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Kurzsichtige Medienberichte über IranVerteufelte Ira­ne­r*in­nen

Kommentar von Leyli Nouri

Für die deutschen Medien ist die iranische Gesellschaft nichts weiter als eine Projektionsfläche. Wie sonst wurden aus Fe­mi­nis­t:in­nen Islamist:innen?

Straßenszene in Teheran, Juni 2023 Foto: Morteza Nikoubazl/NurPhoto/imago

L iebe deutsche Me­di­en­ma­che­r*in­nen und Politiker*innen, bitte entscheidet euch! Sind wir Ira­ne­r*in­nen jetzt Terroristen oder nicht? Denn die Verwirrung wird mit jeder neuen Schlagzeile größer und schließlich müssen meine Kinder wissen, was aus ihnen mal werden soll. Was sind wir also? Vorbildliche Feminist*innen? Kopftuchhassende Islamfeinde? Oder doch fanatisch Religiöse aus dem Mittleren Osten?

Nach all den „Frau, Leben, Freiheit“-Rufen, dem Haareabschneiden und leeren Versprechen ist es erstaunlich zu sehen, wie schnell sich Narrative ändern. Sobald die Möglichkeit verpufft, unterdrückte Frauen durch ein westliches Hilfsprojekt zu befreien, wird die alte Route eingeschlagen. Seit dem IS-Anschlag in Kerman ist es nämlich wieder en vogue, Nahaufnahmen von Israel und Amerika verteufelnden Ira­ne­r*in­nen auf allen deutschen Medien abzuspielen.

Ein ZDF-Beitrag zeigt etwa einen Mob wütender Männer, die den Hassreden Chomeinis zujubeln. Grund für die erschreckenden Nahaufnahmen ist die bis dahin noch nicht aufgeklärte Explosion in Kerman. Die „Tagesschau“ vermeldet, dass, „egal ob Opposition oder nicht“, alle den ermordeten Offizier verehren.

Dass beim letzten Todestag Soleimanis Menschen „Koteletts“ verteilten und seinen Tod feierten, wurde vergessen. Auch unzählige Proteste, die sich gegen die Israel-Politik Chomeinis wandten, bleiben außen vor. Die iranische Bevölkerung hat sich von überraschend feministisch zu rückständig islamistisch verwandelt.

Weder fundamentalistisch noch regimeverherrlichend

Geschichten wie die von Roya Heshmati gehen unter. Die Aktivistin wurde zu 74 Peitschenhieben verurteilt, der Grund: Sie wollte den Hidschab nicht tragen. Geschichten wie die der Aktivistin gefährden die deutsche Außenpolitik, etwa die kürzlich beschlossene Aufhebung des Abschiebestopps nach Iran, verweist sie doch auf einen weiterführenden Kampf, der weder fundamentalistisch noch vor allem regimeverherrlichend ist. Mehr als ein Jahr „Jin, Jiyan, Azadi“ ist die iranische Bevölkerung hierzulande nichts weiter als eine Projektionsfläche.

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10 Kommentare

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  • Die iranische Bevölkerung ist für viele deutsche Medien wohl tatsächlich eine Projektionsfläche. Viel problematischer als solche Vorfälle wie bei der Tagesschau sind allerdings die vielen medialen Auftritte angeblicher "Iran-Experten", die mit bemerkenswerter Vehemenz und absurden Argumenten das Atomabkommen verteidigen.

  • Die Aufhebung des Abschiebestopps bezieht sich auf die Freunde und Anhänger des Mullah-Regimes, nicht auf dessen Gegner. Das nützt auch den Iranern in Deutschland, die von Agenten des Regimes bis ins Ausland verfolgt werden. Die kann man gar nicht schnell genug in den Iran abschieben. Es sind Verbrecher.

    • @Winnetaz:

      Nein. Der Abschiebestopp bezieht sich auf alle in Deutschland befindliche Iraner, wer dann tatsächlich abgeschoben wird hängt davon ab wem ‚erhebliche Gefahr‘ im Iran droht. Das aber ist ein Maßstsb der sehr anfällig dafür ist, was man gerade möchte, etwa hohe Abschiebungszahlen erwirken, die ja auch irgendwo her müssen. Es sei erinnert an den iranischen Mann in Passau, der in die Ausländerbehörde unter falschem Vorwand gelockt wurde, um abgeschoben zu werden. So wie die langjährige Abschiebepraxis nach Afghanistan.



      Wieso werden solche Falschbehauptungen überhaupt durchgelassen?

  • "Ein ZDF-Beitrag zeigt etwa einen Mob wütender Männer, die den Hassreden Chomeinis ..."

    Heißt der Mann nicht Chamenei?

  • Können denn Menschen in anderen Staaten überhaupt etwas anderes als Projektionsfläche sein?

    Zumindest für diejenigen, die bestenfalls mal für kurze Zeit im Land waren und die Sprache nicht sprechen.

