Proteste gegen die AfD: Antifaschismus ist wieder „in“

Tausende Menschen stellen sich dem Rechtsruck entgegen. Initiativen schmieden Bündnisse, organisieren Proteste und diskutieren über ein AfD-Verbot.

Demonstrant:innen vor dem Brandenburger Tor

Vor dem Brandenburger Tor demonstrierten am Sonntag 25.000 Menschen gegen die AfD Foto: dpa

BERLIN taz | Fast fünf Jahre ist es her, als das letzte Mal so viele Menschen gegen die AfD und den gesellschaftlichen Rechtsruck in Berlin auf die Straße gingen wie an diesem Sonntag. Damals hatte zunächst im Mai eine bundesweite AfD-Demonstration den massiven Protest der Zivilgesellschaft mobilisiert: Mindestens 25.000 Menschen, nach Angaben der Veranstalter gar dreimal so viele, waren den Aufrufen der Clubszene und anderer Akteure gefolgt. Nach den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz folgte im Oktober 2018 der Protest des Unteilbar-Bündnisses mit mehr als 200.000 Teilnehmer:innen.

Doch danach blieben annähernd große Mobilisierungen aus, trotz der weiteren Radikalisierung der AfD zu einer Partei, in der der faschistische Flügel den Ton angibt, trotz Wahlerfolgen in Serie und ihrem Aufstieg zur stärksten Partei in den ostdeutschen Bundesländern samt der Übernahme erster kommunalpolitischer Machtposten. Als im Oktober 2022 erneut 10.000 AfD-Anhänger:innen im Regierungsviertel zusammenkamen, war vom Gegenprotest kaum mehr etwas zu vernehmen: Antifaschistische und zivilgesellschaftliche Strukturen schauten wie gelähmt auf die Rechten, die inzwischen offen von der Machtübernahme träumen.

Seit diesem Wochenende aber ist das vorbei. 25.000 Menschen vor dem Brandenburger Tor und 10.000 in Potsdam zeigen: Der Rechtsruck muss kein Naturereignis sein, dem man nur staunend beiwohnen kann. Es sind viele, die jetzt aktiv sein wollen, weil sie mit großer Sorge auf die bevorstehenden Wahlen für das Europaparlament und die Landtage in Brandenburg, Sachsen und Thüringen blicken.

In die Lücke, die durch die Auflösung von Unteilbar und die Handlungsunfähigkeit antifaschistischer Vernetzungen entstanden ist, stoßen dabei nun andere Akteure, wie etwa Fridays for Future, die den Protest am Sonntag initierten. Der Startschuss für die Proteste machte derweil eine Kundgebung am Freitagabend vor dem Kanzleramt, auf der bis zu 1.000 Menschen die Prüfung eines AfD-Verbots forderten.

Ein loses Bündnis aus Einzelpersonen hatte sich nach der Correctiv-Recherche über rechte Deportationspläne über die sozialen Meiden zusammengefunden und den spontanen Demo-Aufruf gestartet. Man wollte die „Initialzündung“ sein, sagt Gruppensprecher Justus Hirsch der taz. Dies hätte „gut funktioniert“. Die namenlose Gruppe plant bereits die nächste Demonstration, um ihrem Anliegen des Parteiverbots Nachdruck zu verleihen.

Neues Bündnis entsteht

Der Druck aus der Zivilgesellschaft muss größer werden. Da ist sich auch Tareq Alaows vom neuen Bündnis Hand in Hand #Wirsinddiebrandmauer sicher, das sich am Mittwoch der Öffentlichkeit vorstellen will. Seit dem vergangenen Jahr arbeite man am Aufbau einer großen Struktur, „um den anhaltenden Rechtsruck zu bekämpfen“, wie Alaows sagt. Mittlerweile zählt das Bündnis über 120 Organisationen, von Pro Asyl über Aufstehen gegen Rassismus bis Fridays for Future Berlin. Die Auftaktveranstaltung ist für den 3. Februar geplant: eine Menschenkette um den Bundestag. „Wenn die politische Brandmauer bröckelt, dann sind wir in der Zivilgesellschaft eure Brandmauer“, sagt Alaows.

Das Bündnis tritt für eine deutlichere Abgrenzung der demokratischen Parteien von der AfD ein. Wichtig sei es, so Aloaws, sich nicht an den politischen Themen der Rechten abzuarbeiten, sondern ernsthafte Debatten über die Bewältigung der multiplen Krisen unserer Zeit zu führen.

Froh über die neue Aufbruchstimmung ist man bei den Berliner Omas gegen Rechts: „Ich hoffe, das ist jetzt der Wendepunkt im Kampf gegen die AfD“, sagt Renate Christians. Überrascht seien die Omas von dem „Geheim-Treffen“ mit Nazis und den „Remigrationsplänen“ nicht. Über diese hätte schon der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in seinem Buch geschrieben.

Christians sagt, die neueste Recherche habe viele Menschen von ihren Sofas runter auf die Straße geholt: „Auch wir Omas haben jetzt großen Zulauf, es gibt viele neue Interessenten“. Bei der Demo am Sonntag seien sie zudem von Menschen aus Brandenburg angesprochenen worden, die dort jetzt Strukturen gegen rechts aufbauen wollen.

Brandenburg braucht Hilfe

Auch bei der Initiative „Kein Raum der AfD“ schaut man nach Brandenburg: „Es ist nicht viel schwerer nach Oranienburg zu fahren als zum Brandenburger Tor“, so ein Sprecher zur taz. Die Gruppe plädiert dafür, die AfD im Lokalen zu stellen, „beim Straßenwahlkampf und bei Festveranstaltungen“. In der Vergangenheit hatte man oft erfolgreich bereits im Vorfeld gegen geplante AfD-Parteitage interveniert, aber zuletzt sei die „Brandmauer gebröckelt“, falle es der AfD einfacher Räume zu mieten, etwa in Bezirksrathäusern.

