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Thyssen-Stahlhütte in Duisburg, 1987 Foto: Sven Simon/imago

Studie zu Gerechtigkeit beim KlimaschutzDas Konto ist längst überzogen

Das CO2-Budget für das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderhitzung schrumpft. Eine Studie zeigt: Reiche Länder haben ihren Anteil vor Jahrzehnten aufgebraucht.

D as Bibelgleichnis vom verlorenen Sohn erzählt von einem Mann, der sich früh sein Erbe auszahlen lässt und es verprasst. Er kehrt verarmt zum Vater zurück, der ihn freudig wieder aufnimmt. Der andere Sohn, der zu Hause geblieben war, beschwert sich über das Verhalten des Vaters.

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In der Bibel soll das Gleichnis von der Barmherzigkeit Gottes erzählen. Aber ist das gerecht? Dürfen Menschen, die ihren Anteil schon verprasst haben, noch weiter vom Anteil der anderen leben?

Diese Frage dürfte in den kommenden Wochen bei der Klimakonferenz COP28 wieder aufkommen. Reiche Länder wie die USA oder Deutschland haben lange vor anderen angefangen, fossile Energieträger zu verbrennen. Sie haben sich mit der so gewonnenen Energie industrialisiert und sich einen wirtschaftlichen Vorsprung gesichert. Und sie haben die Welt an den Rand des Klimakollapses gebracht.

Wie gerecht ist es nun, dass diese Länder noch mehrere Jahrzehnte Treibhausgase emittieren wollen, während viele Menschen auf der Welt kaum Zugang zu Energie haben? Und was, wenn diese Menschen in Ländern leben, die historisch wenig zur Klimakrise beigetragen haben?

Die fossile Energie der Welt kann man wie ein riesiges Erbe verstehen. Kohle und Erdöl haben sich vor Millionen von Jahren aus Abbauprodukten von toten Pflanzen und Tieren entwickelt. Werden sie nun verbrannt, gelangen Kohlenstoffe, die lange Zeit weggeschlossen waren, in die Atmosphäre und heizen die Welt auf.

Und sie bescheren der Menschheit einen einmaligen Reichtum an Energie. Würde man dieses Erbe gerecht verteilen, stünde allen gleich viel zu.

Manche Länder emittieren schon viel länger als andere

In der Klimapolitik haben sich in den vergangenen Jahren sogenannte CO2-Budgets etabliert. Diese geben an, wie viel Kohlenstoffdioxid noch ausgestoßen werden kann, um die Erderhitzung so minimal wie möglich zu halten. In der Regel werden die Budgets ab dem Jahr 2015 berechnet, dem Jahr, in dem das Pariser Klimaabkommen beschlossen wurde. Das Abkommen definiert eine Grenze von 1,5 Grad beziehungsweise „deutlich unter 2 Grad“ im Vergleich zum vorindustriellen Niveau.

Doch was passiert, wenn man berücksichtigt, dass manche Länder schon viel länger emittieren als andere?

Die Wissenschaftler Andrew Fanning und Jason Hickel rechnen in einer aktuellen Studie mit Budgets, die im Jahr 1960 ansetzen. Sie kalkulieren, wie viel CO2 seitdem emittiert werden durfte, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, und verteilen dieses zu gleichen Teilen auf alle Menschen.

Historische Verantwortung berechnen

Die CO2-Emissionen von Ländern werden selbst heute nicht gemessen, sondern anhand von Wirtschaftsdaten geschätzt. Für die Vergangenheit sind solche Berechnungen komplexer, weil Wirtschaftsdaten lückenhafter sind. Außerdem haben sich während dieser Zeit Grenzen verschoben, manche Länder sind verschwunden oder neu entstanden.

Hinzu kommt die Frage, ob Emissionen dem Ort zugerechnet werden sollen, wo sie tatsächlich entstehen (Territorial-Emissionen), oder dort, wo die Güter später verwendet werden (Konsum-Emissionen). Letzterer Zugang wird allgemein als gerechtere Zuordnung von Verantwortung angesehen, entsprechende Datensätze gibt es aber nur seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Datensätze, die Emissionen seit 1850 zählen, geben Territorialemissionen an.

Für die Studie berechnen Fanning und Hickel zur Kontrolle auch, wie sich ihre Ergebnisse verändern, wenn sie statt Anfangsjahr 1850 oder 1992 annehmen. In beiden Fällen überziehen die Länder des Globalen Nordens ihren fairen Anteil für sowohl das 1,5- als auch das 2-Grad-Ziel aus dem Pariser Abkommen.

Anhand der Emissionen seit 1960 und der jährlichen Bevölkerungszahlen für 168 Länder berechnen sie, wann diese ihre Budgets für die 1,5- und 2-Grad-Ziele aus dem Pariser Abkommen aufgebraucht haben. Die 39 Länder aus dem Globalen Norden haben demnach ihren fairen Anteil für das 1,5-Grad-Ziel im Durchschnitt 1986 aufgebraucht. Die 129 Länder des Globalen Südens werden ihren Anteil durchschnittlich erst 2048 aufgebraucht haben – selbst wenn sie jetzt keinen weiteren Klimaschutz betreiben.

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Deutschland überschritt schon Anfang der 1980er Jahre das faire Budget für 1,5 Grad Klimaerhitzung. Das heißt: Jede Autofahrt, jeder Flug, jede genutzte Öl- oder Gasheizung seit damals sind der deutsche Beitrag an einer Welt, die heißer wird als 1,5 Grad. Wenn die Bundesregierung sich nun Zeit bis 2045 nehmen will, damit Deutschland klimaneutral wird, ist sie also mehr als ein halbes Jahrhundert zu spät dran.

China hat erst 58 Prozent seines Budgets aufgebraucht

Oft wird in der Diskussion um Klimaschutz auf große Entwicklungsländer wie Indien oder China verwiesen. Die Emissionen pro Person in China nähern sich derzeit jenen Europas an, und Indien verbrennt weiterhin viel Kohle, um Strom zu produzieren. Würden sich alle Menschen in den beiden Milliardenländern ein Auto kaufen wollen, wäre Klimaschutz unmöglich. Doch der Blick auf die historischen Emissionen zeigt ein anderers Bild. China hat bisher nur 58 Prozent des dem Land zustehenden CO2-Budgets aufgebraucht, Indien gar erst 15 Prozent.

Fanning und Hickel stellen aber auch eine weitere Frage: Bei welcher Menge an Emissionen wäre die Klimakrise nicht ausgelöst worden? Ihre Antwort: Bei einem Anteil von 350 Millionstel CO2 in der Atmosphäre. Mit diesem Wert, der 1988 erreicht wurde, hätte sich die Erde nur um etwa 0,5 Grad aufgeheizt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Menschheit die größtmögliche Menge an fossiler Energie freigesetzt, ohne dass das Klima grundsätzlich gefährdet worden wäre.

Die 39 Länder des Globalen Nordens haben diese Schwelle im gemeinsamen Durchschnitt bereits 1969 erreicht, die 129 Länder im Globalen Süden waren erst 2012 so weit. Wenn man wie die Autoren der Studie alle Emissionen, die das 0,5-Grad-Budget überschreiten, als „Überschuss-Emissionen“ begreift, die zur Destabilisierung des Klimas beigetragen haben, zeigt sich: 91 Prozent dieser Überschuss-Emissionen sind auf den Globalen Norden zurückzuführen. Für die Klimakrise ist der Globale Norden verantwortlich.

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Und so unterscheidet sich die Realität deutlich von der biblischen Erzählung vom verlorenen Sohn. Dieser kommt verarmt, reumütig und bescheiden zu seinem Vater zurück, aber die Länder im Globalen Norden sind weder verarmt, noch sind sie bereit, ihre übergroße Verantwortung für die Klimakrise anzuerkennen und entsprechend zu handeln. Und sie gefährden damit andere, denn die Länder, die heute am meisten durch die Klimakrise gefährdet sind, haben in der Regel am wenigsten zu ihr beigetragen.

2000 Jahre lang zurückzahlen?

Wie kann also ein Ausgleich aussehen? Sollten die Länder des Globalen Nordens einen Teil ihres Reichtums abgeben?

In ihrer Studie arbeiten Andrew Fanning und Jason Hickel mit einem Szenario, in dem bis 2050 die 1,5-Grad-Grenze eingehalten wird. Sie berechnen, wie viel Ausgleich die Länder mit den Überschussemissionen an die anderen Länder zahlen müssten. Anhand von steigenden CO2-Preisen aus den Szenarien des IPCC beziffern sie die Ausgleichszahlungen auf 192 Billionen Dollar – also 192.000 Milliarden Dollar.

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Eine gigantische Zahl. So beträgt das deutsche Bruttoinlandsprodukt, also der Wert aller in einem Jahr hergestellten Güter und Dienstleistungen, 4 Billionen Dollar.

Derzeit wollen die reichen Länder der Welt 100 Milliarden Dollar jährlich an den Globalen Süden für Klimaschutz- und Anpassungsprojekte zahlen – diese Zahlungen müssten fast zwei Jahrtausende weiterlaufen, um diese Summe zu erreichen.

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11 Kommentare

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  • Zahlen bitte !



    Da geht, so sagt's der Text, eine Variable ins gerechte Rechnen ein, die heißt: "Bevölkerungszahl". V i e l e Leute haben (sollten haben) v i e l e (CO2-)Rechte Kein Zweifel, den sich im 17. bis 19.und 20. Jhdt. über alle Weltmeere ergießenden Bevölkerungsüberschuss des sogenannten Europa sollten wir auch in die Rechnung tun, aber: Seit 1945, 1960, ... hat sich die Menschheit vervier- . verdreifacht, und das war NICHT in den europäischen und europastämmigen 'führenden' Industrieländern, nicht in Japan, nicht mehr in Korea und auch nicht mehr in Thailand Individuum hat je gleiches Recht, zweifelsohne, aber ein heute bevölkerungsexplodierendes Land, als Land, unter Berufung auf seine Einwohnerzahl ? Hier wird nach Ländern gerechnet. Ist deren selbstzerstörerische Form des 'Wachsstums' außer jeglicher Kontrolle kein Faktor bei der Zurechnung von 'Rechten' ?



    "Wir" werden, nachgerechnet, was wir uns über die letzten paar Jahrhunderte alles geraubt haben, kaum besser wegkommen, aber heute generieren ärmere Länder der Welt das Bevölkerungswachstum fast alleine.



    Was, als Chance des Gegensteuerns, sehr für Wohlstand, Bildung, und daraus resultierend Rechte spricht. die Frauen sich erkämpfen können. Und gegen den billigen Extraktionismus, Dumpingpreise für zu uns Importiertes, kurz: unseren Export der Ausbeutung der Arbeiterklasse(n) aus unserer früheren Industrialisierungsphase in den heutigen Rest der Welt, kombiniert mit Beibehaltung des kolonialistischen Wirtschaftens seit 1500/1600 (Plantagen ...).



    Also: Die Rechnung bitte ! Ab 1800 oder so. Getrennt, bitte. Und zusammen.

  • Die Industrialisierung hat einen enormen Wohlstand auf globaler Ebene geschaffen und es den allermeisten Menschen ermöglicht, den nicht attraktiven Lebensbedingungen des Mittelalters zu entkommen. Was ist gut und was ist böse?



    Mit der Beanspruchung der Deutungshoheit für "fair" und "gerecht" lässt sich daraus eine beliebig geartete Darstellung zu Schuld und Sühne ableiten. Wem nutzt es?