    Auch Deutsche sind im Ausland überwiegend Projektionsfläche.

    Wenn jemand aus dem Ausland seine Sicht auf Deutschland erklärt, erzählt er auch meist mehr über sich, seine Wünsche und seine Ängste als über die Menschen in Deutschland.

    Medien werden halt von Menschen gemacht.

  • "Sind wir Ira­ne­r*in­nen jetzt Terroristen oder nicht? Was sind wir also? Vorbildliche Feminist*innen? Kopftuchhassende Islamfeinde? Oder doch fanatisch Religiöse aus dem Mittleren Osten?"

    Nun, ich kenn persönlich niemanden aus dem Iran. Aber ich geh davon aus, dass die Menschen dort wie in allen anderen Ländern auch sehr unterschiedlich sind. Und wie es auch in Deutschland Feminstinnen, kopftuchhassende Islamfeinde, fanatische Ideologen gibt, wirds die wohl auch alle im Iran geben.



    Wenn bei uns auf der Straße ein wütender Mob auf der Straße Fahnen verbrennt, wie erst kürzlich bei Gaza Demonstrationen oder wenn extremistische Fahnen geschwenkt werden, wie gestern in Dresden, dann wird das natürlich in Nahaufnahme gezeigt. Denn das ist genauso Deutschland, wie es Klimaproteste sind.



    Und wenn die häßlichen Seiten einer Gesellschaft so marginal wären, dass sie nicht relevant wären, wenn die Deutschen die Nazis, und die Iraner die Islamisten in die Wüste gejagt hätten, dann bräuchts auch keine Berichte über Aktivisten mehr.

    • @Deep South:

      Das ist nicht genauso wie Klimaproteste oder andere Menschenansammlungen in Deutschland, weil der Iran als autoritäres Regime gezielt Bilder inszeniert, um einen Rückhalt in der Bevölkerung vorzugeben - kurz: “wir sind das Volk“. Dass der ZDF darauf reinfällt und damit die Propaganda nochmal verstärkt ist die Kirsche auf der Sahnetorte.

      • @Ibrahimo:

        Das war wohl etwas mißverständlich. Mit dem Vergleich zu den Klimaprotesten hab ich die Bilder von den Protesten der Iraner gegen die Religionspolizei und das Regime gemeint. Die waren sicher nicht vom Staat inszeniert, haben aber auch nicht alle Iraner repräsentiert.

  • Mit Verlaub, aber was ist das denn für ein einfaches schwarz-weiß Weltbild der Autorin? Entweder besteht die iranische Bevölkerung ausschließlich aus Feministen oder Islamisten?

    Als ob nicht beides wahr wäre. Einerseits gibt es den "Mob wütender Männer, die den Hassreden Chomeinis zujubeln. Grund für die erschreckenden Nahaufnahmen ist die bis dahin noch nicht aufgeklärte Explosion in Kerman.", den das ZDF zeigte. Und andererseits gibt es Menschen, wie "Roya Heshmati. Die Aktivistin wurde zu 74 Peitschenhieben verurteilt, der Grund: Sie wollte den Hidschab nicht tragen."

    Beides ist wohl wahr (und wenig überraschend). Wäre der Iran ein feministisches Paradies, müssten wohl die Frauen nicht mit „Jin, Jiyan, Azadi“ gegen die Regierung protestieren. Gäbe es den "Mob wütender Männer, die den Hassreden Chomeinis zujubeln" nicht, wäre die Lage der Frauen nicht so prekär, dass sie auf die Straße gehen müssten.

    Im Sinne umfassender Berichterstattung erwarte ich Berichte über beides: Den Befreiungskampf der Frauen und die Repression gegen sie. Angesichts dessen muss man dem Aufruf der Autorin "Liebe deutsche Me­di­en­ma­che­r*in­nen und Politiker*innen, bitte entscheidet euch!" ein vehementes "Nein!" entgegensetzen.

    Es bedarf Berichte über Beides: Islamisten UND Feministen, Befreiungskampf UND Unterdrückung, Regierung UND Opposition. Bei ihrer Forderung nach einseitiger Berichterstattung übersieht die Autorin grundlegende journalistische Prinzipien in Form der umfassenden und wahrhaften Berichterstattung. Es ist gut, wenn diese Prinzipien eingehalten werden.

    • @Kriebs:

      Ich denke der Autorin ist, sofern Sie gesunden Menschenverstand besitzt, wovon ich ausgehend vom sehr gut getroffenen Beitrag ausgehen darf, bekannt, dass die Peitschhiebe gegen Heshmati nicht von Zauberhand angeordnet und ausgeführt werden. Sie haben elementare Aussagen des Artikels nicht verstanden, insbesondere streitet die Autorin nicht dafür, einseitige Bilder zu zeichnen, sondern greift das des ZDF an, das Inszenierungen autoritärer Regimente einfach abkauft.