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Protest und RepressionDeutsche Polizei vorn dabei

Eine neue Amnesty-Kampagne diagnostiziert weltweit wachsende staatliche Gewalt gegen Proteste – auch in Deutschland.

Konfiszierte Ballons nach einem Protest der Letzten Generation am Flughafen Berlin Brandenburg Foto: Christian Mang/reuters

Protest nervt. Immer. Vor allem diejenigen, gegen die er sich richtet – und das sind in aller Regel diejenigen, die Entscheidungen treffen. Wenn bei der taz-Mitarbeitendenversammlung, der Abteilungsklausur eines mittelständischen Unternehmens oder der Aktionärsversammlung eines Großkonzerns irgendjemand, egal ob Minder- oder gar Mehrheit, laut und deutlich zum Ausdruck bringt, überhaupt nicht einverstanden zu sein, dann stört das den Ablauf.

Öffentlicher Protest auf der Straße geht in aller Regel an die Adresse von Regierungen, Behörden, Staatsgewalt. Die nervt das genauso, aber in funktionierenden Demokratien müssen sie das aushalten, ganz so, wie es die 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in ihren Paragrafen 19 und 20 vorsieht.

Es gibt dann Gesetze, die genau das regeln, und Polizeien, deren Aufgabe es ist, die Sicherheit der Protestierenden zu gewährleisten, etwa indem sie den Verkehr umleiten. Für die, die an solchen Protesten teilnehmen, fühlt es sich meist ganz anders an – und das zu Recht, wie gerade ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International herausgearbeitet hat.

Unter dem Kampagnentitel „Protect the Protest“ (Schützt den Protest) hat die Organisation gerade eine Weltkarte über die Unterdrückung friedlichen Protests veröffentlicht. Und erstmals taucht in einer solchen Liste auch harsche Kritik an Deutschland auf wegen unverhältnismäßiger Polizeigewalt, eigentlich immer rechtswidrigen Polizeikesseln, Schmerzgriffen an Protestierenden bei Klimablockaden oder des bayerischen Polizei- und hessischen Versammlungsgesetzes.

Einheit von Volk und Führung

Natürlich stehen andere Länder, von Iran über Russland bis Kuba, da noch ganz anders auf der Liste. Wer ohnehin nicht demokratisch verfasst ist, lässt auch keinen Protest zu, der offenlegen würde, dass die behauptete Einheit von Volk und Führung gar nicht stimmt.

Allerdings pflegt auch Amnesty eine seltsame Vorstellung von Protest. Gleich in der Einführung der Kampagne heißt es: „Protest ist ein unschätzbarer Weg, den Mächtigen die Wahrheit entgegenzustellen. Historisch sind Proteste die treibende Kraft hinter einigen der kraftvollsten sozialen Bewegungen gewesen, sie haben Ungerechtigkeiten und Missbrauch angeprangert.“

Das trifft für viele Protestbewegungen zu, von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der USA in den 1960er-Jahren bis zu feministischen Bewegung für das Recht auf Abtreibung in Europa und heute in vielen lateinamerikanischen Ländern.

Linke haben häufiger mit aggressiven Polizisten zu tun

Den Kern der Kampagne aber, dass das Recht auf friedlichen Protest grundsätzlich schützenswert ist, trifft Amnesty so nur halb. Auch die Demonstrationen der selbst ernannten Le­bens­schüt­ze­r*in­nen oder der Schwurbeltrupps und Put­in­freun­d*in­nen gegen Coronamaßnahmen und Waffenlieferungen, selbst die menschenverachtenden Pegida-Veranstaltungen müssen ausgehalten werden – obwohl sie zum Fortschritt nichts beizutragen haben und nun wahrlich nicht „den Mächtigen die Wahrheit entgegenstellen“.

Der Unterschied ist, und da hat Amnesty wieder recht: Diese Art von Protesten sind gar nicht bedroht. Obwohl sie so laut brüllen, in einer Diktatur zu leben und nichts mehr sagen zu dürfen, bekommt es die deutsche Rechtsaußen- und Verschwörungsszene auf der Straße recht selten mit einer aggressiven Polizei zu tun.

Wer hingegen für die Aufklärung des Todes von Oury Yalloh im Polizeigewahrsam oder gegen die Räumung von Lützerath oder des Hambacher Forsts unterwegs war, macht da ganz andere Erfahrungen.

Es gibt kein Recht darauf, Forderungen auch umzusetzen

Protest hat nicht das Recht darauf, seine Ziele durchzusetzen. Das könnte im Fall der Letzten Generation anders gesehen werden, denn die Blo­ckie­re­r*in­nen fordern ja lediglich die Durchsetzung geltenden Klimaschutzrechts.

Aber grundsätzlich gibt es nur das Recht, Forderungen hinauszuschreien, aber keines darauf, dass sie auch umgesetzt werden. Das Verhältnis von Straßenprotest und parlamentarischen Entscheidungsprozessen wird nie ein unmittelbares sein.

Wenn in einer Gesellschaft jede Woche Tausende sehr wütend, aber friedlich für oder gegen etwas auf die Straße gehen – ist die Demokratie in diesem Land dann in Gefahr oder besonders intakt? Bei dieser Frage hilft der Amnesty-Bericht nicht mehr wirklich viel weiter.

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12 Kommentare

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  • Eine sehr gute Dokumentation zum Thema findet man auf ARTE.

    "Im Namen der Sicherheit - Polizeigewalt" heisst die zweiteilige Doku und zeigt klar wie sich die Einsatztaktik der Polizei geändert hat.

    Dabei handelt es sich um eine sehr gut recherchierte und auch ausgewogene Dokumentation mit Fakten und Stimmen aus beiden Lagern. Dabei wird die Szenerie dreier Länder betrachtet. Deutschland, Frankreich und der USA.

  • Weltweit steigende staatliche Gewalt gegen Proteste die berechtigten soziale Missstände und Menschenrechtsverletzungen anprangern....kann man mit gutem Gewissen bejahen.

    Warum eines der freisten Länder der Welt von Amnesty permant gedriezt und angeklagt wird verstehe wer will...



    ja ich meine Deutschland.

    Ja man darf vieles ....auf jeden Fall mehr als in fast Allen anderen Länder der Welt.

    Von hart Rechts...bis hart Links.

    Das die WELT ( und ähnliches) beim Vorgehen gegen Linksaußen deutliche Schwäche erkennt....

    Das die taz ( und ähnliches) beim Vorgehen gegen Rechtsaußen deutliche Schwäche erkennt....

    Ist gut so, so will ich leben und so lebt man im großen und ganzen in Deutschland.

    "Links unten"....ist Hardcore tu ich mir nur selten an, aber hin und wieder.

    Rechtsaußen....dazu reicht meine Toleranz nicht aus. "Bild" nein Danke, aber sie wird gelesen ( immer weniger und das ist gut so)

    Kurz und gut man kann in Deutschland gut und frei Leben.

    Was mir fehlt ....



    unser Land sollte mehr Mittelmeerstrände besitzen,



    die schweizer Alpen sind eine Klasse besser als unsere Berge,



    Die unglaubliche Weite und die Vielfalt der Landschaft in Amerika wären auch was für uns.

    Und eine Anerkennung von Amnesty, das D in vielem vorbildlich ist...

    Das kann man wie meine obigen Wünsche ....naja man kann nicht Alles haben.

  • Das hier ist ein sehr wichtiger Artikel.



    Zwar mag es keine Liste geben, aber "Amnesty International's" Karte zeigt deutlich die Fehler des arroganten Westen's auf. Die Schweiz, die Niederlande, Frankreich und vor allen anderen Deutschland sonnen sich in den so genannten Menschenrechten, aber in Wirklichkeit sind sie kein Stück besser als die Länder des Globalen Südens, die sie ständig beschuldigen.

    Viele Leute mögen es nicht glauben, aber die Volksrepublik China oder die Republik Somaliland sind deutlich liberaler, als unsere konservativen Medien uns Glauben machen wollen.

  • Das Recht auf Protest ist begrenzt durch die Rechte anderer. Das Recht auf Protest ist nicht unbeschränkt. Wenn jemand gegen seien Willen irgendwo auf einer Autobahn festgesetzt wird, damit ein Politiker ein Recht ändert oder nicht, dann sind halt bestimmte Grenzen überschritten.

    Jeder kann und darf sich versammeln und seine Meinung kund tun. Wird diese nicht erhört, berechtigt dies nicht, andere in ihren Rechten zu beeinträchtigen.

    Amnesty schadet sich durch diese vollkommen undiffernzierte Kritik selbst.

  • ??? Unterdrückung friedlichen Protests???

    Bitte mal aufzählen, wo wirklich in Deutschland ein friedlicher Protest unterdrückt wurde. Friedlich heißt für mich, Protest / Demo ist angemeldet und man läuft die zugewiesene Strecke und verhält sich entsprechend.



    Selbst bei nicht angemeldeten Protest/Demos (kommt immer auf die Menge an) dürfte es friedlich zugehen.

    Es liegt auch nicht an der Polizei ob ein Protest friedlich abläuft oder nicht sondern immer an denen die diese Freiheit in Anspruch nehmen.

    • @Der Cleo Patra:

      Es ist müssig hier mit einer Aufzählung zu beginnen die Polizeiübergriffe aufzeigt. Es gibt genügend Beispiele dafür. "Neuerdings" kesselt die Polizei ja ein oder verhindert die Teilnahme an Protest mit Präventivhaft. Einfach mal googeln...



      Hingegen ist mir nicht bekannt das Rechte vor einer Demo in "Präventivhaft kamen. Der "Dritte Weg" marschiert und die Polizei schaut zu. Bei Demonstrationen aus denen heraus verfassungsfeindliche Symbole gezeigt werden wird aus polizeilicher Sicht nichts unternommen. Die Täter werden nicht dingfest gemacht. Einkesselung rechter Gruppierungen? Fehlanzeige.



