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Solidarität mit PalästinensernMit vereinter Kraft

Gastkommentar von Elad Lapidot

Protest und Kritik zu verbieten hilft niemandem, denn Juden und Palästinenser ziehen am selben Strang. Solidarität mit den Palästinensern ist notwendig.

Protest gegen die Kämpfe im Gazastreifen in Berlin, 18.11 Foto: Fabian Bimmer/dpa

V iele jüdische Menschen in Deutschland haben sich in den letzten Wochen der extremen Gewalt in Israel und im Gazastreifen nicht nur mit den israelischen Opfern, sondern auch mit den Palästinensern solidarisch gezeigt, sei es als Einzelpersonen oder im Kollektiv. Sie haben an Demonstrationen teilgenommen, offene Briefe unterschrieben und öffentlich Stellung bezogen.

Elad Lapidot

ist Professor für Jüdische Studien an der Universität Lille in Frankreich. Er ist 1976 in Haifa geboren und lebt in Berlin. Sein Buch: „Anti-Anti-Semitismus – eine philosophische Kritik“, erschien 2021 bei Matthes & Seitz, Berlin.

Damit stießen sie nicht selten auf das Unverständnis derer, die die Solidarität der Juden mit den Palästinensern ablehnen und die ihnen vorwerfen, sie seien blind für den Antisemitismus oder würden sogar mit ihm kollaborieren. Hier soll erklärt werden, warum Solidarität mit den Palästinensern heute für den Kampf gegen Antisemitismus notwendig ist.

Vor 80 Jahren verübte Deutschland einen Völkermord am jüdischen Volk, die schlimmste antijüdische Gewalt der Geschichte. Das heutige Deutschland versteht sich als ein neues Deutschland. Dazu gehört die grundsätzliche Verurteilung der eigenen antijüdischen Vergangenheit, tiefgreifende Selbstkritik und Reue. Aus diesem Selbstverständnis resultiert ein kompromissloser Kampf gegen den Antisemitismus. Das ist lobenswert und vermutlich beispiellos in der Geschichte der Nationen.

Die in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen sind dankbar dafür. In Deutschland gibt es heute zwei zentrale Ursachen für Antisemitismus. Das größte Problem ist das Fortbestehen starker rechter, rassistischer und antisemitischer Meinungen und Bewegungen. Ein Rassismus, der sich bereits als tödlich erwiesen hat, wie bei den Anschlägen in Hanau und in Halle. Er richtet sich sowohl gegen Juden als auch gegen die „neuen Semiten“, die Migranten: Araber, Türken, Afrikaner, Muslime.

Israel-Kritik und Judenfeindlichkeit

In der Ära Angela Merkels hat Deutschland der Welt ein bewundernswertes moralisches Vorbild gegeben, indem es Flüchtlinge aufgenommen hat. Gegenwärtig erleben wir eine Gegenreaktion, die sich in der aktuellen Zunahme rechter, einwanderungsfeindlicher Meinungen in AfD-Kreisen, aber auch in der CSU und anderen Parteien zeigt.

Das zweite Problem ist, dass der anhaltende israelisch-arabische Konflikt im Nahen Osten Wut und Hass erzeugt: Juden gegen Araber, Araber gegen Juden. Hintergrund dieser Gefühle ist ein regionaler, politischer Kampf. Doch der Hass wird auf beiden Seiten oft rassistisch, islamophob, antisemitisch, und er reicht weit über den Nahen Osten hinaus. In Zeiten extremer Gewalt und Kriege führt berechtigte Kritik und Protest gegen Israel auch zu ungerechtfertigten Anfeindungen gegen Juden.

Deutschland duldet dies nicht und schützt Juden und Jüdinnen, was lobenswert ist. In Zeiten politischer Turbulenzen, wie der gegenwärtigen Gewalt in Israel und dem Gazastreifen, kann die extreme Sensibilität von Behörden und Institutionen allerdings zu ungerechtfertigter Zensur und Verletzung von Grundrechten führen. Dies war der Fall bei dem Verbot von Solidaritätskundgebungen mit den Palästinensern, das inzwischen von den deutschen Gerichten sogar für verfassungswidrig erklärt wurde.

Das ist auch der Fall bei der Kriminalisierung von Slogans wie „Gleichheit und Freiheit zwischen Fluss und Meer“ oder dem Verbot von Symbolen wie dem Palästinensertuch. Ein weiteres Beispiel sind Ausschlüsse von palästinensischen Künstlern und Intellektuellen, die nicht antisemitisch sind. Abgesehen von der Beeinträchtigung der Demokratie und der Menschenrechte führen diese repressiven Maßnahmen zu einer Stigmatisierung von Arabern, Muslimen und Palästinensern als antisemitisch, und diese Stigmatisierung nimmt oft rassistische Züge an.

Sie weigern sich, Feinde zu sein

Diese rassistische Stigmatisierung wird von rechten Parteien und Akteuren instrumentalisiert, um Araber, Palästinenser und andere Gruppen von Einwanderern und Flüchtlingen zu verunglimpfen und zu diskriminieren. Dies ist der Grund, warum sich rechtsextreme Politiker jetzt als Verfechter des Kampfes gegen Antisemitismus präsentieren. Diese Konsequenz ist besonders unheilvoll, da hier der Kampf gegen den Antisemitismus instrumentalisiert wird, um rassistische und islamfeindliche Politik und Meinungen zu fördern, die sich in ihrer Qualität nicht vom Antisemitismus unterscheiden.

Der deutsche Staat und viele Deutsche verstehen das lobenswerte Gebot, Antisemitismus zu bekämpfen und Juden zu schützen, als bedingungslose Unterstützung des jüdischen Staats Israel. Sie verstehen, dass die Deutschen die Pflicht haben, jede Kritik an der Politik und den strukturellen Problemen Israels, vor allem an der seit Jahrzehnten andauernden Ungerechtigkeit gegenüber dem palästinensischen Volk, zurückzuweisen. Die Gleichsetzung zwischen dem Staat Israel und den Juden ist problematisch.

Sie führt dazu, dass legitime und berechtigte Kritik an Israel generell als antisemitisch delegitimiert wird und Kritiker zum Schweigen gebracht werden. Diese Unterdrückung von Meinungen untergräbt zum einen die Demokratie in Deutschland und blockiert die Diskussion über einen Frieden im Nahen Osten. Nicht zwischen Juden und dem jüdischen Staat zu unterscheiden führt zu Stigmatisierung und Diskriminierung von Palästinensern.

Letztlich verstärkt und reproduziert die Haltung Juden = Israel den Antisemitismus, indem sie die Stimmen bestätigt, die Kritik an Israel fälschlicherweise in Judenfeindlichkeit umwandeln. Aus diesem Grund fühlen sich viele Juden in Deutschland dazu verpflichtet, gegen die Schwächung der Demokratie und die Verschärfung des Antisemitismus vorzugehen.

Diese Stimmen verweigern sich der deutschen Gleichsetzung von Diasporajuden und dem Staat Israel, indem sie sich mit den Palästinensern in Deutschland solidarisieren, auch und gerade in der Zeit des Kriegs im Nahen Osten. Sie weigern sich, Feinde zu sein, wehren sich gegen Rassismus und Antisemitismus und gegen die rassistische Instrumentalisierung des Kampfes gegen Antisemitismus.

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8 Kommentare

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  • Herr Lapidot, kein anderes Land auf der Welt wird so oft und viel kritisiert in D und sonstwo auf der Welt wie Israel. Und ein hoher Prozentsatz der Israelkritik ist antisemitisch motiviert. Israel ist der Jude geworden und für Antisemiten linker, rechter, islamischer Provenienz eine ideale Projektionsfläche, um sich PC auszutoben.

  • Das ist auch der Fall bei der Kriminalisierung von Slogans wie „Gleichheit und Freiheit zwischen Fluss und Meer“.



    In der Form habe ich den Slogan noch nie gehört, und das liegt gewiss nicht nur daran, dass er sich so nicht mehr reimt. In der üblichen Version heißt der „From the River to the Sea, Palestine will be free“ und ist nichts anderes als der Wunsch nach der Vernichtung Israels und der Ermordung oder Vertreibung aller Juden aus dem Nahen Osten. Dass solche Parolen auf Demonstrationen nicht erlaubt sind, erscheint mir schon ok.

    Es stellt sich überhaupt die Frage, was „Solidarität mit den Palästinensern“ für Lapidot eigentlich heißen soll. Solidarität – mit Hamas? Mit Fatah? PFLP? Das zeigt doch genau das Problem, dass es keine relevante palästinensische Gruppe gibt, die nicht die Vernichtung Israels zum Ziel hätte. Eine undifferenzierte Palästinasolidarität nach dem 7. Oktober ist halt die Solidarität mit genozidalem Terror.

    • @Earendil:

      "Das zeigt doch genau das Problem, dass es keine relevante palästinensische Gruppe gibt, die nicht die Vernichtung Israels zum Ziel hätte. "

      Die Zeit veröffentlichte unlängst Umfragen zur Unterstützung der Hamas im Gaza (vor dem 7.11).