    • @alterego:

      Wohlstand auf globaler Ebene ist ja wohl ein schlechter Witz und das Mittelalter war bei uns finster und nicht Global. Viele Kulturen waren zu der Zeit weiter entwickelt als Europa.

      • @Andreas J:

        Jawohl - sehr richtig !

      • @Andreas J:

        Um Gegenteil. Das trifft es hervorragend.

        Im Mittelalter lebten ca. 0.25 Milliarden Menschen auf der Erde. Mit der Industrialisierung waren es im 19. Jahrhundert breits 1. Mrd. Menschen. Heute sind wir mehr als 8 Milliarden auf der Erde.

        Diese 8 Milliarden Menschen leben in deutlich höherem Wohlstand, sicherer und gesünder als die Menschen von 1000 Jahren.

        • @Benzo:

          Das trifft auf uns zu, aber global nicht für alle.

  • Und was ist die praktische Folgerung hieraus?



    Im Grunde gibt es nur eine Antwort auf die Klimakrise:



    Jeder Staat muss wie in einer Kriegswirtschaft auf CO2-Einsparung umschwenken. Und so wie man im 2. Weltkrieg auf Staatskosten tausende Panzer gebaut hat, müssen wir tausende Windräder, Wärmedämmungen und Solaranlagen aufbauen.



    Und ja, die Reichen müssen den Armen helfen, national und international.



    Aber sonst ist diese Studie ziemlich nutzlos.

  • 100 Milliarden? Jährlich? Wenn die Industrieländer auch nur einen zweistelligen Milliardenbetrag jährlich als Ausgleich zustande bringen, wäre ich schon sehr überrascht.



    Da wird kein großes Geld fließen. Es wird auch kein effektiver Klimaschutz betrieben. Denn beides steht der Maxime des maximalen kurzfristigen Profits entgegen.



    Und dem unterwirft sich in den kapitalistischen Demokratien alles und jeder, der irgendwie auch nur ein Minimum an politischer oder wirtschaftlicher Verantwortung besitzt.

  • Die differenzierte analytische Betrachtung der annoncierten Berechnung ist schwierig, weil durch Interdependenzen inkl. Lieferketten hoch komplex, Wertschöpfung und Nutzung als Anwend_er und Verbrauch_er sind oft schon geografisch different. Internationale Konzernstrukturen und Nationalstaaten sind sehr unterschiedliche Ebenen.



    Die Umweltkosten beim Verursach_er und Auftraggeb_er transparent zu verbuchen ist schwer objektivierbar.



    "Hohe CO2-Emissionen in Deutschland durch Exporte



    In Deutschland fielen 2004 rund 300 Millionen



    Tonnen Kohlendioxid (CO2) bei der Herstellung von Exportgütern an.



    Das sind knapp 43% der gesamten Emissionen der inländischen



    Produktionsbereiche in Höhe von 700 Millionen Tonnen CO2."



    Quelle presseportal.de



    Interessant ist, dass gerne aus der Politik auf die Verantwortung der VerbraucherInnen abgehoben wird, jede(r) kann das nachrechnen. Es bleibt selbst bei strikter Sparsamkeit frustrierend, die eigenen Werte kritisch zur Kenntnis zu nehmen.



    bundesregierung.co2-rechner.de/de_DE/



    /



    "Die taz legt in einer Serie offen, wer den Klimaschutz verhindert."



    taz.de/Verfehlte-Klimaziele/!5915715/

  • Danke für diese anschauliche Darstellung.

    Mein Steckenpferd: wen hier ein*e Forist*in mal wieder zum Besten gibt, das Problem läge an den vielen Menschen "da unten". Da fällt es mir schwer, höflich zu bleiben.

    • @tomás zerolo:

      Danke, Tomá Zerolo, Sie sprechen mir aus der Seele