      Und sehr wohl liegt es an der "Taktik" der Polizei und deren Auftreten ob sich Konflikte entwickeln oder nicht. Auf ARTE lief dazu eine sehr sehenswerte Doku zum Thema und zeigt die Folgen der Polizeitaktik auf Demonstrierende in Frankreich, Deutschland und den USA: Erfreulicher Weise kamen darin Menschen "Beider Seiten" zu Wort. Also Demonstrierende und Verantwortliche der Polizei. Das nennt man übrigens "Über den Tellerrand zu blicken".

    • @Der Cleo Patra:

      Das ist - mit Verlaub - Unfug.



      Ich hab schon mehrfach Demonstrationen erlebt, bei denen die Polizei Demonstrierende massiv schikaniert hat (bspw. durch unverhältnismäßig langes aufhalten in Kontrollen) oder gleich die Teilnahme an angemeldeten Kundgebungen verhinderte (da hat man mich gar nicht erst hingelassen), obwohl die Versammlung angemeldet war.



      Ein anderes schönes Beispiel: München vor 2 Jahren. Angemeldete Kundgebung gegen den 1000 Kreuze Marsch. Die Polizei drängt die Kundgebung immer weiter zurück. Ein paar Menschen werden gegen einen Verteilerkasten gedrückt und aufgefordert, weiter nach hinten zu gehen (was nicht ging, weil links und rechts auch Leute standen). Durch die Polizeikette und das Geschubse hat man es uns deutlich erschwert, da ne Kundgebung durchzuführen.

      Klar ist: wenn es eskaliert gibt es immer mehrere Akteure, die an der Eskalation beteiligt sind. Und da gehört die Polizei dazu.

  • Was ist hier nur los ?



    Im Pressefreiheitsindex abgerutscht.



    Im Gewerkschaftindex schon vor vielen Jahren abgeruscht.



    Bei der Integration behinderter Menschen abgeruscht.



    Und jetzt auch noch bei den Menschenrechten.



    Und Spitzenwerte bei der AfD.

    Das muss einem doch zu denken geben.

    Vor allen Dingen einem bzw. einer in unserem Parlament...

    • @Bolzkopf:

      Dafür ein paar Plätze rauf bei Korruption. Da geht was!

  • Naja - Herr Bernd Pickert - die einen sagen so!



    Die anderen sagen - so!



    Ich sage - Nö. Demokratie gefährdet?! Hä!



    Geht’s noch! Wie kommse denn auf das schmale Brett!



    ♦️ einfach: Karlsruhe Brokdorf-Beschluß! Get it? Fein



    “Meinungs&Versammlungsfreiheit - ! Woll



    Unterpfand der Demokratie des Grundgesetzes!“



    Ganz herrschende Meinung!Amnesty braucht’s dazu nicht! Gelle.



    Auch wenn IMs und sonstige Kettenhunde in & ohne Uniform anderes zu insinuieren suchen! Woll



    Bernd Schlink hat schon recht!



    “Politiker sind keine Juristen!



    Auch wenn sie über zwei Staatsexamen verfügen!“



    Trifft nach meinen Beobachtungen - lange auch für beides zuständig & aktiv!



    Leider zunehmend auch für den grassierenden Journaille’Ismus zu!



    Bitter aber wahr. Auch wenn ich Ihr‘s Geschwurbel lese! Newahr.



    Normal Schonn •



    & servíce -



    Lesens doch dazu - mal einfach Roman Herzog - Gell.



    Damals Senatsvorsitzender Präsi - in erfrischender Klarheit!



    Wie der in “Hautnah. Indiskrete Gespräche“ by Wolfgang Korruhn.



    Insbesondere die FAZ-Kohlenkeller-Schreiberlinge abledert •



    (Ja. Der war nicht nur der Rucker!;))

    unterm——-



    de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Korruhn

    Echt getz mal - wa.

    • @Lowandorder:

      & Däh - btw die taz ganz vorne mit dabei



      “Kaputte Typen ■ Die Interviews des TV-Gecken Wolfgang Korruhn gibt's jetzt auch in Buchform -



      taz.de/!1545675/



      Arno Widmann - zu Roman Herzog - alles richtig - Karlsruhe/Brokdorf/FAZ -



      Fehlanzeige - Schade!



      (Einem meiner heute R6 Ziehkinder - verdank ich den Hinweis auf diese wahre Fundgrube!!;)( bedankt!

  • "Wenn in einer Gesellschaft jede Woche Tausende sehr wütend, aber friedlich für oder gegen etwas auf die Straße gehen – ist die Demokratie in diesem Land dann in Gefahr oder besonders intakt? "



    Tja, es scheint aber, dass man solche Fragen nur dann stellt, wenn es sich um Themen geht, die man selbst gut findet. Bei anderen Themen wie Protest gegen Windraeder oder Protest gegen Abtreibungen, etc etc sieht man selbst nur allzuoft Populisten am Werk bzw die Demokratie in Gefahr.