piwik no script img

Julia Korbik über SchwesternschaftIst Feminismus aus der Zeit gefallen?

Rassismus, Antisemitismus, Transfeindlichkeit – die Frauenbewegung ist so zerstritten wie selten. Autorin Julia Korbik fordert radikale Schwesterlichkeit.

Geschlossen feministisch, bei allen Unterschieden: hier eine Demo zum Frauenkampftag am 8. März 2018 Foto: Stefan Boness
Simone Schmollack
Interview von Simone Schmollack

wochentaz: Frau Korbik, in Deutschland ist es still geworden um den Feminismus, gleichzeitig ist die Bewegung zerstritten wie selten zuvor. Nun erscheint Ihr Buch „Schwestern“, in dem Sie die „Macht des weiblichen Kollektivs“ beschwören. Ist das nicht aus der Zeit gefallen?

„Das Weltbild von Alice Schwarzer ist in Schwarz-Weiß geteilt, die Welt ist aber grau, vielschichtig und kompliziert“

Julia Korbik: Absolut nicht, auch wenn der Begriff Schwesterlichkeit etwas altmodisch klingt. Aber das weibliche Kollektiv ist hochaktuell, wenn wir beispielsweise an die #MeToo-Bewegung denken oder die Debatten um sexuelle Gewalt, die von Rammstein und Sänger Till Lindemann ausgegangen sein soll. Hier zeigt sich eine große Solidarität gegenüber betroffenen Frauen – und darum geht es bei der Frage der Schwesterlichkeit, bei der Macht des weiblichen Kollektivs.

Im Interview2Inews: Julia Korbik

Autorin mit den Schwerpunkten Feminismus, Politik und Popkultur. 1988 im Ruhrgebiet geboren, hat in Frankreich und in Münster European Studies studiert. Sie schreibt Bücher und Texte für verschiedene Medien. 2018 erhielt sie den Luise-Büchner-Preis für Publizistik. Korbiks Buch „Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs“ ist Anfang Februar im Rowohlt Verlag erschienen.

Sie bezeichnen Sisterhood, Schwesterlichkeit, als radikales Konzept. Was ist daran radikal?

Schwesterlichkeit ist ein Zeichen politischer Solidarität. Das heißt aber nicht, dass Frauen, nur weil sie Frauen sind, automatisch mit anderen Frauen solidarisch sein müssen. Das Konzept der Schwesterlichkeit verbindet sie nicht aufgrund ihres Geschlechts, sondern weil sie das gleiche Ziel eint: Gleichberechtigung.

Beim Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober hat dieses Konzept offenbar versagt. Zumindest schweigen Feministinnen in Deutschland, wenn es um Solidarität mit den vergewaltigen, entführten Jüdinnen geht.

Viele Feministinnen wussten offenbar nicht, wie sie reagieren sollen, es fehlte an Empathie gegenüber betroffenen Jüdinnen. Selbst internationale Organisationen, beispielsweise UN Women, haben bis heute nur verhalten reagiert.

Was ist Schwesterlichkeit da wert?

Hier zeigt sich deutlich, dass Schwesterlichkeit kompliziert und nicht automatisch gegeben ist, sondern immer wieder geschaffen werden muss. Ich selbst bin immer davon ausgegangen, dass sich die feministische Bewegung darauf geeinigt hatte, dass jede von sexualisierter Gewalt Betroffene Solidarität verdient, egal wer sie ist, egal woher sie kommt. Das gilt seit dem 7. Oktober offenbar nicht mehr.

Israelinnen sind dadurch Frauen zweiter Klasse.

So könnte man das sehen. Man muss aber auch sagen, dass die Vergewaltigungen bekannt wurden, als Israel bereits in Gaza war, zu einer Zeit also, als die schrecklichen Bilder mit den unzähligen palästinensischen zivilen Opfern überaus wirkmächtig waren.

Feministinnen wird vorgeworfen, dass sich hinter ihrem Schweigen Antisemitismus verbirgt.

