piwik no script img

Weitere Verschärfung der Asylpolitik48 Stunden Zeit für Kritik

Innenministerin Faeser will Georgien und Moldau zu „sicheren Herkunftsländern“ erklären. Für Kritik von Verbänden gibt es kaum Zeit.

Georgien und Moldau sichere Herkunftsländer? Innenministerin Faeser meint ja Foto: dts Nachrichtenagentur/imago

Berlin taz | Zeit bis Freitagmittag – nicht mehr als zwei Tage hat das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) den zivilgesellschaftlichen Verbänden in Deutschland eingeräumt, um Stellungnahmen zu einem neuen Referentenentwurf abzugeben. Dabei ist der Inhalt des Papiers brisant: Moldau und Georgien sollen zu sogenannten sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Entsprechend scharf ist die Kritik nicht nur an dem Plan selbst, sondern auch an Faesers Vorgehen.

Überlegungen, den Status der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten auf weitere Länder auszuweiten, gibt es schon länger. Wer von einem so eingestuften Ort nach Deutschland flieht, erhält in den allermeisten Fällen kein Asyl. Union und FDP hatten dieses Instrument zusammen mit der SPD in den 1990er Jahren explizit beschlossen, um Geflüchtete aus Deutschland fernzuhalten.

Im Falle Georgiens und Moldaus ist höchst fraglich, ob die Situation sicher genug ist, um eine derartige Einstufung zu rechtfertigen. Über Georgien schreibt Amnesty International im jüngsten Länderbericht: „Oppositionelle wurden weiterhin Opfer selektiver Rechtsanwendung und politisch motivierter strafrechtlicher Verfolgung.“ Die Unabhängigkeit der Justiz sei gefährdet, Frauen und Mädchen oft sexualisierter Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Berichten über Folter durch Sicherheitskräfte werde nicht sorgfältig nachgegangen. Belgien nahm aufgrund solcher Berichte Georgien dieses Jahr von seiner Liste der sicheren Herkunftsstaaten.

Auch in Moldau, berichtet Amnesty, gebe es „Folter und andere Misshandlungen in Gewahrsam“ durch Sicherheitskräfte. „Die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) wurden nicht vollständig gewährleistet, sie mussten mit Schikanen, Diskriminierung und tätlichen Angriffen rechnen.“ Dazu kommt, dass in beiden Ländern Teile des Staatsgebiets unter russischer Kontrolle stehen, was die menschenrechtliche Lage zusätzlich unübersichtlich macht.

Scheinanhörung für Verbände?

„All das wird in dem Entwurf überhaupt nicht reflektiert“, sagte die rechtspolitische Sprecherin von ProAsyl, Wiebke Judith, der taz. Für sie steht fest: „Georgien und Moldau kommen als sichere Herkunftstaaten nicht infrage.“ Mit Blick auf das Vorgehen des Innenministeriums spricht Judith von „einer Scheinanhörung der Verbände“ und einem illegitimen „Hauruckferfahren“. Dies „deutet nicht auf eine ernsthafte Befassung mit den Einwänden hin.“

Der Lesben und Schwulen Verband Deutschland (LSVD) kritisierte das Vorgehen des Bundesinnenministeriums ebenfalls. Es entstehe „der Eindruck, dass eine kritische Begleitung durch Interessensvertretungen bewusst so weit wie möglich verhindert wird“. Die kurze Frist erschwere „eine echte Beteiligung einer größtenteils ehrenamtlich arbeitenden Zivilgesellschaft erheblich“.

Auch den Inhalt des Entwurfs lehnt der LSVD ab: Es könne “keine Rede sein“ von „Sicherheit vor Verfolgung in allen Landesteilen“ Moldaus und Georgiens. In Letzterem hätte massive Gewalt etwa gegen Teilnehmende von Pride-Demonstrationen “seit Jahren System“. Daran werde deutlich, „dass in Georgien nicht nur der Staat nicht willens oder in der Lage ist, LSBTIQ* zu schützen, sondern dass der LSBTIQ*-feindliche Hass von weiten Teilen der Regierung auch noch systematisch befeuert wird“. Der Gesetzentwurf sei „ein neuerliches Einknicken vor populistischen Argumenten auf Kosten Schutzsuchender“.

Unklar, wie sich die Grünen verhalten

Das Tempo dürfte auch im weiteren Verfahren hoch bleiben. Schon in der nächsten Woche soll der Entwurf im Kabinett beschlossen werden. Die SPD- und FDP-Minister*innen tragen den Entwurf aller Voraussicht nach mit. Unklar ist noch, ob auch die Grünen Mi­nis­te­r*in­nen zustimmen werden. Sie hatten zuletzt allerdings einige für sie bittere Entscheidungen in der Asylpolitik mitgetragen. Außenministerin Annalena Baerbock hatte zudem in der Vergangenheit signalisiert, die engere Bindung Georgiens an die EU zu befürworten, wofür eine Einstufung als sicherer Herkunftsstaat eine wichtige Rolle spielt. Aus der Grünen-Fraktion wollte sich auf taz-Nachfrage bis Freitagmittag niemand zu dem Gesetzentwurf und dem Vorgehen des Innenministeriums äußern.

Die Asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger, macht weiter Druck auf die Grünen: „Statt permanente Rechtsverschärfungen in Deutschland und auf EU-Ebene mitzutragen, sollten sich die Grünen ihre Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag noch einmal vor Augen führen“, forderte sie. Die kurze Frist für die Verbände signalisiere „das absolute Desinteresse der Ampel an sachverständigen und fachkundigen Einschätzungen zum Thema“.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Gegen "zu wenig Zeit" gibt es das Verfassungsgericht. Das hat letztens eindrucksvoll die CDU gezeigt.

    Durchpeitschen von Gesetzen ist nur dann möglich, wenn auch die Opposition mitmacht.

  • Ja. In der Tat. Die Verluderung der politischen Gepflogenheiten der demokratischen Sitten - der Verfall des Respekts vor Andersdenkenden!



    All das schreitet accelerando fort! Woll

    Neu ist es gerade im Bereich eines der! Mensch-&Grundrechte aber nicht! Gelle.



    Und die SPezialDemokraten - wie eine unser aller öffentliche-rechtlich unbedarftesten



    IM Nancy Faency - Die SPD war da bei dessen Schleifung 1992 volle Lotte mit dabei!



    Expertenanhörung im Bundestag! Gell - Sternstunde des Parlamentsrismus?!



    Hell! Vergiße es! Hohn und Spott! Gellewelle&Wollnichtwoll.



    zB - Unvergessen - wie Prof Kutscheit - Präsi VG Köln - ein integrer Liberaler & Kenner der Materie! Vor Ort geladen - mit dabei!



    & Däh



    Anschließend in eine illustre Kollegenrunde geriet!



    Und - für ihn wahrlich untypisch - förmlich detonierte:



    “Die Hören überhaupt nicht zu! Die Augen auf Null gestellt!



    Das ist alles schon abgekaspert! Eine reine Farce!



    Ungeheuerlich!“



    Normal.



    & nochens



    Was die Drittländerfrage angeht! Gellewelle.



    Da sollten die Grünen den Ball mal aber sowas von flach halten! Woll



    Gewiß beie Schleifung Art 16 GG Asyl IN DEUTSCHLAND - da hatten’s nochn Arsch im Beinkleid = nicht dabei! But.



    Einfach die wandelnde Niedertracht dazu - Kretsche Ja Kretsche -



    Befragen wie der mit der inhumanen Neuregelung -



    Drittstaaten - abgefeimte Politik gemacht hat & - Brief & Siegel - Gell



    Wieder machen wird •



    Seine Hofberichterstatter der Kehrwochfraktion - genau genau!



