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Tiktok-Hype um Takis-ChipsChips für 70 Euro das Kilo?

Gerollte Tortillachips mit scharfer Würzsoße machen eine erstaunliche Karriere in deutschen Spätis. Das liegt weniger am Geschmack als an Tiktok.

Viele viele bunte Takis Foto: Michael Brake

N eulich beim Späti. Mein Blick bleibt am Chipsregal hängen. Dort steht eine kleine quietschbunte Tüte der Marke Takis für 6,50 Euro. Bei 92 Gramm Inhalt macht das 70 Euro pro Kilo, also etwa so viel wie ein Dry-Aged-Filetsteak. Kauft das wirklich jemand, frage ich den Verkäufer? Aber sicher, sagt er mit einem Lächeln, das zeigt, wie unnötig die Frage ist.

Die Takis-Chips sehe ich danach häufiger in Neuköllner Spätis. Auch auf kleinanzeigen.de werden Tüten angeboten, einzeln, wie Hehlerware. In einer Edeka-Filiale – selbst da kosten sie 5 Euro – schlage ich schließlich zu und kaufe eine Tüte „Blue Heat“. Bei Takis handelt es sich um Tortillachips, die vorm Frittieren zu kleinen Röhrchen gerollt wurden und üppig mit recht scharfem, in meinem Fall: schlumpfblauen Würzpulver bedeckt sind. In Deutschland gibt es keinen offiziellen Vertrieb, alle Packungen sind also Importe aus den USA oder Mexiko. Das erklärt den Preis, aber noch nicht, warum ihn auch so viele Leute zahlen.

Hier kommen wir zum Hype, und der wird vor allem durch die Kurzvideo-Plattform Tiktok befeuert, die ja generell so viele Foodtrends setzt, dass ich diese Kolumne damit wöchentlich füllen könnte. Hier trenden bereits seit einigen Jahren die „Takis-Challenges“.

Das bedeutet: Leute essen Takis und erzählen, wie es war. Oder sie essen so viele, bis sie die Schärfe nicht mehr aushalten. Oder sie höhlen eine große, ebenfalls scharfe Gewürzgurke aus und füllen sie mit Takis. Oder, oder, oder. So freiwillig und selbstgemacht dieser Content auch sein mag – Takis hat 2021 sicher nicht aus Versehen Charli D'Amelio zur Werbebotschafterin gemacht, die damals erfolgreichste Tiktokerin.

wochentaz

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So scharf, dass der Notarzt kommen musste

Die erwähnten Gewürzgurken finden sich auch in den Spätis, fällt mir dann auf, es sind ebenfalls US-Importe, fette Einzelgurken, die in festen Plastikverpackungen schwimmen. Und dann hängt da noch „Hot Chip Challenge“, bei dem es das Challenge-Prinzip sogar in den Markennamen geschafft hat. Es handelt sich um eine sargförmige Verpackung, Inhalt: exakt ein Chip, gewürzt mit der Carolina Reaper Chili, die 1000-mal so scharf ist wie Tabasco. Der Chip ist für Minderjährige und Schwangere nicht zugelassen, in Euskirchen gab es neulich einen Notarzteinsatz, als einige Schüler ihn trotzdem probierten. 10 Euro kosten die 3 Gramm bzw. 15 Sekunden Tiktok-Fame. Das ist mir dann doch zu blöd.

Apropos blöd. Bevor das hier zu einer wohligen taz-Leser-Selbstgerechtigkeitsveranstaltung mit abschätzigem Blick auf Fast Food, die USA, Konsumismus und jugendliches Social-Media-Verhalten wird: Wer noch nie beim Feinkost-Italiener um die Ecke eine direkt importierte Packung Pasta von einer kleinen ligurischen Manufaktur für 6,50 Euro gekauft hat, werfe den ersten Chip!

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Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
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16 Kommentare

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  • Im Haus des Herrn sind viele Wohnungen, und da haben auch Leute Platz, die gerne überschärfte und überteuerte Chips in sich reinstopfen. So ist es halt. Ich mag den Artikel. Und nein, Pasta für 6,50 habe ich mir noch nie gekauft. Ich lasse mich weder von Chipsdealern noch von italienischen Feinkosthandlern bescheißen.

  • Mit Trends hat das meines Erachtens wenig zu tun, sondern mit einer Marketing-Maschinerie, die heute durch das Internet und die Social-Networks (Influencer) viel dynamischer und direkter funktioniert als jemals zuvor.

    Coole Verpackung oder neue Marke, ein hübsches Gesicht, das dich via Smartphone scheinbar persönlich anspricht ... klar, dass man das probieren muss.



    Und weitere Affen machen nach und denken sich dazu noch Blödsinn aus, den sie wiederum öffentlich machen und damit kostenlose Werbung. In ein paar Tagen ist der Blödsinn dann wieder vergessen ...

    Ein sogenannter Trend lebt m.E. länger. Müßig über jeden Quark zu reden bzw. zu schreiben, aber gut, es war Freitag. ;)

  • Ja gut. Dumme Mutproben unter Jugendlichen gabs wohl schon immer. Nur ist heute eben alles gleich viral und global.



    Alkohol, Weidezäune, Köpper ins Eiswasser, Trainhopping, etc. waren sicher nicht weniger gefährlich. Das Einzige, was beim Chili-Konsum passieren kann, ist ein Kreislaufkollaps.



    Natürlich haben diese Chips auch keine 2 Mio SHU. Mit der Reaper wird gern geworben, weils besonders extrem wirkt. Ein frischer Habanero, den man in jedem zweiten Supermarkt bekommt, ist am Ende schärfer.



    Wirklich dreist ist der Preis. Auf Pepperworld und Co. gibts seit etlichen Jahren Habanero oder Ghost Pepper Chips für nen Bruchteil dieser Nachos zu kaufen.



    Am Ende gehts wie immer bei Social Media Trends um Medienkompetenz.

  • Was auch immer ein Späti ist und warum wichtig ist, was dort verkauft wird.

    • @metalhead86:

      Spätis sind Hochburgen GEGEN den fortschreitenden Krebs, der sich Gentrifizierung nennt.

      • @Troll Eulenspiegel:

        6,50€ für 92g Maischips ist wahrlich das Gegenteil von Gentrifizierung.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Es gibt auch in gentrifizierten Stadtvierteln Spätis.

    • @metalhead86:

      Berliner Kiosk

  • *Chipwerf*

  • "Apropos blöd. Bevor das hier zu einer wohligen taz-Leser-Selbstgerechtigkeitsveranstaltung mit abschätzigem Blick auf Fast Food, die USA, Konsumismus und jugendliches Social-Media-Verhalten wird" -

    ....in Worcester USA ist vor einer Woche ein Schüler daran gestorben. Was der Autor hätte recherchieren können.

    Da fehlt mir dann doch das Verständnis für die selbstgedrechselte etwas holprige Ironie des Stücks.

    • Michael Brake , Autor des Artikels, wochentaz
      @rosengrob:

      Der Autor hat das durchaus mitbekommen und auch für die Kolumne im Blick gehabt. Bis jetzt ist aber nicht sicher, ob der Junge an dem Chip gestorben ist oder nicht. Die Familie des Jungen ist sich sicher, aber eine Obduktion steht noch aus. Abgesehen davon handelte es sich um eine andere Marke. Also hat der Autor darauf verzichtet, es hier einzubauen, weil leider nicht wenige Leute aus "könnte sein" dann gern ein "so war es!" machen. Zudem war der Platz des Textes – er ist in erster Linie für die Printausgabe geschrieben – limitiert.

      • @Michael Brake:

        zum einen erfreulich, dass Sie auf den Hinweis reagieren. Zum anderen möchte ich Ihnen, da Sie hier ja schon lesen, gerade im Hinblick auf das Ende des Artikels versichern, dass man den Artikel durchaus auch anders verstehen kann als eine "wohlige Selbstgerechtigkeitsveranstaltung", sondern eher in Richtung "skurille Zeitgeistphänomene", die es in jeder Generation gab und gibt (um uns Ältere "auf Stand zu halten - nicht die Jüngeren Hohn und Spott auszusetzen).

  • "es sind ebenfalls US-Importe, fette Einzelgurken, die in festen Plastikverpackungen schwimmen."

    Einmal im Leben für 5 Sekunden so ein Klimaverbrecher sein wie Elon Musk. Jetzt nur Achteurofümmeneunzich. Kauft, Leute. Kauft!

    Carolina Reaper gedeihen in diesem Sommer übrigens bis rauf an die Waterkant. I tried. Den Ecuador Purple ist es allerdings weiterhin entweder zu nasskalt oder zu trockenheiß, und überhaupt - zu wenig UV. Typisch Anden; Maca verkackt im Flachland ja auch brutalst, aber in den Karpaten ist das Zeug nicht zu bremsen und wuchert ab wie Hulle.

    • @Ajuga:

      Ohne Mist, die Reaper braucht kein Mensch. Sieht zwar cool aus, aber vom Schärfegrad völlig drüber und geschmacklich kaum der Rede wert.



      Da würd ich jederzeit diverse Habaneros oder New Mex Sorten vorziehen. Die lerckerste, die in den letzten jahren hatte, schimpft sich Sugar Rush. Super fruchtig, süß und trotzdem mit ner gutten Schärfe ausgestattet. Absolute Empfehlung!

  • Offenbar gibt es immer noch reichlich Leute ohne echte Probleme und ohne echte Ambitionen, die sich deshalb auf schwachsinnige Internet-"Challenges" einlassen. Wie zum Beispiel den "Challenge" extrem scharfe Chips zu essen.

    "Wer noch nie beim Feinkost-Italiener um die Ecke eine direkt importierte Packung Pasta von einer kleinen ligurischen Manufaktur für 6,50 Euro gekauft hat, werfe den ersten Chip"

    Nein, das ist nun wirklich nicht vergleichbar. Zunächst einmal deshalb, weil original ligurische Pasta - anders als super-extrem scharfe Chips - keine Gesundheitsprobleme mit sich bringen. (In den USA ist ein Jugendlicher an so einem idiotischen "Challenge: extrem scharfe Chips essen, ohne trinken" gestorben.) Zum anderen: Es ist okay, wenn man seine privaten Vorlieben auslebt, und dafür auch etwas viel Geld ausgibt. Aber bei den Takis-Chips und diesen Internet-Challenges geht es ja nicht darum, privat für sich etwas zu machen, es geht darum, dies öffentlich auf TikTok & Co zu demonstrieren, und dadurch eine gefährlichen Hype weiter anzuheizen. Und das ist nun wirklich eine andere Kategorie.

  • Ohje..... Tiktot schlägt wieder zu.

    Gestern(?) wollte mir Stefan L es nicht glauben, aber heute wieder: Trends sind einfach kacke. Unverschämt hohe Preise freiwillig zahlen, Notarzteinsätze, und weil Tiktok benutzt wurde, auch noch unprofessionelles Verhalten vor der Kamera.

    Ich, stattdessen, konsumier(t)e Carolina Reaper, noch bevor Tiktok cool war. Für weitaus weniger als 70€/kg. Für 19€/kg zum Beispiel, wie ich mal in Frankreich bekommen habe auf einem Markt.

    Okay.... die Chilisorte kiloweise zu kriegen ist schon eine Herausforderung, weil man schon echt viele Früchte für 1kg ernten muss, die einem für Jahrzehnte reichen, sofern wir die fortschreitende Fäulnis der Frucht erstmal ausblenden. Aber das geht auch für lau. Ohne einen kapitalistischen Trend-Boost von Angebot und Nachfrage.