Seit dem gescheiterten Protest gegen den AfD-Parteitag in Biesdorf 2021 ist es für die Initiative immer schwieriger geworden, Proteste zu organisieren: „Wir haben lange in den Wald hineingeschrien, ohne dass da was zurückkam.“ Dabei habe es Anlässe genug gegeben: So habe im Wilmersdorfer Restaurant „Grüne Lampe“ im Sommer vergangenen Jahres Martin Sellner, Kopf der Identitäten Bewegung, sein Buch vorgestellt. Im Publikum: Prot­ago­nis­t:in­nen der Berliner AfD.

In der Berliner AfD ist trotz des zurückhaltenderen Stils der Vorsitzenden Kristin Brinker die Grenze zur völkisch-nationalistischen Strömung längst verwischt. Brinker hat die rechtsextremen Netzwerke eingebunden und sich damit zweimal bereits ihre Wahlen zur Landesvorsitzenden gesichert. Der ehemalige Flügel-Obmann Thorsten Weiß sitzt im Fraktionsvorstand, ebenso sind ehemalige Flügel-Leute im Landesvorstand aktiv.

16. Januar, 18.30 Uhr: Kein Raum der AfD protestiert vor dem rechten Treffpunkt Maestral in Reinickendorf gegen einen AfD-Stammtisch.

17. Januar, 18 Uhr: Das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus und der Runde Tisch Antifaschismus Berlin rufen zu einer Demonstration vor das Rote Rathaus.

22. Januar, 17:15 Uhr: Vor dem braunen Haus in Blankenburg demonstrieren die Omas gegen Rechts gegen einen AfD-Stammtisch.

3. Februar: Menschenkette um den Reichstag durch das neue Bündnis Hand in Hand #Wirsinddiebrandmauer gegen die Deportationspläne der AfD.

In einem Lokal am Rande von Berlin in Hoppegarten finden immer wieder Vernetzungstreffen, Vorträge und „Bürgertreffs“ der AfD, völkischer Ak­ti­vis­t*in­nen und Neonazis statt. So veranstaltete der Flügel-Obman Weiß dort im Oktober 2022 eine Veranstaltung mit Höcke, zuletzt lud die extrem rechte Junge Alternative Brandenburg dort zu einer Jahresabschlussfeier. Gäste und Programm erinnerten dabei an ein klassisches Rechtsrock-Konzert.

Ein Unikum ist die AfD Berlin, weil sie eine mutmaßliche Rechtsterroristin auf ihrer Wahlliste bei der Berliner Wiederholungswahl stehen hat. Weil dieselbe AfD-Landesliste wie zur Bundestagswahl 2021 zum Zuge kommen muss, ist die vor gut einem Jahr als Reichsbürger-Verschwörerin festgenommene ehemalige Bundestagsabgeordnete, Birgit Malsack-Winkemann, erneut für die AfD wählbar – obwohl diese derzeit im Gefängnis sitzt.

Debatte über AfD-Verbot

Gute Argumente eigentlich für eine Initiative für ein AfD-Verbotsverfahren. Die Debatte über ein Parteiverbot hatte das Künstlerpolitkollektiv Zentrum für politische Schönheit im November angestoßen, als sie Olaf Scholz (SPD) die Verkündung eines Verbotsantrags in den Mund legten. Doch die schwarz-rote Koalition in Berlin, die einen entsprechenden Antrag im Bundesrat stellen könnte, will davon – zumindest derzeit – wenig wissen.

So warnt der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Matz, vor Schnellschüssen. „Das muss man sehr, sehr genau prüfen. Wenn man ein solches Verfahren anfängt, sollte man sich vorher schon recht sicher sein, dass das auch was wird“, sagt Matz zur taz.

Dass der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) jetzt gegenüber dem Tagesspiegel als „gemeinsame Kraftanstrengung der demokratischen Parteien“ gegen die AfD ausgerechnet ein „Umsteuern“ in der Geflüchtetenpolitik und eine weitere Begrenzung der „illegalen Migration“ ins Spiel gebracht hat, hält Matz für „total kontraproduktiv“. Man müsse über Migration sprechen. „Aber so ist es die alte Debatte, ob man Rechtsextremisten bekämpft, indem man ihnen entgegenkommt. Ich kenne kein Beispiel, wo das erfolgreich war.“

Beim Koalitionspartner wird das naturgemäß anders gesehen. „Die Menschen erwarten politische Taten in der Sache“, sagt CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger zur taz. Die ganze Diskussion über ein AfD-Verbot halte er für eine „Kapitulation beim Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen“ und „spießbürgerliche Bequemlichkeit“. Sie sei schon deshalb „völlig falsch, weil sie das Narrativ der AfD bedient, man wolle einen lästigen Wettbewerber loswerden und nur dazu führt, dass die AfD gestärkt wird“.

Initiativen wie „Hand in Hand“ diskutieren derzeit noch ihre Position zu einem AfD-Verbot. Die Haltung der etablierten Parteien aber stößt vielfach auf große Kritik. So sagen die Sprecherinnen von „Kein Raum der AfD“: „Wir setzen nicht auf die Parteien, deren Strategie es bislang war, rassistische Forderungen der Rechten zu imitieren.“ So oder so bleibt die Zivilgesellschaft gefragt. An Aufrufen und Anlässen für Proteste in der nächsten Zeit mangelt es nicht.

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