze Weile, von Diebstahl und Urkundenfälschung als Teenager über Sachbeschädigung, Beleidigung, Bedrohung bis hin zu Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung. Nach einer Haftstrafe war er in einer Entziehungsanstalt.

„Das ist ja ’ne ganze Menge“, sagt der Angeklagte, doch seit fünf Jahren habe er „nichts mehr mit der Polizei zu tun gehabt“ und „konsumiere nichts“, auch keinen Alkohol. Es sieht ganz so aus, als habe Frank R. sein Leben in den Griff bekommen – bis zu jenem Ausraster am 11. November.

Wen er denn gemeint habe mit seiner Tirade gegen die „Zionisten“, fragt der Amtsrichter. „Das hatte sich nicht gegen den Staat Israel gerichtet“, sagt P., „sondern gegen die rechtsgerichtete Regierung“. Der Polizist im Zeugenstand erinnert das anders. Direkt vor Ort habe P. gesagt, gemeint seien „alle Personen, die dem Staat Israel nahe stehen“. Der Oberkörper von Frank R. bäumt sich kurz auf, als er das hört, er verzichtet aber darauf zu widersprechen.

Mindeststrafe drei Monate Haft

Der Staatsanwalt stützt sich auf den Zeugen und schließt daraus, Frank R. habe mit „Zionisten“ zumindest jenen „Teil der jüdischen Bevölkerung gemeint, der die Gegenwehr gegen den Hamas-Terror unterstützt“. Davon abgesehen fielen nach geltender Rechtsprechung auch abwertende Bemerkungen über die Gruppe der „Zionisten“ unter den Tatbestand der Volksverhetzung. Zudem könne dem Angeklagten nicht entgangen sein, dass er sich in einem jüdisch geprägten Viertel befand.

Obwohl er Frank R. sein Erschrecken über seine eigenen Äußerungen durchaus abnehme, gelte in diesem Fall eigentlich eine Mindeststrafe von drei Monaten Haft, also rund 90 Tagen. Wenn man diese wegen der Einsicht des Angeklagten in eine Geldstrafe umwandle, komme man um eine „maßvolle Erhöhung“ auf 120 Tagessätze, wie schon im Strafbefehl, nicht herum.

Der Richter schließt sich dem an. Auch wenn Frank R. das Gefühl gehabt habe, der Frust über die Ereignisse in Gaza müsse „mal raus“, habe ihm klar sein müssen, dass er sich an einem sensiblen Ort befunden habe, an dem so eine Meinungsäußerung „besonders schädlich“ sei.

Im Lichte dessen sei die Tat mit 120 Tagessätzen à zehn Euro sogar noch „günstig gewertet“ – und gleichzeitig „ausreichend“, da P. aus einem „möglichen Unverständnis der Situation“ gehandelt habe. Er gewähre zudem Ratenzahlung für die insgesamt 1.200 Euro. Allerdings kommen für den Angeklagten noch die Verfahrenskosten hinzu.

Frank R. muss schlucken. Er wirkt, als wäre ihm all das nicht recht klar gewesen. Er selbst hatte keine Forderung zum Urteil gestellt, nur so viel: „Freispruch auf keinen Fall, ich gestehe ja meine Schuld ein.“ Genützt hat ihm das nichts.

* auf Wunsch des Angeklagten haben wir seinen Namen geändert. Wir haben außerdem korrigiert, dass das Gericht den Strafbefehl erlassen hat und nicht die Staatsanwaltschaft.

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7 Kommentare

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  • "Zur falschen Zeit, am falschen Ort", damit hat der Verfasser leider voll ins Schwarze getroffen.



    Hätte Frank R. seine Aussagen in Berlin, möglichst in Hörweite der Berlinale getätigt, wäre er wahrscheinlich ohne Strafe davongekommen. Denn dann hätte er von seinem Recht auf Meinungsfreiheit gebrauch gemacht, denn er hat sinngemäß nichts anderes geäußert, als die Künstler in Berlin - ich zitiere einen weiteren taz-Autoren:



    "...In den überschäumenden Reaktionen ist jetzt viel von „Israel-Hass“ und „Antisemitismus“ die Rede. Dabei handelt es sich in all diesen Fällen um eine politische Kritik. (...) Das ist etwas anderes als ein Ressentiment gegen­ eine Minderheit, und es ist von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt, auch wenn es einer vermeintlichen „Staatsraison“ widerspricht."



