Protest gegen AfD-Demo in Berlin: Antifaschistische Blamage

Zur AfD-Demo am Samstag erschienen bis zu 10.000 Menschen, zu den Gegenprotesten kamen nur etwa 1.500. Wie konnte das passieren?

Demonstranten nehmen an einer Demonstration der AfD unter dem Motto «Energiesicherheit und Schutz vor Inflation – unser Land zuerst» teil. Sie schwenken Reichsflaggen.

„Unser Land zuerst“ – aber welches Land?! Foto: dpa | Fabian Sommer

BERLIN taz | Für die AfD war der Samstag ein großer Erfolg. Statt der angemeldeten 4.000 Teilnehmenden zogen laut Polizei 10.000 Rechte durchs Regierungsviertel. Unter dem Motto „Unser Land zuerst“ wollte die AfD den „heißen Herbst“ eröffnen. Um soziale Entlastungen ging es auf der Demo dann aber wenig, stattdessen wurde das Ende der Sanktionen gegen Russland und das Öffnen der Gaspipeline Nordstream 2 gefordert. Presseteams wurden attackiert, rechtsextreme Parolen gerufen, vereinzelt Hitlergrüße gezeigt.

Dem Erfolg der AfD steht eine Blamage des linken Gegenprotests gegenüber. Obwohl das Clubbündnis Reclaim Club Culture mobilisierte, obwohl zahlreiche Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und zivilgesellschaftliche Initiativen zum Gegenprotest aufriefen – letztlich erschienen sind laut Polizeiangaben nur 1.500 Berliner:innen. Ein Grund mag sein, dass die Mobilisierung für den Gegenprotest kaum drei Wochen lief. Für erfolgreiche Blockadeversuche, etwa auf der Friedrichstraße, fehlte so schlicht die Masse. Die wenigen Aktivist:innen, die es dennoch versuchten, konnte die Polizei schnell räumen.

Ungestört laufen konnten die Rechten zwar nicht: An zahlreichen Stellen, etwa an der Ebertstraße, am Pariser Platz oder am Potsdamer Platz, schallten ihnen antifaschistische Sprechchöre entgegen. Einige Linke crashten die AfD-Demo, indem sie sich vorne in den Zug einreihten und ein Transparent mit der Aufschrift „Preisdeckel, Umverteilung, Vergesellschaftung, Solidarität – alles, was es braucht, lehnt die AfD ab“ hochhielten. Und die Ak­ti­ons­künst­le­r:in­nen vom Zentrum für Politische Schönheit ließen in der Friedrichstraße Tausende zerschredderte Parteiflyer über die AfDler regnen. Dennoch: Eine Massenmobilisierung sieht anders aus.

Wut war kaum zu spüren

Wie konnte es passieren, dass die AfD in einer Stadt derart ungestört aufmarschieren kann, die sich doch ihrer angeblich so großen, links-alternativen Szene rühmt?

Noch im Mai 2018, als die AfD sich hier das letzte Mal an einer Großdemo versuchte, stellten sich über 70.000 Menschen den 3.000 Rechten entgegen. Fast vollständig umzingelt traten die AfDler vor dem Brandenburger Tor auf der Stelle, von überall schallten ihnen Beschimpfungen, Sprechchöre und Technobeats entgegen. Im Oktober desselben Jahres demonstrierten 240.000 Menschen auf dem Protest des inzwischen aufgelösten „Unteilbar“-Bündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung.

Von diesem Aufbegehren der Zivilgesellschaft gegen die Erfolge der Rechten war am Samstag kaum noch etwas zu spüren. Etwas Partyvolk ravte zum „AfD wegbassen“-Protest – doch wo die Rechten in vielfacher Überzahl waren, wirkte das trotzdem nicht so selbstbewusst wie beabsichtigt. Schwarz gekleidete Antifas standen etwas überfordert wirkend herum. Wer sich hier aus der bürgerlichen Mitte gegen Nazis stellte und wer einfach nur Tou­ris­t:in war, war nicht klar zu sagen. Von Wut über den Umstand, dass eine von Fa­schis­t:in­nen durchsetzte Partei durch das Zentrum der deutschen Hauptstadt läuft, war kaum noch etwas zu spüren.

„Es ist drastisch, dass die AfD mit so vielen Menschen ihre Hetze verbreiten konnte und dass sich ihr nur deutlich weniger Menschen entgegengestellt haben“, sagt auch Irmgard Wurdack, Geschäftsführerin vom Bündnis Aufstehen gegen Rassismus, der taz. Der Tag zeige, dass die „gesamtgesellschaftliche Linke über die Coronazeit an Muskeln und Zuversicht verloren“ habe.

Berlin, wo waren deine Linken?

Rechtsoffene Gruppen hätten sich in der Pandemie Räume nehmen können, gleichzeitig sei die AfD Normalität geworden. Für die Gegenproteste hätten sich viele Bünd­nis­part­ne­r:in­nen abstimmen müssen, es sei deshalb nicht viel Zeit für Mobilisierung geblieben, sagt Wurdack. Ihr Fazit ist dann auch gar nicht negativ: „Angesichts der Bedingungen bin ich noch froh, dass wir doch so viele Leute mobilisieren konnten.“

Kritik übte sie an der Einsatztaktik der Polizei. Diese habe das Reichstagsgebäude so weiträumig abgegittert, dass es viele Menschen gar nicht zum Protest geschafft hätten. Die Zubringerdemo, die vom Hauptbahnhof zum Platz der Republik führte, sei „ewig aufgehalten“ worden. Entgegen der Zusagen der Polizei habe es keinen direkten Zugang vom Hauptbahnhof zur Auftaktkundgebung gegeben.

Rechtfertigen kann all das diesen antifaschistischen Misserfolg aber nicht. Auch die Tatsache, dass gleichzeitig 400 Menschen im Wedding für mehr soziale Hilfen in der Inflation demonstrierten oder dass 1.000 Menschen an der Technischen Universität an der Vergesellschaftungskonferenz teilnahmen, reicht nicht als Erklärung für die mangelnde Mobilisierungsfähigkeit der linken Akteur:innen. Noch vor wenigen Jahren galten Proteste gegen Nazis als Pflichtveranstaltungen. Die Frage, die vom Wochenende bleibt: Berlin, wo waren am Samstag deine Linken?

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