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Protest gegen Automobilausstellung IAASpektakel für die Mobilitätswende

Beim Protest gegen die IAA greift die Polizei teilweise hart durch. Aber die Aktionen der Ak­ti­vis­t*in­nen bekommen Aufmerksamkeit.

Protestaktion gegen die Automesse IAA am 9. September in München Foto: PM Cheung/Adora Press

München taz | Ob Till N.s rechtes Ohr jemals wieder richtig anwachsen wird, hätten die Ärzte ihm nicht sagen können, erzählt der Aktivist der taz. 45 Minuten lang hätten sie ihn genäht, berichtet er. Die Ärzte seien über seine Verletzung schockiert gewesen und hätten ihm geraten, Anzeige gegen die Polizei zu erstatten.

Am Samstagmorgen waren rund 300 Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen des Bündnisses Smash IAA unter einer großen Autobrücke im Münchener Stadtteil Neuhausen hindurchgerannt. Ihr Ziel: die Münchener Niederlassung von Mercedes-Benz. Doch mehrere Polizeiautos kamen gleichzeitig mit ihnen an.

Die Po­li­zis­t*in­nen schlugen mit Knüppeln auf die Ak­ti­vis­t*in­nen ein: „Ich habe einen Schlag an der rechten Seite meines Kopfes gespürt“, sagt N. Auch seine Brille sei weggeschlagen worden. Er sei dann unter der Brücke herumgeirrt und habe die Brille gesucht. Pas­san­t*in­nen riefen schließlich einen Rettungswagen. Eine Anzeige gegen die Polizei hat N. bislang nicht gestellt. „Was soll das bringen, außer dass ich eine Gegenanzeige kassiere?“, fragt er.

Drei Po­li­zis­t:in­nen je Ak­ti­vis­t:in

Die Pressestelle der Münchener Polizei gab noch am Samstag bekannt, dass sie Ermittlungen gegen die De­mons­tran­t*in­nen wegen Landfriedensbruchs und tätlichen Angriffs eingeleitet habe. Der Misserfolg dieser und das Nichtstattfinden weiterer Aktionen in der Münchener Innenstadt ergeben im Rückblick auf das Wochenende das Bild einer schwierigen Protestsituation: Das Verhältnis von Po­li­zis­t*in­nen zu Ak­ti­vis­t*in­nen lag bei drei zu eins. 4.500 Be­am­t*in­nen waren im Einsatz, rund 1.500 Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen waren zum Protest vor Ort.

Am Freitag waren geplante Aktionen im Innenstadtbereich ausgefallen: Auf den Außenflächen der Automesse, die sich über die zentralen Plätze der Stadt verteilt, zeigte die Polizei massive Präsenz. Jeder, der durch legere Kleidung, einen größeren Rucksack oder eine Schirmmütze aus dem Münchener Innenstadtpublikum hervorstach, wurde kontrolliert. Auch Journalist*innen, darunter die Au­to­r*in­nen dieses Textes, wurden mehrfach von der Polizei überprüft und von zivilen Security-Mitarbeiter*innen und Zi­vil­po­li­zis­t*in­nen verfolgt.

Die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen der Proteste werten das Wochenende dennoch als Erfolg. Seit Beginn der Proteste gegen die IAA im Jahr 2019, damals noch in Frankfurt am Main, sei das Protestspektrum stetig gewachsen, sagt Anna Raabe, Sprecherin des Bündnisses „Sand im Getriebe“.

BMW-Werkstor blockiert

Auf die hohe Polizeipräsenz habe man zumindest versucht, mit einer veränderten Taktik zu reagieren. Am Freitag hatten rund 150 Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen über mehrere Stunden ein Tor eines BMW-Werks in Dingolfing blockiert – allerdings rund 100 Kilometer von München entfernt. Am Samstag gelangen dann auch noch mehrere Aktionen im Stadtgebiet selbst. Etwa 150 Ak­ti­vis­t*in­nen des Aktionsbündnisses „No Future for IAA“ besetzten symbolisch ein seit 2021 leer stehendes ehemaliges Sozialkaufhaus im Stadtteil Sendling.

