Nach Randale auf Pro-Palästina-Demos: „Klare Kante“ gegen Antisemitismus

Es werden Konsequenzen gefordert. Auch unter muslimischen Menschen wächst die Kritik an fehlender Hamas-Distanz.

Polizisten auf einer Demonstration.

Flaschen, Steine und Feuerwerkskörper flogen: Pro-Palästina-Demonstration am 18. Oktober in Berlin Foto: Piotr Pietrus

BERLIN taz | Der Konflikt in Nahost verlagert sich zunehmend auf deutsche Straßen – aufgeheizt durch den Raketeneinschlag auf einem Kranken­haus­gelände in Gaza. So gingen am Mittwochabend in Berlin mehrere hundert Palästina-Unterstützer*innen trotz Verbots auf die Straße, skandierten „Viva Palästina“, „Free, Free Palastine“ oder „Allahu Akbar“, aber auch antisemitische Parolen. Es flogen Flaschen, Steine und Feuerwerkskörper auf die Polizei. Nach deren Angaben wurden neben Einsatzkräften auch Unbeteiligte und Demonstrierende verletzt.

Da die Polizei das Demo-Verbot rund um die Sonnenallee und den Hermannplatz zunächst nicht durchsetzen konnte, kamen Pfefferspray und Zwang zum Einsatz. Der Einsatz im Stadtteil Neukölln dauerte bis nach Mitternacht. Zudem löschte die Polizei im Laufe des Abends mit Wasserwerfern mehrere in Brand gesetzte Autoreifen und Mülltonnen. Auch Autos brannten.

Während niemand weiß, wer die Opfer in Gaza-Stadt zu verantworten hat und es viele offene Fragen gibt, beantwortete sich die Frage für die Pro-Palästina-Demonstrierenden von allein: Die israelische Armee muss es gewesen sein.

In der Hauptstadt gab es am frühen Mittwochabend auch eine Sitzblockade von „Freund*innen von Israel und den Palästinenser*innen“, die sich laut Anmeldung für eine „friedliche Lösung“ einsetzen wollten – offenbar vor allem mit geschichtsrevisionistischen Parolen: So skandierten Teil­neh­me­r*in­nen vor dem Auswärtigen Amt etwa „Free Palastine from German guilt“ („Befreit Palästina von deutscher Schuld“) und ließen sich nach einer Sitzblockade wegtragen. Die Anmelderin hatte zuvor nach Polizeiangaben die für 50 Personen angemeldete Kundgebung direkt nach Beginn für beendet erklärt, weil sie keinen Einfluss auf die Teil­neh­me­r*in­nen gehabt habe.

Absperrgitter für jüdische Einrichtungen

Der Historiker Jens-Christian Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald-Dora, nannte diese Demo eine „linke Variante des rechtsextremen ‚Schuldkult‘-Narrativs“. Die Demonstrierenden ließen ahnen, dass es ihnen vor allein darum gehe, Deutschland von „Schuld und Verantwortung“ zu befreien, schrieb Wagner auf X, vormals Twitter.

Die Berliner Polizei sprach auf taz-Anfrage am Donnerstagvormittag von insgesamt 174 Festnahmen und 65 Strafermittlungsverfahren sowohl in Neukölln als auch am Werderschen Markt vor dem Auswärtigen Amt. Bei den Ausschreitungen seien 65 Polizeikräfte verletzt worden, ein Kollege habe den Dienst beenden müssen, sagte eine Polizeisprecherin. 850 Po­li­zis­t*in­nen seien im Einsatz gewesen, es habe auch Unterstützung durch die Bundespolizei gegeben.

Auch in anderen deutschen Städten kam es zu propalästinensischen Kundgebungen. In Frankfurt am Main setzte die Polizei einen Wasserwerfer ein, um eine verbotene propalästinensische Mahnwache aufzulösen. In Kassel kam es zu einer Spontanversammlung mit etwa 110 Teilnehmer*innen, die laut Polizei aber friedlich geblieben sei.

In der Hauptstadt war es in der Nacht zu Mittwoch bereits zu einem versuchten Brandanschlag auf eine Synagoge gekommen. Zur Attacke mit Molotowcocktails in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte hat mittlerweile die Generalstaatsanwaltschaft Berlin die Ermittlungen übernommen. Vor dem Gebäude fand am Mittwochabend eine Mahnwache mit rund 50 Teil­neh­me­r*in­nen gegen Antisemitismus statt.

„Mittelalterliche antisemitische Klischees“

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat Sympathiebekundungen für die Terrororganisation Hamas und Hass gegen Israel auf den Straßen der Stadt scharf verurteilt. „Es ist eine Schande, dass wir Antisemitismus und Hetze auf unseren Straßen erleben müssen“, sagte er am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Abgeordnetenhaus. „Berlin steht voll und ganz an der Seite Israels“, so Wegner. Berlins Polizeipräsidentin teilte am Donnerstag mit, gefährdete jüdische Einrichtungen zusätzlich durch Absperrgitter zu schützen.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich am Donnerstag in einer Regierungserklärung zu den antiisraelischen Vorfällen. Während auf der Besuchertribüne des Bundestags Angehörige der von der Hamas verschleppten Geiseln saßen, forderte er „klare Kante“ gegen Judenhass. „Antisemitismus ist in Deutschland fehl am Platze“, sagte der SPD-Politiker. Behörden dürften keine Versammlungen zulassen, auf denen antisemitische oder gewaltverherrlichende Parolen zu befürchten seien.

„Wir müssen das Recht auf unseren Straßen durchsetzen“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dem RBB. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, fordert ebenfalls Konsequenzen: „Wir brauchen schnelle Gerichtsverfahren und Urteile gegen die Krawallmacher“, sagte er dem Redak­tions­netzwerk Deutschland.

Murat Kayman von der muslimischen Alhambra Gesellschaft äußerte auf X deutliche Kritik an Islamverbänden, die sich nach der Detonation am Krankenhaus mit voreiligen, „eindeutigen und entschiedenen Stellungnahmen überschlagen“ hätten. „Ist das Mitgefühl für die Opfer der Grund für diese immense Betroffenheit? Wohl kaum. Denn heute – wie gestern auch schon –, da die Möglichkeit im Raum steht, es könnte die Hamas gewesen sein, hören und lesen wir nichts“, so Kayman. „Warum? Weil man ‚dem Juden‘ jede Niedertracht zutraut, nur weil er Jude ist. Aber die Mörderbande Hamas wird für so tapfer und glaubwürdig erachtet, dass man ihr nicht mal eine Lüge zutraut.“

Kayman, der bis 2017 dem Ditib-Bundesverband angehörte, kritisierte, dass die gleichen Empörten, die kein schlechtes Wort über die Hamas hätten verlieren wollen, weil es angeblich keine Fotos vom Massaker beim Musikfestival gegeben hätte, mitten in der Nacht bereit gewesen seien „von 15, 50, ach was, von 500 Opfern auszugehen, solange man sie 'dem Juden’ vorwerfen kann“. So würden „mittelalterliche antisemitische Klischees“ befeuert, so Kayman weiter.

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