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Rücktritt von palästinensischem PremierNicht mehr als Makulatur?

Der palästinensische Ministerpräsident Schtaje hat seinen Rücktritt erklärt. Ein Schritt für eine Nachkriegsordnung? Ein Experte zweifelt.

Am 26. Februar kündigt Mohammed Schtaje, Ministerpräsident der palästinensischen Autonomiegebiete, seinen Rücktritt an Foto: Ayman Nobani/dpa

Berlin taz | Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje und seine Regierung sind am Montag zurückgetreten: „Ich sehe, dass die nächste Phase und ihre Herausforderungen neue staatliche und politische Regelungen erfordern“, erklärte der Premier. Er verwies in seiner Rede auf etliche Herausforderungen seiner seit April 2019 währenden Amtszeit, etwa die Zurückhaltung palästinensischer Steuergelder durch Israel. Er nannte auch Donald Trumps Nahostpolitik und den Gazakrieg, den er als „Genozid“ bezeichnete. Schtaje beklagte, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) solle nun zu einer „Verwaltungsbehörde ohne politischen Inhalt“ umgebaut werden.

Der Rücktritt sei auf Wunsch des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas erfolgt, hieß es im Fernsehsender Watan TV unter Berufung auf Regierungsbeamte. Auf Abbas, der seit 2005 die Geschicke im Westjordanland lenkt, lastet seit Langem großer Druck. Der mit zunehmend eiserner Hand regierende und nicht mehr durch Wahlen legitimierte Palästinenserführer hat kaum noch Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung – viele werfen ihm vor, Handlanger der israelischen Besatzung zu sein.

Der Rücktritt Schtajes steht auch im Zusammenhang mit der Frage, wie eine Nachkriegsregierung im Gazastreifen aussehen soll. Abbas hat nun seine eigene Antwort auf die Frage deutlich gemacht. Sein Signal: Nicht die USA, nicht Katar oder die Hamas entscheiden über die Zukunft der zukünftigen palästinensischen Regierung – sondern Abbas selbst. Mit dem Rücktritt der Regierung soll der Weg für eine Technokratenregierung frei gemacht werden.

Der 88-jährige Präsident kommt damit dennoch auch Washington entgegen. Die USA hatten in den letzten Monaten immer wieder eine aktivere Rolle der im Westjordanland regierenden PA gefordert. Sie solle sich für den Wiederaufbau des Gazastreifens verantwortlich erklären und die Kontrolle dort übernehmen – ohne Beteiligung der radikal-islamischen Hamas. Innerhalb der PLO, der Dachorganisation verschiedener palästinensischer Fraktionen, hingegen wird die Frage diskutiert, ob die Hamas und der Islamische Dschihad in die Organisation aufgenommen werden sollen.

Schlüssel liegt bei Präsident Abbas

René Wildangel, Nahostexperte an der International Hellenic University in Thessaloniki, spricht mit Blick auf die Rücktrittsankündigung der Schtaje-Regierung von „Makulatur“. Ein Umbau der Regierung, so Wildangel, wäre nur dann bedeutungsvoll, wenn es einen Prozess gäbe, der wirklich zu einer Technokratenregierung oder einer Regierung der nationalen Einheit führen würde, die von palästinensischer Seite angestrebt werde. Das würde unter Umständen auch eine zumindest indirekte Beteiligung der Hamas oder ihrer Sym­pa­thi­san­ten bedeuten.

Der Wissenschaftler geht aber davon aus, dass Schtaje kommissarisch weiter im Amt bleiben oder ein anderer Abbas-Vertrauter aus den Reihen der Fatah die Regierung übernehmen wird. „Eine neue Situation hätten wir nur, wenn Abbas selbst zurücktreten würde und das System umgebaut würde hin zu einer Regierung, die wirkliche Entscheidungsgewalt hat“, so Wildangel: „Daran, dass hier ein allmächtiger Präsident im Prinzip mit Notverordnungen wie zu Zeiten der Weimarer Republik regiert, ändert sich zunächst nichts.“

Zumal jegliche Form von palästinensischer Einheitsregierung auf „massive israelische Opposition“ treffen würde: „Alles, was diskutiert wird in Richtung einer wirklichen Veränderung, würde auch am Widerstand Israels scheitern“, sagt Wildangel. Dabei bräuchte es, wollte man ernsthaft eine Reform der palästinensischen Führung angehen, irgendwann Wahlen. Spätestens dann werde sich die Frage stellen, wer daran teilnehmen dürfe. Der Experte sieht hier vor allem Europa und die USA in der Pflicht, „eine tragfähige Vision“ zu präsentieren, wie eine solche Reform aussehen soll.

