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Prozess gegen Fantasieschilder„Freiwillig Tempo 30“

Am Bodensee fordern Anwohner mit Fantasieschildern dazu auf, im Ort langsamer zu fahren. Ein Verwaltungsgericht klärt, ob sie das dürfen.

Ein „Freiwillig-Tempo-30“-Schild steht an einer Straße im Kreis Konstanz Foto: Gaby Schneider/dpa

Freiburg taz | Dürfen Anwohner mit Fantasie­schildern um langsames Fahren bitten? Das muss jetzt das Verwaltungsgericht Freiburg entscheiden. Der Fall spielt auf der Halbinsel Höri am Bodensee. Dort wird schon lange über die generelle Einführung von Tempo 30 innerorts diskutiert. Doch den Behörden fehlte eine Rechtsgrundlage hierfür. Deshalb bestellte der Grünen-Ortsverband Höri 30 Metallschilder, die er an Anwohner verteilte: Sie zeigten einen roten Kreis mit der Zahl 30 in der Mitte, wie bei einem staatlichen Tempo 30-Schild. Doch über dem Kreis stand groß „Freiwillig“ und darunter waren skizzierte Kinder zu sehen.

Das Landratsamt Konstanz forderte die Anwohner auf, die Schilder abzunehmen. Es bestehe eine Verwechslungsgefahr mit echten Verkehrsschildern. Das Amt drohte ein Zwangsgeld an. Die meisten Schilder verschwanden dann, doch drei Familien gaben nicht nach und erhoben eine Feststellungsklage, dass ihre Bitten um Rücksichtnahme legal seien. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die ihren Sitz im nahegelegenen Radolfzell hat, unterstützt die Kläger.

Vor dem Verwaltungsgericht Freiburg plädierte am Montag DUH-Anwalt Remo Klinger für die Rechtmäßigkeit der Schilder, es bestehe keine Verwechslungsgefahr. Schon das Wort „freiwillig“ mache deutlich, dass es keine offiziellen Schilder seien. Außerdem seien diese meist ganz untypisch angebracht. Eines war an einem Schuppen angeschraubt, ein anderes stand in einem Beet. Teilweise war der rote Kreis zu einem rot-grünen Kreis verändert worden. „Es handelte sich hier offensichtlich um Fantasieschilder, wie sie aber bundesweit üblich und auch akzeptiert sind“.

Die Schilder stehen immer noch. Kläger Christian Kronenbitter hat beobachtet: „Die Touristen fahren wirklich langsamer, die Berufspendler aber nicht.“ Das Gericht will am Dienstag den Urteilstenor verkünden. Möglicherweise ist die Klage unzulässig, weil die Anwohner nicht auf einen förmlichen Verwaltungsakt des Landratsamts gewartet haben.

Unterdessen hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Kommunen mehr Spielräume zur Einrichtung von Tempo-30-Zonen geben soll.

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29 Kommentare

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  • @URANUS

    😹

  • StVO §33 (2) ist eindeutig:



    "Einrichtungen, die Zeichen oder Verkehrseinrichtungen (§§ 36 bis 43 in Verbindung mit den Anlagen 1 bis 4) gleichen, mit ihnen verwechselt werden können oder deren Wirkung beeinträchtigen können, dürfen dort nicht angebracht oder sonst verwendet werden, wo sie sich auf den Verkehr auswirken können..."



    Und das ist auch vernünftig so, wegen Verkehrssicherheit. Falsche Schilder lenken ab.

  • Tja...ich wage mal die Behauptung, die Verwechslungsgefahr kein Bug, sondern ein Feature ist.

    Wenn man nicht will, dass das jemand verwechselt, dann hätte man wohl keinen roten Kreis auf dem Schild.

    D.h. das Urteil ist absolut nachvollziehbar. Es darf halt nicht jeder irgendwelche Strassenschilder aufstellen.

    • @Generator:

      Welches Urteil?

