Kontroverse um Israels ESC-Beitrag: Zu politisch für Eurovision
Israels ESC-Beitrag „October Rain“ beschreibt vage die Stimmung im Land. Nun wird diskutiert, ob der Song für den Wettbewerb zu politisch ist.
D ie TV-Sender Israels nehmen seit 1973 am Eurovision Song Contest teil, damals trat die Sängerin Ilanit dem Vernehmen nach in Luxemburg in kugelsicherer Weste auf. Im Saal des gastgebenden Senders RTL sollen Bodyguards zum Schutz vor (angekündigten) Attentaten gesessen haben.
Dass Israel als außereuropäischem Land das Mitmachen möglich war, lag (und liegt) daran, dass der Generalveranstalter, die European Broadcasting Union (EBU), seine Kette öffentlich-rechtlicher TV- und Radiostationen über die europäischen Grenzen hinaus immer offen hielt.
Wie der frühere Generalsekretär Jan Ola Sand einmal formulierte: „Wir schließen niemanden aus, wir sind inklusiv.“ Das fällt sonst niemandem auf, etwa bei Eurovisionslizenzen für Sportübertragungen. Aber doch beim ESC, weil die Show nicht nur eine Show künstlerischer Acts ist, sondern faktisch eine der Länder. Ägypten und der Libanon könnten auch mit dabei sein, aber das wollten sie immer nur halbherzig, wenn überhaupt, weil, typisch Nahost, eben Israel mitmacht.
Israel zählt zu den erfolgreichsten ESC-Ländern überhaupt: Viermal siegte man, unter anderem 1998 mit Dana International und zuletzt 2018 mit Netta und ihrem Partykracher „Toy“. Es hat um Israel jedoch immer Ärger gegeben, und meist steckte hinter dem Missmut teils unverhohlener Antisemitismus, Neid und Missgunst auf Performances, die oft das Gegenteil von hausbacken waren: Warum dürfen die teilnehmen?
Politische Zuspitzung vermutet
Doch noch nie war dieses Land beim ESC so umstritten wie in diesem Jahr. Letzter Anlass: Das Lied der israelischen Nachwuchschanteuse Eden Golan, das den Titel „October Rain“ trägt. Künstler*innen vor allem aus Großbritannien, Island, Irland und Skandinavien setzten sich schon, ehe auch nur eine Textzeile aus dem Act bekannt war, für einen Boykott Israels ein. Inzwischen ist das Lied auch mit seinen Aussagen bekannt – und wird aktuell von der EBU geprüft, ob dem stimmgewaltigen Act eine politische Zuspitzung zuerkannt werden muss.
Politisches in den Aussagen ist allerdings beim ESC seit jeher verboten – Georgien verzichtete 2009 auf die Reise zum ESC (damals) in Moskau, weil deren Lied sich wie ein Agitprop-Ding wider Putin anhörte. Andererseits war es der Ukraine 2007 erlaubt, das Lied der Orangen Revolution darzubieten – niemand erhob Protest.
Israel selbst präsentierte mehrfach Lieder mit politischem Gehalt, die queere Hymne von Dana International 1998 („Diva“) – oder zwei Jahre darauf ein Auftritt einer israelischen Formation, die sich wie BDS anhörte, syrische Sympathieflaggen inklusive.
Antijüdische Stimmung in Malmö
„October Rain“ als Lied ist verstehbar als vage politisches Statement zur Thematisierung der Atmosphäre in Israel nach dem 7. Oktober, dem terroristischen Hamas-Überfall auf Israel – doch kein Wort, kein Schnipsel der direkten Agitation pro Krieg gegen die Hamas. Israels TV-Sender KAN hat verlauten lassen, dass man sich dem EBU-Politcheck aussetze, aber trotzdem, sofern etwas moniert wird, nichts ändern werde. Für diesen Fall verzichte man lieber auf den Ausflug nach Malmö.
Alles ist offen – verblüffend bleibt, dass der ESC mit den Halbfinals am 7., 9. und 11. Mai (dann das Grand Final) ausgerechnet in der antiisraelischsten Stadt Europas stattfindet: Malmö ist seit vielen Jahren bekannt dafür, dass dort die wenigen verbliebenen Jüdinnen und Juden ganz besonders darauf achten, nicht als solche erkannt zu werden. Die schwedische Kulturszene hat in einem offenen Brief außerdem dafür plädiert, Israel nicht willkommen zu heißen.
Die israelische ESC-Delegation hat bereits vor wenigen Wochen mitgeteilt, am üblichen Rahmenprogramm – Partys, Empfänge, Socializing anderer Art – aus Sicherheitsgründen nicht teilnehmen zu wollen: Das ist für Eurovisionsultras, die 10.000 anreisenden Fans, die deprimierendste Nachricht: Israelische ESC-Partys waren stets die lebenslustigsten.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen