piwik no script img

Rücktritt von Annette KurschusDer Glaube fehlt

Kommentar von Barbara Oertel

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche wollte die Missbrauchs-Aufarbeitung selbst angehen. Jetzt fällt sie über dieses Thema.

Annette Kurschus ist als EKD-Chefin zurückgetreten Foto: Harald Oppitz/KNA

E s ist ein Kreuz: Gerade einmal zwei Jahre war Annette Kurschus Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Jetzt ist sie mit sofortiger Wirkung zurückgetreten – nicht nur von diesem Amt, sondern auch als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. Auslöser für diesen Schritt ist der Vorwurf, einen Verdachtsfall sexualisierter Gewalt vertuscht zu haben.

Es ist äußerst müßig, darüber zu spekulieren, was Kurschus wann wusste, ob ihr diese Causa überhaupt zur Kenntnis gelangt ist und, falls ja, sie infolgedessen eine Unterlassungssünde begangen hätte.

Die Frage ist vielmehr, ob sie in dieser Situation hätte anders entscheiden können. Die Antwort lautet: Wohl kaum. Zum einen ist sie bereits jetzt massiv in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt – für die höchste Repräsentantin der EKD eine schwere Bürde, die ihre Handlungsspielräume massiv einschränkt.

Zum anderen hat sie die Aufarbeitung von „Missbrauch“ zur Che­f*in­nen­sa­che erklärt. Wer einen solch hohen moralischen Anspruch formuliert, muss sich auch daran messen lassen – eine Erkenntnis, die vielen Politiker*innen, so überhaupt jemals vorhanden, schon längst abhanden gekommen ist.

Dessen ungeachtet entbehrt Kurschus’ Abgang, der einem kleinen Erdbeben gleichkommt, nicht einer gewissen Tragik. Schließlich war ihre Wahl bei vielen Lu­the­ra­ne­r*in­nen auch mit Hoffnungen auf Reformen in der EKD verbunden, die als gewichtige und ernst zu nehmende Stimme in diesen von Krisen und Kriegen gezeichneten Zeiten vernehmbar sein sollte.

Es geht an die Grundfesten der Kirche

Welche Auswirkungen die jüngsten Ereignisse haben, ist nicht abzusehen. Tatsache ist jedoch, dass der EKD (wie auch der katholischen Kirche) immer mehr Mitglieder davonlaufen. Es gibt offensichtlich zu viele Baustellen – das Thema „Missbrauch“ ist nur eine davon, wenn auch eine hoch sensible.

Es geht an die Grundfesten der Institution Kirche – schon seit Langem. Bei der Aufarbeitung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt habe es Erfolge gegeben, heißt es in der Rücktrittserklärung von Kurschus. Welche Erfolge genau das sein sollen, erschließt sich nicht so recht.

Von außen betrachtet drängt sich vielmehr der Eindruck auf, die Kirche habe nach wie vor ein strukturelles Problem. Der 2020 gegründete Beirat von Missbrauchsbetroffenen war ein Flop. Ob eine entsprechende Expert*innenstudie, die bis Januar 2024 vorliegen soll, zu einem Motor für Aufklärung und Aufarbeitung wird – unklar. Dasselbe gilt für den/die Nach­fol­ge­r*in von Kurschus. Man will es sich wünschen – allein der Glaube fehlt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Chapeau zu dieser Entscheidung!



    Jedes Amt ist auf Zeit und jedes Amt hat einen Nachfolger. Jeder hat zwei Leben und das Zweite beginnt , wenn man erkennt, dass man nur Eines hat.

  • Ihr gebührt hoher Respekt für diesen Rücktritt. Daran kann sich manche/r Politiker*in orientieren . Vor allem aber zeigt der Vergleich zu Herrn Woelki wie krass selbstgerecht, geradezu machtgeil der ist. Frau Kurschuss handelt ehrenvoll....

  • Das war unprofessionell und moralisch zweifelhaft, das einzig Gute ist, dass sie direkt zurückgetreten hat. Aber ich frage mich schon, warum ausgerechnet dieser Mensch Privat, Kirche und Beruf so schwer unterscheiden konnte.

    • @Andreas_2020:

      Frau Kurschus war mit dem Beschuldigten befreundet, war aber niemals seine Dienstvorgesetzte, hatte in der Zeit, um die es geht auch kein über eine einfache Gemeindepastorin hinausgehendes Leitungsamt inne.



      Der Vorwurf, wie ich ihn verstehe lautet: Warum hat sie, nachdem sie angeblich von den Vorwürfen erfahren hatte, nichts unternommen, z.B. den damaligen Superintendenten oder die Staatsanwaltschaft informiert?



      Alles, ws jetzt kommt, bleibt spekulativ, aber mir stellt sich die Frage: Warum haben die von den Übergriffen betroffenen jungen Männer (niemand behauptet, sie seien minderjährig gewesen) nicht direkt an die damaligen Leitungspersonen gewandt oder Anzeige erstattet? Waren die Vorwürfe so zweifelsfrei, dass Frau Kurschus deshalb einen Freund "verpetzen" musste, oderhätten sie , wenn sie sich schon Frau Kurschus (deren private Freundschaft bekannt gewesen sein dürfte) anvertrauten, nicht auch selbst direkt an den Superintendenten (dann hätte der den Fall an der Backe) wenden müssen, statt andere vorzuschicken?



      Was damals genau gesagt und (nicht) getan wurde, wissen nur die Beteiligten.



      Frau Kurschus vermeidet jedoch das zu einer Verteidigung notwendige, faktisch aber unmögliche öffentliche "Victimblaming" (Aussage gegen Aussage), wie es in meinen Spekulationen angedeutet wird.



      Das rechne ich ihr hoch an und nehme ihr das reine Gewissen ab.

  • "Zum einen ist sie bereits jetzt massiv in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt"

    Durch was ist sie in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt? Weil sie in ihrem Umfeld einen Schwulen kannte, bei dem sich herausstellte, dass er sexuellen Missbrauch begann?

    Woran erkennt man das? Ist da irgend so ein homophobes Gedöns im Spiel, das wer Homosexuelle kennt, Missbrauch deckt?

  • Jede Kirchgemeinde erarbeitet ein sogenanntes Schutzraumkonzept mit Schulungen gegen sexuelle Übergriffe und entsprechenden Meldestellen. Ob das was bringt weiß ich auch nicht. Aber es wird schon etwas getan.

  • Wer sagt die Wahrheit? Die Frage ist vielleicht nicht zu klären, aber sie ist trotzdem entscheidend. "Müßig" mag die Spekulation darüber sein, nur kann man dennoch nicht einfach darüber hinweg gehen. Woran sonst soll man Glaubwürdigkeit messen als an den einzelnen Menschen? Und kann man wirklich akzeptieren, wie leicht heutzutage jemand demontiert werden kann?