  • 6G
    676595 (Profil gelöscht)

    Jeder sollte nachschauen, ob die eigene Stadt oder Gemeinde Mitglied bei "Lebenswerte Städte" ist und dann den Betonköpfen ggf. Beine machen.

  • Die Ämter haben hier recht.



    Wenn ich daran vorbeifahre sticht mir als Autofahrer nur der rote Kreis mit Inschrift 30 ins Auge. Die Verwechslungsgefahr ist hier klar gegeben. Schimpfen auf Beamte etc. ist hier fehl am Platz. Ein schönes großes Plakat, wo nur draufsteht "Tempo runter bitte -spielende Kinder" und alles wär' okay.

    • @Krumbeere:

      Ist halt die Frage, ob die Leute dann langsamer fahren würden

  • Ein weiteress Possenspiel unter dem Banner "Es lebe das deutsche Spießertum". Die Einen stellen irgendwelche Schilder auf, eine Behörde verbietet, es wird geklagt, die Klage scheitert an einem "förmlichen Verwaltungsakt". Das ist fast schon deutsches Kulturgut.



    Ich glaub, es hätte kaum Ärger gegeben, wenn die Schiler tatsächlich völlig anders aussehen würden und nicht in einer größeren Stückzahl von einem Politiker an die Leute verteilt worden wären.



    Die Argumentation der DUH ist dabei ziemlich schwach.

  • "Möglicherweise ist die Klage unzulässig", bei einer Formalie, die jedem halbwegs Rechtskundigen bekannt sein müsste.



    Worin genau besteht jetzt die "Unterstützung" der DUH?

  • taz: "Das Landratsamt Konstanz forderte die Anwohner auf, die Schilder abzunehmen. Es bestehe eine Verwechslungsgefahr mit echten Verkehrsschildern. Das Amt drohte ein Zwangsgeld an."

    'Zwangsgeld' !!! - Natürlich, denn was soll einem deutschen Amt auch sonst einfallen?

    taz: "Schon das Wort „freiwillig“ mache deutlich, dass es keine offiziellen Schilder seien."

    Hier muss man vorsichtig sein, denn ein deutscher Beamter wird nicht fürs folgerichtige Denken bezahlt, sondern er/sie arbeitet nur seinen Vorschriftenkatalog ab, denn dafür ist der deutsche Beamte ja schon seit Jahrhunderten bekannt, dass er 'Befehle von oben' - ohne viel darüber nachzudenken - stur abarbeitet.

    Ich könnte ja noch verstehen, dass ein Amt eingreift wenn die Geschwindigkeit auf den 'Fantasieschildern' eine höhere Geschwindigkeit anzeigen würde als erlaubt ist, aber bei 30 km/h ist das nur mal wieder von einem Amt 'sehr albern'. Vielleicht bin ich aber auch auf dem Holzweg und es ist gar nicht "albern", denn wenn man als Bürger 30 km/h fordert, dann legt man sich ja mit der mächtigen Autolobby an und da wären wir schon bei der Hauptfrage: Wer hat hier eigentlich das Sagen und wieso gibt es im Autoland Deutschland auf Autobahnen immer noch Streckenabschnitte, die man mit über 300 km/h (> 83 Meter pro Sekunde) befahren darf? Fragen über Fragen die sich hier stellen und die hoffentlich auch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) irgendwann mal gestellt werden.

    • @Ricky-13:

      Klar sind Sie auf dem Holzweg. Hier geht alles mit rechten Dingen zu und natürlich alles sinnhaft und notwendig - wie folgendes zum Beispiel:



      Realer Irrsinn: Falsche Pflastersteine in Kiel | extra 3 | NDR



      m.youtube.com/watch?v=-uXbyqJQMns



      Was lernen wir daraus? Keine Schilder aufstellen (so wie es Wissing ja vorlebt) und die richtigen Steine!!

  • Hä? Erst jetzt werden die drauf aufmerksam? Ich kenne Orte, da hängen die Teile schon viele Jahre.

  • Das Ziel ist richtig, aber die Kritik an der Umsetzung leider auch.



    Ich habe schon viele selbstgemachte Schilder gesehen, die auch wirken. Die sind weit weg von echten Verkehrsschildern.



    Hier soll aber bewusst der Eindruck erweckt werden, daß es sich um offizielle Schilder handelt. Dafür gibt's zurecht Regeln auch wenn das Ziel noch so gut ist.

  • Was für eine Farce! Und alles nur wegen 'ner bekloppten Ämterbürokratie und Autoideologie, wonach menschliche Interessen, Selbstbestimmung von Anwohner*innen und Lebensqualität dem Autoverkehr unterzuordnen seien.



    Danke für nichts, Herr Wissing!

    • @Uranus:

      Ich denke es geht eher ums Prinzip, das nicht jeder auf privatem Wege irgendwelche Verkehrs- oder Warnschilder, gleich welcher Art, in Umlauf bringt. Das ist eben nur den Behörden vorbehalten.

    • @Uranus:

      Sie danken Herrn Wissing zu Recht für nichts. Denn der war hier gar nicht beteiligt.

      • @Jochen Laun:

        Worauf ich hinaus wollte, ist, dass die Blockade/Nichthandeln auf Bundesebene, insbesondere das von Wissing geführte Verkehrsministerium, eine autonome Verkehrsregulierung[1] bzgl. Tempolimit erschwert und wahrscheinlich Bürger*innen zu obigen Aktionen motiviert.

        [1] fast 1000 Städte und Gemeinden haben sich der Initiative Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten angeschlossen



        lebenswerte-staedte.de/de/

    • @Uranus:

      Und wenn jemand „freiwillig 100“ aufgestellt hätte, wären Sie der ersten der sich furchtbar aufregen würde…. Es kann nicht jeder Schilder malen wie es einem passt.

      • @Wombat:

        Sicher, nicht nur ich. Bei der Initiative geht es allerdings offenbar um Absenkung von Geschwindigkeiten und damit Erhöhung von Lebensqualität und Verkehrssicherheit und nicht um theoretische satirische Aktionen von Autofans, die gegen "Freiheitseinschränkungen" protestierten o.ä..

        • @Uranus:

          Bei dem Gerichtsurteil geht es aber nicht um das Motiv des Schildes. Sondern ob Verkehrsschild ähnliche Schilder in der Nähe einer Straße aufgestellt werden dürfen. Die Antwort muss ganz klar nein lauten, sonst haben wir ein Gesinnungs-Verkehrsrecht.

          • @Wombat:

            Offenbar thematisieren wir verschiedene Aspekte. Ihnen geht es um den juristischen Blick auf das Gerichtsurteil. Mir geht es um Moral, Interessen, die politischen Zusammenhänge.

      • @Wombat:

        Guter Vorschlag danke

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Laut Bericht im DLF heute gibt es bundesweit etliche von diesen Aktionen, die von der DUH propagiert werden, aber nirgendwo wurde bisher eine Behörde dagegen tätig.



    Die Strecke, um die es geht, liegt in dem Landkreis, in dem der Geschäftsführer der DUH seine Karriere als Umweltaktivist begonnen hat ..

    "Begonnen hat seine Karriere Anfang der 1980er Jahre mit der Aufdeckung des Vogelsterbens am Bodensee durch das Pestizid Endrin und dem bundesweiten Verbot von Endrin und anderen Pestiziden."

    www.schauspiel-stu...ble/juergen-resch/

    /

    Ein Anfang, der seinerzeit Zeichen setzte und den Weg zu einem wirksam arbeitenden - und daher nicht überall beliebten - Umweltverband bereitete.

    /

    "Schauspielhaus Stuttgart



    Morddrohungen gegen „Ökozid“-Redner Jürgen Resch"

    www.deutschlandfun...gen-resch-100.html

    /

    Statement



    www.schauspiel-stu...ble/juergen-resch/

  • Deutsche Sorgen. :P

    Hauptsache das Verwaltungsgericht hat was zu tun.

  • Aber das sind doch... Hoheitssymbole sind das! Jawoll!1!! Da könnte jeder *hyperventilier* mit dem Bundesadler... *röchel*

    😱

    • @tomás zerolo:

      Echt! Die soll'n zur Strafe mal Wissing beim Aufstellen von Tempolimitschildern an Autobahnen helfen! Ach ne, der hat ja gar keine Schilder, hahaha. -.-

  • Das hätte man sich sparen können, wenn man einfach den roten Kreis durch ein rotes Quadrat ersetzt hätte.

    In der vorliegenden Form ist tatsächlich die Definition eines Vorschriftzeichens (konkret: "Zeichen 274" gemäß § 41 StVO Anlage 2) auf Trägertafel (§ 39 (4) StVO) mit Zusatzzeichen (§ 39 (3) StVO) erfüllt - vergleiche auch "Zeichen 274.1" -, und die Aufstellung dieser Schilder war daher unzulässig (§ 45 (3) StVO) - mal abgesehen davon, dass das Wort "Freiwillig" in Widerspruch zu § 41 (1) StVO steht...

    Ein dummer und vermeidbarer Fehler.

    Insofern stimmt auch die Anfangsfrage des Artikels nicht ("Dürfen Anwohner mit Fantasie­schildern um langsames Fahren bitten?"), denn dies hier sind eben KEINE Fantasieschilder, sondern im Sinne der StVO (illegal aufgestellte Fake-)Verkehrszeichen und damit eine Ordnungswidrigkeit nach §49 (28) StVO.

    "Teilweise war der rote Kreis zu einem rot-grünen Kreis verändert worden."

    Mit dieser kleinen Veränderung werden es tatsächlich "Fantasieschilder", und ich habe in der StVO nichts gefunden, das die Aufstellung solcher Schilder verbietet, solange §33(1) Satz 2 StVO erfüllt ist (Fantasieschilder mit der Aufschrift "FREIE FAHRT" oder "Wenn du mich liest, stirbst du" wären *nicht* zulässig):



    Im Prinzip muss nur ein einziges Schlüsselmerkmal (zB Form oder Farbe) eines amtlichen Verkehrszeichens deutlich verändert werden, damit die "Verwechselbarkeit" nach §33 (2) StVO nicht mehr gegeben ist.

    Der exakte Ort, wo "Fantasieschilder" aufgestellt werden, ist hingegen irrelevant, solange er sich rechts neben der Straße befindet (§39 (2) StVO). Ob es sich um öffentlichen Raum oder ein Privatgrundstück handelt, ist im Vorbeifahren ohnehin nicht verlässlich ersichtlich.

    • @Ajuga:

      Die Tempo 30 Schilder, die ich kenne sind aber



      1. weder eckig wie die hier angebrachten, sondenr rund. Ist das kein "Schlüsselmerkmal"?

      2. enthalten weder Zeichnungen noch Text. Auch wiederum kein verändertes Schlüsselmerkmal? ("Kein text/Keine Zeichnung" als Merkmal)

      Und sowieso hart kleinliche Aktion, weil andere Ämter mit dem Aufstellen oder dem Schaffen der Möglichkeit, Schilder aufstellen zu dürfen (was dem bekundeten Interesse der von ihnen verwalteten Menschen entspricht), überfordert sind. Ist bestimmt schwer vor 13Uhr zwischen Fürhstück und Mittag noch irgendwelche sinnvolle Arbeit unterzubringen.

      • @orios:

        Es gibt viele rechteckige Schilder mit rotem Kreis und einer Zahl drin, und das sind alles gültige Geschwindigkeitsverkehrsschilder, aufgestellt von den zuständigen Behörden. Meist mit einer Zusatzbeschriftung wie z.B. einer Uhrzeit (22 -6 Uhr) oder zusätzlichen Symbolen, z.B. ein Lkw oder Motorrad.