    🧹 🧹🧹🧹🧹 Stehen schon in den Startlöchern!

    kurz - du kannst gar nicht ob solcher konzertanter Verlogenheit!



    Soviel fressen - wiede - 🥴🤢🤮👹 mußt •

    unterm—/ etwas ausführlicher — Lovando



    taz.de/Verhandlung...gerichts/!5843778/



    inne e-kommune 🙀🥳

  • Diese Regierung wird ein komplett zerstörtes Asylrecht hinterlassen, einschließlich abertausender hinter Gitter gesperrter Menschen, eine Geflüchtetenabwehr, die an das erinnert, was Menschen seit jeher gegen Ungeziefer unternehmen, finanzierte Wüstenblockaden von Geflüchteten, die dann auf den Fluchtwegen verdursten, der Fortgang des Sterbens in den Meeren, was tatsächlich ein Töten ist. Was die Grünen heute in dieser Regierung mittragen und durchsetzen, ist mehr als das, was die AfD vor 10 Jahren forderte. Herr Gauland meinte, wir dürften uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen. Dass wir uns nicht durch Kinderleichen beirren lassen, ist heute offenbar offizielle rot-grüne Regierungspolitik. Es ist eine Schande und ein Verrat an den grundlegendsten menschlichen Werten, die unter grünem Mantel begangen werden, und die mit den später folgenden weiteren Verschärfungen wahre Massaker anrichten und noch mehr anrichten werden. Wer würde es glauben, wenn wir es nicht wüssten, dass sich die, die das verbrechen, ständig auf die Menschenrechte berufen.

    • @PolitDiscussion:

      Ich teile Ihre Empörung, was die aktuelle Flüchtlingspolitik der EU angeht — nur Ihre Analogie zur Ausrottung von „Ungeziefer“ ist einfach unsäglich … damit benutzen Sie ein Sprachbild aus dunkelster Zeit.

  • Moldau ist seit 2022 ein EU Bewerberland - da stellt sich schon die Frage, warum es dann kein sicherer Herkunftsstaat ist....



    Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat schränkt ja berechtigten Asylanspruch nicht ein, sondern Asylbeweberber können ja immer noch den Nachweis führen, dass sie verfolgt werden.

    • @Sandra Becker:

      Herr - wirf Hirn 🧠 vom Himmel!



      Von “Herz und damit Hirn“ * -



      Gar nicht erst zu reden! Woll



      (* ©️ Wolfgang Neuss)

      Drittstaatenregelung Schland =>



      “…Menschen, die Asyl in der Bundesrepublik Deutschland suchen, aber über fremde Länder einreisen, in denen keine politische Verfolgung stattfindet, haben seit 1993 keine Möglichkeit mehr, als Asylberechtigte anerkannt zu werden. Die entsprechende Regelung (Artikel 16a Grundgesetz) wurde 1993 in Deutschland angesichts sehr hoher Asylbewerberzahlen (400.000 pro Jahr) eingeführt. Die Änderung des Grundgesetzes trat am 1. Juli 1993 in Kraft und warf zunächst erhebliche rechtliche Probleme auf.[1]

      Kritisiert an der Drittstaatenregelung wurde vor allem, dass sie die Gefahr von Kettenabschiebungen in sich berge, wenn der vermeintlich sichere Drittstaat den politisch Verfolgten seinerseits in den verfolgenden Ursprungsstaat abschiebe. Außerdem würden durch diese Regelung Menschenrechte verletzt, da faktisch alle Personen, die über den Landweg einreisen, ausgeschlossen seien. Sanktionen gegen Transportunternehmen würden die Flucht politisch Verfolgter erheblich erschweren. Faktisch würde die Drittstaatenregelung politisch verfolgte Personen gegenüber Wirtschaftsflüchtlingen sogar benachteiligen…“



      de.wikipedia.org/w...ittstaatenregelung

      So geht das ©️ Kurt Vonnegut



      “Sei vorsichtig, was du vorgibst zu sein, denn du bist, was du vorgibst zu sein.“