Doch die israelische Regierung sperrt sich dagegen. Einer einseitigen Anerkennung eines palästinensischen Staates hat sie mit Unterstützung von großen Teilen der Opposition jüngst erneut eine Absage erteilt.

Am Wochenende legte der israelische Premier Benjamin Netanjahu dem Sicherheitskabinett einen einseitigen Nachkriegsplan für Gaza vor: Lokale Beamte, die in keiner Verbindung zur Hamas oder dem Islamischen Dschihad stehen, sollten eingesetzt werden. Das israelische Militär sollte im gesamten Gazastreifen „unbegrenzte Handlungsfreiheit“ haben. Eine Pufferzone auf der palästinensischen Seite der Grenze solle so lange bestehen bleiben wie nötig. Zudem sieht der Plan das Aus für das Hilfswerk UNRWA vor.

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4 Kommentare

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  • Solange sich bei den Palästinensern die politische Kultur nicht ändert, wird das nichts mit einem funktionsfähigem Staat.

    • @vieldenker:

      Und da die politische Kultur dort nicht von der gesellschaftlich-religiösen Kultur zu trennen ist - jedenfalls nicht so leicht - wird das so schnell nichts werden.

      Aber wo wir schon dabei sind: bei den Israelis sieht es auch nicht so toll aus: rechtsgerichtete lügende autokratische Populisten an der Macht und die fanatisch Religiösen machen ohnehin ihre eigenen Gesetze im Westjordanland.

      Es wird ein Pulverfass bleiben, jedenfalls auf absehbare Zeit.

  • "Innerhalb der PLO, der Dachorganisation verschiedener palästinensischer Fraktionen, hingegen wird die Frage diskutiert, ob die Hamas und der Islamische Dschihad in die Organisation aufgenommen werden sollen."

    Das verstehe ich so, dass von Seiten der PLO kein Interesse an Frieden besteht. Ich hoffe allerdings darauf, dass bei Wahlen, die nach dem Krieg zwingend stattfinden sollten, auch Parteien antreten dürfen, die andere Werte vertreten.



    Grundsätzlich ist es so, dass ich es mir "einfach" nicht vorstellen kann, dass Menschen mit Handy, Internet, Kontakten in alle Welt, Verwandten und Freunden in der ganzen Welt (wie es bei den Palästinensern ja der Fall ist), in einem islamischen Staat leben bzw. von Leuten wie der Hamas und dem Islamischen Dschihad regiert und repräsentiert werden wollen.



    Die palästinensischen Bürger die ich an der Uni in Deutschland kennengelernt habe, wollten "normal" leben und deren "normal" war wie meines (westlich sozialisierte, biodeutsche Frau). Bei den iranischen Bürgern war das ähnlich.



    (Drollig fand ich immer, dass sie ohne Gewissensbisse Bier getrunken haben, denn verboten sei ja nur Wein, Dattelschnaps u.ä..)

    • @*Sabine*:

      Ich kann mir ebenso nicht vorstellen, wie man auf israelischer Seite eine Regierung wählt die Kriegsverbrechen (wie Verstärkung des Siedlungsbau in besetzten Gebieten) als Wahlversprechen ankündigt.

      letztendlich erinnert es mich sehr an das Lied von K.I.Z. "Frieden":

      Wir träumen von Frieden, Frieden



      Wir träumen von Frieden



      Lass die weißen Tauben fliegen, wir träumen von Frieden

      Doch erst müssen wir gewinn'n, erst müssen wir gewinn'n



      Na klar sind wir für Frieden, doch erst müssen wir gewinn'n



      Erst müssen wir gewinn'n, erst müssen wir gewinn'n



      Na klar sind wir für Frieden, doch erst müssen wir gewinn'n