Ska Keller über EU-Politik: „Die Grünen stehen zum Green Deal“
2024 ist die nächste Europawahl. Die ehemalige grüne Spitzenkandidatin über Klimapolitik, Asylfragen und warum sie nicht nicht mehr zur Wahl antritt.
taz: Anfang Juni 2024 findet die nächste Europawahl statt. Die letzte 2019 war eine Klimawahl. Nun droht eine Anti-Klimawahl. Wird der Green Deal, der 2019 vorgestellt wurde, um bis 2050 in der EU die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren, wieder abgewickelt?
Ska Keller: Ich hoffe nicht, dass es eine Anti-Klimawahl wird. Wir müssen jetzt den Green Deal, den die Grünen vorangetrieben und durchgesetzt haben, ausbauen und umsetzen. Da geht es um die Wurst. Wir brauchen Mehrheiten, und darum kämpfen wir bei der Europawahl.
ist Mitglied der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament und war von Dezember 2016 bis Oktober 2022 deren Vorsitzende. Im Alter von nur 27 Jahren wurde sie 2009 ins Parlament gewählt.
Sie war Spitzenkandidatin der Europäischen Grünen in den Jahren 2014 und 2019 sowie deutsche Spitzenkandidatin bei der Europawahl 2019. Sie ist Mitglied im Fischereiausschuss (PECH) und im Umweltausschuss (ENVI) sowie in der Mexiko-Delegation des Europäischen Parlaments.
Bisher sieht es aber nicht gut aus. In den Niederlanden hat das rot-grüne Bündnis um den früheren EU-Klimakommissar Frans Timmermans die Wahl verloren, europaweit droht ein Rechtsruck. Was nun?
Abwarten. Richtig ist, dass die Rechtsaußenfraktion in Brüssel, in der auch die AfD vertreten ist, größer werden könnte. Daher kommt es jetzt mehr denn je auf die Europäische Volkspartei (EVP) an (die von dem deutschen CSU-Politiker Manfred Weber geführt wird, Anm. d. Red.). Die EVP ist zentral, muss stehen und die Rechten isolieren. Mich stimmt optimistisch, dass es einige EVP-Kollegen im Europaparlament ganz ähnlich sehen. Sorgen machen mir aber die CDU und ihr Chef Friedrich Merz.
Wie schätzen Sie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ein? Sie ist ja auch eine prominente CDU-Politikerin. Doch bisweilen hat man in Brüssel den Eindruck, die Grünen seien ihre letzten und besten Freunde…
Sie ist die erste Kommissionspräsidentin, die sich für Umwelt und Klima engagiert. Doch nun wird sie von ihrer eigenen Fraktion runtergemacht. Die EVP radikalisiert sich. In der Klimapolitik hat sie erst versucht, EU-Gesetze zu verwässern – nun verlegt sie sich aufs blockieren. Deshalb stehen wir auf einmal auf derselben Seite – denn die Grünen stehen zum Green Deal.
Wenn nicht alles täuscht, will sich von der Leyen um eine zweite Amtszeit bewerben. Doch sie will nicht bei der Europawahl antreten, nicht einmal in ihrer Heimat Niedersachsen wird man sie wählen können. Droht das Ende der Spitzenkandidaten – nach dem Debakel bei der Europawahl 2019?
Beim letzten Mal ist das ziemlich in die Hose gegangen und auch diesmal ist es nicht selbstverständlich dass es klappt. Deshalb muss sich das Europaparlament überlegen, wie man das besser machen kann. Aus meiner Sicht kommt es nun darauf an, dass das Europaparlament die Initiative ergreift und nicht alles dem Rat überlässt. Nach der Europawahl müssen wir schneller sein und eine Mehrheit für den oder die nächste Kommissionspräsidentin finden. Allerdings braucht ein Koalitionsvertrag seine Zeit. Man muss das ja verhandeln. Ich hoffe, wir können das System aufrecht erhalten. Wir als Grüne wollen es – die anderen müssen es aber auch wollen.
Wollen denn alle?
Das kann ich nicht sagen, aus dem Job bin ich raus. Im September 2022 habe ich den Fraktionsvorsitz aufgegeben und bin mehr legislativ tätig. Ich kümmere mich um Fischerei und Umwelt und bin an EU-Gesetzen zum Meeresschutz und zur Eindämmung von Mikroplastik beteiligt. Das macht viel Spaß – als Fraktionschefin kommt man zu so was leider kaum.
Bei der Europawahl will auch Sarah Wagenknecht mit einer neuen Partei antreten. Machen sich die Grünen deshalb Sorgen?
Das ist eine spannende Frage! Ich glaube aber nicht, dass sie den Grünen Stimmen streitig machen wird. Wenn überhaupt, dann geht es um die Linken. Und da würde ich sagen, dass Wagenknechts Austritt eher eine Chance für die Linke Partei ist. Denn ihr Programm ist doch teilweise ziemlich rechts, etwa in der Flüchtlingspolitik. Deshalb könnte sie auch der AfD einige Stimmen abknöpfen – das wäre dann die positive Variante…
Ist nicht die gesamte EU in der Flüchtlingspolitik nach rechts gerückt?
Ja, leider. Die Flüchtlingspolitik war mein Thema bis 2019. Wir haben damals einiges verbessert – zum Beispiel haben wir eine stärkere Überwachung der Grenzschutzagentur Frontex erreicht und eine Perspektive für zumindest einige der 2015 in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge geschaffen. Doch jetzt sind wir in einer völlig anderen Debatte, es hat eine schlimme Verschiebung stattgefunden. Das ist super frustrierend.
Die EU will noch bis zur Europawahl den repressiven Asyl- und Flüchtlingspakt verabschieden – auch in der Hoffnung, so die Lage zu entschärfen und die Rechten zu schwächen. Wie beurteilen Sie diesen Pakt?
Aus meiner Sicht tut die EU nicht genug zur Bekämpfung der Fluchtursachen. Auch für die Seenotrettung setzt sie sich nicht mehr ein und die Frage einer gerechteren Verteilung der Asylanträge steht auch noch aus. Deshalb werden die Probleme auch nicht gelöst.
Wie geht es nach der Europawahl für Sie weiter?
Nach 15 Jahren aktiv in der Europapolitik mache ich jetzt erst mal Pause. Ich habe in Brüssel alles erreicht, was ich konnte, da tut eine Auszeit gut – auch wenn mir das keiner glauben will (lacht). Ich wollte nicht wieder antreten, schließlich war ich schon zweimal Spitzenkandidatin. Da ist es dann auch mal an der Zeit, Platz für Neue zu machen! Außerdem war mir eine ordentliche Übergabe wichtig – man braucht Zeit, um sich in dieses Amt einzuarbeiten.
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