Der Feminismus hat sich in den vergangenen Jahren stark mit Rassismus auseinandergesetzt, also mit der Frage, wie weit sich weiße Feministinnen trotz ihres politischen Anspruchs der Gemeinschaftlichkeit rassistisch verhalten. Das ist richtig und wichtig. Darüber ist die Auseinandersetzung mit Antisemitismus wohl vergessen worden.

Wie kann das sein?

Viele Menschen glauben, sie seien nicht antisemitisch und haben daher das Thema zur Seite geschoben. Jetzt müssen wir erkennen, auch in der feministischen Szene: Das war ein Trugschluss.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Haben Sie sich zum Hamas-Überfall geäußert?

Ja, in einem Radiointerview, aber ich nehme mich aus der Kritik absolut nicht aus. Mir ist in diesen Wochen klar geworden, dass der deutsche Feminismus viel stärker darüber debattieren muss, wie antisemitisch er ist. Unabhängig davon schließt es sich für mich überhaupt nicht aus, Israels Einmarsch in Gaza heftig zu kritisieren und sich gleichzeitig an die Seite der Hamas-Opfer zu stellen.

Der deutsche Feminismus gilt vielen als zu weiß, akademisch, elitär.

Viele Frauen of Color sind schon lange im deutschen Feminismus aktiv, nur hat man ihnen keine sonderlich wichtige Rolle innerhalb der Bewegung zugestanden. Dadurch waren sie gezwungen, sich in eigenen Gruppen zusammenfinden. Das hat sich in den vergangenen Jahren etwas geändert, mittlerweile sitzen mehr Frauen of Color beispielsweise in Talkshows, feministische Stimmen sind heute diverser als früher.

Zugleich ist von Sprechverboten die Rede. Was würden Sie tun, wenn Sie auf einer Veranstaltung von Women of Color nicht reden dürften?

Ich würde das akzeptieren und vermutlich schweigen.

Das ginge dann allerdings auf Kosten des Dialogs, den Sie in Ihrem Buch anregen.

Ich würde nach der Veranstaltung versuchen, mit den Frauen ins Gespräch zu kommen.

Nun wird Frauen von jeher nachgesagt, eher gegeneinander zu kämpfen, statt solidarisch zu sein. Begriffe wie „Stutenbissigkeit“ und „Zickenkrieg“ sprechen für sich.

Das wird Frauen seit Jahrhunderten zugeschrieben. Ich glaube aber nicht, dass Frauen von Natur aus andere Frauen bekämpfen.

Ich beobachte aber, dass Frauen an der Spitze nicht selten andere Frauen wegbeißen.

Frauen in Toppositionen haben keine Tradition, sie sind tatsächlich vielfach allein unter Männern und in patriarchalen Strukturen, das allein ist hart genug. Wenn einer Frau zusätzlich suggeriert wird, dass sie es als eine der wenigen bis nach oben geschafft hat, wird sie verständlicherweise alles dafür tun, dort auch zu bleiben.

Schwesterlich ist das nicht.

Manche Frauen, die sich gegen Männer durchsetzen müssen, passen sich an die männliche Unternehmenskultur an. Daher braucht es ja auch diese berühmte kritische Masse an Frauen, die weitere Frauen nachziehen und die Unternehmenskultur grundsätzlich ändern. Es gehört allerdings einiges dazu, sich als einzige Frau an der Spitze gegen etablierte Führungsstrukturen zu stellen und zu sagen: Mir ist es wichtig, andere Frauen zu fördern.

Männer machen das offenbar anders.

Männer begreifen sich mehr als Gruppe, als Boys Club, der füreinander einsteht. Frauen tun das eher nicht. Das hatte schon die französische Feministin Simone de Beauvoir erkannt und gesagt: „Frauen sagen nicht ‚wir‘.“

Warum ist es so schwer, „wir“ zu sagen?