Mit der Aktion wolle man die Stadt auffordern, das Gebäude zurückzukaufen und den Ausverkauf der Stadt zu stoppen, sagte die Sprecherin der Gruppe, Lou Schmitz. Die Besetzung sei als Kontrapunkt zu den „Open Spaces“ genannten riesigen Werbeflächen gedacht, mit denen die Stadt der Autoindustrie große Teile der Münchener Innenstadtbereiche überlässt. Nach mehreren Stunden räumte die Polizei die Szenerie und ermittelt nun wegen Hausfriedensbruchs und Verstößen gegen das bayerische Versammlungsgesetz.

Bildstarke Inszenierung

Auch wenn die Be­su­che­r*in­nen der Ausstellungsflächen in der Innenstadt wenig von den Protesten mitbekommen haben dürften, war es doch die Vielzahl dezentraler Aktionen, die der Klimabewegung Auftrieb und Motivation verschaffen dürfte. Die bildstarke Inszenierung der Proteste ist ihnen jedenfalls medial durchaus gelungen: Am Samstagnachmittag etwa stiegen zwei Ulmer Kletteraktivistinnen im Innenhof der Residenz auf den pompösen Mercedes-Stand. Über dem Logo des Luxus-Autoherstellers entrollten sie, gesichert an dem blutroten Stahlgerüst des Standes, ein Banner mit der Aufschrift „Mit Vollgas in die Klimahölle“.

Abgesehen von der gelungenen Inszenierung ist es wohl die einzige Aktion am gesamten Wochenende, die dem Protestmotto „Block IAA“ tatsächlich gerecht wird: Mercedes schloss sofort den Stand. Auf dem X-Account, vormals Twitter, der Automesse hieß es, der Innenhof sei überfüllt. Mit einer Drehleiter und Kletterpolizisten werden die beiden Ak­ti­vis­t*in­nen schließlich aus dem Gerüst geholt.

Anschlag auf Autozug

Auch das Protestmotto „Smash IAA“ wird in der Nacht zum Sonntag eingelöst. Allerdings nicht in München, sondern im Hunderte Kilometer entfernten Wanne-Eickel, nahe Bochum. Dort zerstörten Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen nach eigenen Angaben 200 Neuwagen auf einem Autozug. „Goodbye Carpitalism“ steht nun auf den blitzeblanken VW-Caddy-Modellen. Auf X verbreitet die „Aktion Autofrei“ Bilder von den besprühten Fahrzeugen und schreibt, man habe mit Bauschaum die Auspuffe unbrauchbar gemacht. Anlass sei die Zerstörung der Welt durch den Kapitalismus und die IAA in München.

Dort zieht am Sonntag eine Abschluss-Demonstration der verschiedenen Gruppen vom Protestcamp Richtung Innenstadt. Mehr als 3.000 Menschen beteiligen sich laut Angaben der Veranstalter*innen. Es ist der einzige vorab genehmigte Protest, der sich tatsächlich auch in Sicht- und Hörweite der Automesse bewegt. Immer wieder stoppt die Polizei den Aufzug. Vereinzelt wird Pyrotechnik gezündet. Am Ende bleibt es friedlich.

Die Verträge für die nächste Ausgabe der IAA im Jahr 2025 sind derweil bereits unterschrieben. München wird dann wohl wieder zum Epizentrum des Autofetischs und – ganz unfreiwillig – auch für die Proteste pro Mobilitätswende werden.

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1 Kommentar

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  • Je sichtbarer der Klimawandel wird,desto repressiver gehen die Staaten gegen die vor,die dagegen protestieren. Wenn dieser Protest in Richtung Terrorismus verschoben wird, werden die "normalen" Bürger ihr Handeln auch nicht hinterfragen. Nirgendwo kommt so viel Populismus auf wie in der Umweltpolitik. Fakenews gehören zum guten Ton. Es wird denunziert und reaktionär gehandelt.