      Drei Viertel der Palästinenser traut der Hamas nicht über den Weg. "Bis zu den Anschlägen hielten die meisten von ihnen die Terrororganisation für korrupt und erkannten das Existenzrecht Israels an. " ( www.zeit.de/2023/4...mas-israel-meinung )

      Es ist also ein Armutszeugnis, wenn man in diesen drei Vierteln der Bevölkerung im Gaza keine Verbündeten sieht.

      Stattdessen reden sie von undifferenzierter Palästinensersolidarität, meinen aber nichts anderes als das Sie Hamas und Palästinenser gleich setzen und "Palästinenser" in toto als Feindbild besetzen.

    • @Earendil:

      Es ist doch lobenswert, auch kleine, nicht relevante friedfertige Minderheiten einmal zu erwähnen, die es auf Seiten der Palästinenser sicher auch gibt. Es ist der Versuch, diese sichtbarer und hoffentlich größer zu machen.

      Solidarität mit Opfern von Gewalt muss bedingungslos sein, sonst ist sie nicht authentisch. Bedingungslos heißt aber nicht undifferenziert. Wenn Opfer von Gewalt sich selbst wiederum Hass- und Gewaltphantasien und blinder Rache hingeben, muss man sie auch in die Schranken weisen. Das müssen sich übrigens beide Seiten sagen lassen. Blinde Wut ist steht auch Israel schlecht an.

  • Das Problem ist doch nicht "Freiheit und Gleichheit zwischen Fluss und Meer" zu fordern, sondern "Freiheit für Palästina zwischen Fluss und Meer" und Forderungen nach Freiheit für Palästina in den Grenzen von 1948 ohne "zionistische Besatzung", wie es etliche pro-palästinensische Gruppen tun. Das ist genauso wenig auf eine friedliche Koexistenz ausgerichtet, wie die Politik der aktuellen israelischen Regierung.

  • Der Kommentar leidet an zwei Kardinalfehlern: Ignoranz gegenüber den Spezifika des Antisemitismus und der absurde Gedanke, Israel hätte nichts mit den Juden zu tun.

    Für Lapidot geht Antisemitismus im Rassismus unter; der verschwörungstheoretisch grundierte, grundsätzlich eliminatorische Charakter von Antisemitismus, der sich jüngst am 7. Oktober ungehemmt Bahn brach. (Dass dieses ungeheuerliche Pogrom nur beiläufig als "extreme Gewalt in Israel und im Gazastreifen" erwähnt wird, verwundert da nicht.) Dass verschiedene Arten und Qualitäten von Rassismus vielleicht verschiedene Antworten benötigen und dass der Staat Israel eine solche spezifische Antwort ist, fällt im allgemeinen, zur Leerformel erstarrten Antirassismus unter den Tisch.

    Dass Juden und Israel nicht gleichzusetzen sind, ist richtig, das kann Herr Lapidot gern mal Antisemiten aller Art erzählen. So zu tun, als hätten Israel und das Judentum, Juden und Jüdinnen weltweit, nichts miteinander zu tun, ist aber ebenfalls Unfug, der nur einem Zweck dient: zu behaupten, Judenhass und Israelhass hätten ebenfalls nichts miteinander zu tun. Dabei wird Israel ja deshalb so gehasst, weil es der (einzige) jüdische Staat ist! Der, wie schon gesagt, eine Konsequenz aus dem Antisemitismus ist.

    "Sie führt dazu, dass legitime und berechtigte Kritik an Israel generell als antisemitisch delegitimiert wird und Kritiker zum Schweigen gebracht werden."



    Das alte Gejammer. Dabei wird Kritik an israelischer Politik fast ständig geäußert, an der Kriegführung, der Siedlungspolitik, Netanjahus "Justizreform"... Das ist natürlich was anderes als das merkwürdige Genre der "Israelkritik", die Israel - als einzigen Staat der Welt! - als Staat deligitimiert und dämonisiert. Daran ist nichts legitim, aber vieles antisemitisch.

  • Der Beitrag bringt meine Sorge auf den Punkt, Zitat: "Letztlich verstärkt und reproduziert die Haltung Juden = Israel den Antisemitismus, indem sie die Stimmen bestätigt, die Kritik an Israel fälschlicherweise in Judenfeindlichkeit umwandeln."

  • Was an diesem durchaus lesenswerten Artikel negativ aufstößt ist die oft wiederholte aber deshalb nicht wahre Behauptung, Kritik am Staat Israel würde in Deutschland unterdrückt bzw. mit Antisemitismus gleichgesetzt.



    Ich kann an jedem beliebigen Tag an irgendeinen Kiosk gehen - ich werde dort immer eine Zeitung finden, in der der Staat Israel kritisiert wird.