    Grundsätzlich stimme ich dem Gericht mit der Verurteilung des R. zu, auch die Höhe der Strafe erscheint mir angemessen. Doch es bleibt ein Geschmäckle von Zweiklassen-Justiz, die ich nicht nur für unangebracht, sondern auf Dauer für gefährlich halte. Doch ob die Kulturstaatsministerin die geeignete Persönlichkeit dafür ist, darf nach den antisemitischen Vorfällen bei der Dokumenta und jetzt der Berlinale langsam bezweifelt werden...

  • Jemand geht an den Platz einer von Deutschen in der Pogromnacht zerstörten Synagoge, um dort „Ihr dreckigen Zionisten!“ zu rufen, weil dort Kerzen stehen, von denen er glaubt, diese sollten an die Opfer des Pogroms der Hamas vom 7. Oktober erinnern. Kein Antisemit? Synagoge = Juden = dreckige Zionisten keine antisemitische Gleichung? Und die freche Einlassung vor Gericht: "Der Nahostkonflikt habe ihn damals sehr bewegt, sowohl der furchtbare Angriff der Hamas als auch die „unverhältnismäßige“ Reaktion Israels" ist keine Bagatellisierung des Oktoberpogroms? Warum diese Empathie für einen Antisemiten?

  • Ich verstehe die Überschrift und auch den letzten Satz des Artikels nicht.

    Denn:

    "...gelte in diesem Fall eigentlich eine Mindeststrafe von drei Monaten Haft, also rund 90 Tagen. Wenn man diese wegen der Einsicht des Angeklagten in eine Geldstrafe umwandle..."

    Geld- statt Haftstrafe ist also nichts?

    • @Schwarmgeist:

      Da greift § 47 StGB:



      "(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.

      (2) Droht das Gesetz keine Geldstrafe an und kommt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht, so verhängt das Gericht eine Geldstrafe, wenn nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Absatz 1 unerläßlich ist."

  • Es gibt ein empfehlenswertes Buch von Eva Illouz, welche sich für einen linken Zionismus ausspricht. Sie meint: "Israel müsse sich wieder als eine Gemeinschaft der Hoffnung verstehen, die auf universalen Werten beruht."

    Mit der Kibbuzz-Bewegung, die auch für ein gemeinsames friedliches Zusammenleben mit den Palästinensern eintrat, wurde anfänglich eine Art linker Zionismus vertreten.

    Aber heute, wo man es mit einer gesichert rechtsextremen Israelischen Regierung zu tun hat, dominiert ein rechter Zionismus, der nichts mehr mit menschlicher Gleichberechtigung und friedlichem Zusammenleben zu tun hat.

    Felix P. hat ja explizit ausgerufen: "Ich verurteile die Hamas und ihre Taten genauso wie den rechtsradikalen Zionismus, der auch von vielen Juden abgelehnt wird."

    Er greift also den linken Zionismus gar nicht an, sondern eigentlich die rechtsextremistische, nationalistische und völkische Version des Zionismus im Unterschied zur sozialen und menschenfreundlichen Version des Zionismus.

    Andererseits gibt es Zeugenaussagen, die auch andere Aussagen von Felix P. wiedergeben. Man weiß es nicht genau, was er gemeint hat.

    Das Gericht hat ja in gewisser Weise auch ein Zugeständnis gemacht mit einer relativ geringen Geldstrafe.

    Dennoch bleibt für mich der beschriebene Diskussionspunkt wichtig.

  • "„Ich kenne Palästinenser, die mir ihr Leid erzählt haben“ – ..."

    Das ist vermutlich eines der Probleme, dass es, auf Grund unserer (also Sie und ich) Ausrottung jüdischer Menschen (wenn ich es richtig weiß, waren es 2/3 der jüdischen Weltbevölkerung) während der Hitler-Zeit, gegenwärtig zu wenige jüdische Menschen gibt, die ihr Leid erzählen.

    U.a. deshalb bin ich sehr dankbar für die Artikel von Frau Zingher hier in der taz und wünsche ihr ein noch breiteres Wirkungsfeld bei der FAZ oder DIE ZEIT, sofern die taz das erlaubt und es nicht ihren Werten entgegensteht. Sie schreibt gegen Judenhass/Antisemitismus an, sie redet gegen Judenhass/Antisemitismus an. Oftmals erfolglos, wie man an den Stimmen der palästinensischen/Hamas-Seite auch hier im Kommentarbereich sehen kann.

    • @*Sabine*:

      Es gibt halt 2 Seiten, die Leid erfahren. Warum sollte man sich da auf eine Seite stellen und nicht sagen ihr macht beide unvorstellbar schlimme Dinge.



      Es gibt halt keine Rechtfertigung für Gewalt.