Frauen sind keine homogene Gruppe, sondern so divers, wie die Welt nun mal ist: jung, alt, mit Kindern, ohne Kinder, heterosexuell, queer, mit und ohne Erwerbsarbeit, und, und, und. Angesichts dieser Vielfalt steht die Frage im Raum, ob man überhaupt dieses Wir beschwören kann. Von Männern würde man im Übrigen diese Einigkeit gar nicht erwarten.

Es gibt sogar Frauen, die über prominente Feministinnen herziehen und sie fertigmachen: zu schön, zu jung, zu erfolgreich.

Das hat mit Neid und Eifersucht zu tun, wovor Frauen natürlich nicht gefeit sind. Warum sollten sie auch? Der Anspruch an den Feminismus, an Frauen ist komplett überzogen: Vom Feminismus als Bewegung wird sehr viel stärker als von anderen sozialpolitischen Bewegungen erwartet, dass er ohne innere Kämpfe auskommt. Das ist Quatsch. Unabhängig davon würde ich mir wünschen, dass Feministinnen öfter miteinander ins Gespräch kommen statt sich gegenseitig öffentlich auf X anzugehen.

Beim Selbstbestimmungsgesetz stehen sich zwei feministische Gruppen gegenüber: Die einen, die nichts gegen trans Personen etwa in einer Frauensauna haben, und die anderen, die eine solche Öffnung verbieten wollen, weil in ihren Augen eine trans Frau ein Mann ist, der in Frauenräume vordringt.

Das sind zwei fundamental unterschiedliche Haltungen, das stimmt, und ich halte es tatsächlich für schwierig, dass hier die Kon­tra­hen­t:in­nen miteinander ins Gespräch kommen können.

An dieser Stelle müssen wir auch über Alice Schwarzer reden, die sich gegen das Gesetz ausspricht.

Hier ist Alice Schwarzer leider stehen geblieben. Früher hat sie sich durchaus für trans Frauen eingesetzt, als diese in Frauenhäusern nicht willkommen waren. Jetzt hat sie ihre Position komplett gewechselt: Früher waren trans Personen in ihren Augen Menschen mit einer psychischen Störung, heute findet sie, „Transgender“ sei ein Kult, dem sich auch Kinder beugen müssten.

Schwarzer hat keine Verdienste?

Doch, doch. Für die feministische Bewegung in den 1970er und 1980er Jahre war Alice Schwarzer überaus wichtig. Mit ihren Erfolgen beim Kampf für Abtreibung, Frauenrechte, beim Aufdecken patriarchaler Strukturen in der Gesellschaft hat sie ihre feste Rolle, die ihr trotz aller Kritik heute niemand streitig machen kann.

Nun setzt sie sich mit Sahra Wagenknecht für Verhandlungen mit Russland ein, betritt ein umstrittenes Feld. Verspielt sie gerade ihre feministischen Meriten?

Die verspielt sie schon länger, beispielsweise bei Fragen wie Prostitution oder Kopftuch. Es geht gar nicht darum zu sagen, dass sie speziell bei diesen beiden Themen falsch liegt. Beide Themen werden kontrovers diskutiert, das ist auch gut so. Das Problem ist, dass Alice Schwarzer ihre Meinung dazu hat, dass sie recht behalten und am liebsten Prostitution und Kopftuch verbieten will.

Was ist falsch daran?

Das Weltbild von Alice Schwarzer ist in Schwarz-Weiß geteilt, die Welt ist aber grau, also vielschichtig und kompliziert. Verbote sind selten eine Lösung. Ihrer Argumentation, egal bei welchem Thema, fehlen oft die Nuancen, so als gäbe es für ein Problem nur eine einzige Lösung.

Die sie ihrer Meinung nach hat.

So ungefähr. Störend ist zudem, dass sie jüngeren Feministinnen oft gönnerhaft begegnet, so nach dem Motto: Ich geb dir mal einen Tipp, was richtig ist. Auf dieser Grundlage kommt man mit ihr nicht ins Gespräch. Und das ist misslich, denn ein solches Verhalten ist alles andere als schwesterlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen