piwik no script img

Haushaltsverhandlungen der RegierungSparen an der Demokratie

Die AfD ist stark, und die Ampel will sparen – ausgerechnet dort, wo es um den Zusammenhalt in der Demokratie geht. Drei Beispiele.

Einige Abgeordnete waren bestimmt auch auf einer der Unteilbar-Demos, hier im Juni 2020 in Berlin Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Integration

Ob nun Unterstützung im Asylverfahren, beim Ankommen in Deutschland, auf dem Weg in den Arbeitsmarkt und an die Uni oder bei der Versorgung traumatisierter Kriegsflüchtlinge: Die Bundesregierung will Projekte für eingewanderte oder geflüchtete Menschen drastisch zusammenkürzen.

Dabei geht es um Kürzungen, die das Aus für viele Projekte bedeuten und erfolgreiche Integration auf Jahre erschweren könnte. Die Mi-grationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) etwa berät bei Fragen zu Spracherwerb, Wohnungssuche oder bei der Anerkennung von Abschlüssen. Weil der Bedarf so hoch ist, bekam die MBE 2023 eine Rekordsumme von 81,5 Millionen Euro. Jetzt soll diese Aufstockung nicht nur rückgängig gemacht werden, die Summe soll deutlich geringer werden: Nur noch 57,5 Millionen Euro soll es 2024 geben, ein Minus von 30 Prozent.

Ähnliches droht den 47 psychosozialen Zentren, eine Anlaufstelle für kriegstraumatisierte Geflüchtete. Deren Mittel wollte die Ampel laut Koalitionsvertrag verstetigen. Nun sollen sie gekürzt werden: von 17 auf 7 Millionen Euro. Dabei können die Zentren schon heute nach eigenen Angaben nur etwa 4 Prozent der potenziell Behandlungsbedürftigen helfen, und die Wartelisten sind lang: Mehr als sieben Monate warten Geflüchtete auf einen Therapieplatz. „Die Kürzung würde den Abbruch vieler Therapien für Folterüberlebende bedeuten“, warnt Sabrina Hackmann von der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum.

Die Liste lässt sich fortsetzen. Für die Erstorientierungskurse etwa, die für das Ankommen Geflüchteter eine fundamentale Rolle spielen, soll es fast 40 Prozent weniger Geld geben. Komplett gestrichen werden soll die „Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule“ (GFH), die junge Mi­gran­t*in­nen auf dem Weg in die akademische Bildung begleitet. Schon seit August werden keine Geflüchteten mehr in die Förderung aufgenommen, zu Ende des Jahres soll das Programm eingestellt werden.

Die Aufzählung ist nicht abschließend. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege üben scharfe Kritik: Durch die Kürzungen sehe man die „Versorgung und Teilhabe von geflüchteten sowie anderen zugewanderten Menschen massiv gestört und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr“.

Politische Bildung

Eigentlich hatte die Bundesregierung versprochen, Projekte gegen Extremismus und für Toleranz zu stärken. Doch anstatt das Demokratiefördergesetz wie angekündigt vor dem Sommer zu verabschieden, und damit eine langfristige Finanzierung entsprechender Programme, hat die Ampel bei der politischen Bildung gekürzt.

Betroffen sind unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, die freie Jugendhilfe sowie Freiwilligendienste, die jeweils auf rund ein Fünftel ihres Budgets verzichten sollen. Andere Posten sind im Haushaltsentwurf ganz gestrichen. Darunter das Programm „Respekt Coaches“, das seit 2018 bundesweit an rund 600 Schulen läuft und das das Familienministerium in diesem Jahr noch mit 30 Millionen Euro fördert.

Respekt Coaches organisieren Workshops zu Themen wie Diskriminierung oder Vielfalt und beraten Schü­le­r:in­nen und Lehrkräfte bei Konflikten. Das Familienministerium selbst stellt ihnen ein gutes Zeugnis aus. „Die positiven Bewertungen und die beobachteten Wirkungen sprechen für eine Fortführung des Präventionsprogramms“, heißt es in einem Gutachten. Nach den Silvesterkrawallen wies Familienministerin Lisa Paus die Respekt Coaches im Bundestag noch als „Erfolgs­story“ aus. Eigentlich sollte das Programm noch bis mindestens Ende 2024 laufen – nun soll der Bund die Finanzierung im Januar komplett einstellen. Die zuständige Staatssekretärin Margit Gottstein verweist auf die Möglichkeit, die gewonnene „Expertise“ in das geplante „Startchancenprogramm“ für Brennpunktschulen einzubringen.

Von einer „gravierenden Fehlentscheidung“ spricht die Präsidentin des Internationalen Bundes (IB), Petra Merkel. Der Bund verliere „fahrlässig“ ein wesentliches Instrument zur Demokratiebildung. Die Diakonie-Direktorin für Berlin und Brandenburg, Ursula Schoen, warnt vor einem „Vertrauensbruch“ gegenüber Schü­le­r:in­nen und Lehrkräften. Mehrere Petitionen fordern die Regierung auf, die Respekt Coaches zu erhalten.

Kritik dürfte die Koalition kommende Woche auch im Bundestag hören, wenn ihr Haushaltsentwurf beraten wird. Auch viele Par­la­men­ta­rie­r:in­nen halten es für ein gefährliches Signal, in Zeiten von AfD-Umfragehochs und vermehrten rechtsextremen Vorfällen an Schulen an der Demokratiebildung zu sparen.

Fake News

Seit Beginn der Pandemie haben sie Konjunktur: falsche Nachrichten über Impfschäden, Desinformationskampagnen von Putinversteher:innen, ausgedachte Geschichten über die angebliche Strippenzieherei von Politiker:innen. Das Ganze gespickt mit einer ordentlichen Ladung Hass in sozialen Medien.

Die Bundesregierung hat die Gefahr aus dem digitalen Raum erkannt, eigentlich. Bei ihrer im Juni vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie benannte sie Fake News als potenzielle Bedrohung und bezeichnete den Kampf gegen Desinformation und Hate Speech als wichtige Instrumente der Demokratieförderung. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bekräftigt immer wieder diesen Kurs – vor allem im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Seit Kriegsbeginn hätten auch Desinformationskampagnen von russischer Seite zugenommen.

Trotzdem sollen relevante Initiativen, die Aufklärungs- und Präventivarbeit leisten, künftig weniger Geld bekommen oder ganz gestrichen werden. Ein Beispiel ist das vom Bundesjustizministerium geförderte Projekt „Firewall“ der Amadeu-Antonio-Stiftung. Vor allem Ex­per­t:in­nen aus der Sozialarbeit wurden darüber gecoacht und ausgebildet, um sich Wissen darüber anzueignen, wie man nicht auf Fake News hereinfällt, wie man sich gegen Hass im Netz stellt, wie Desinformation begegnet werden kann. Ihre Zielgruppe: Junge Menschen bis Mitte zwanzig. Also genau der Personenkreis, der sich laut Umfragen am meisten im digitalen Raum aufhält. Weit über die Hälfte gibt laut Amadeu-Antonio-Stiftung an, regelmäßig auf Falschinformationen zu stoßen. „Firewall“ wird im kommenden Jahr nicht weiter vom Ministerium gefördert.

Mit deutlichen finanziellen Einbußen muss auch die Organisation Hate Aid rechnen. Sie berät und unterstützt Personen, die von digitaler Gewalt betroffen sind. Bereits 2023 musste die Initiative um ihre Förderung aus dem Bundesjustizministerium bangen und die finanzielle Unterstützung wurde in Frage gestellt. Nur dank eines Beschlusses des Haushaltsausschusses des Bundestags konnte die Kürzung noch abgewendet werden. Für 2024 und auch 2025 sieht es allerdings schlecht aus. Laut Hate Aid handelt es sich um Einbußen von rund 600.000 Euro. Ohne die staatliche Förderung können beide Projekte nur sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr weitergeführt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • @PHILIPPO1000

    Nein, nicht die anderen. Die Reichen.

    @RUDOLF FISSNER

    Da stimme ich absolut zu, ja.

  • PHILIPPO1000

    Höhere Einkommen höher besteuern. Vermögen besteuern.

    Aber was rede ich? Ich lasse lieber einen Wirtschafts"nobel"preis [1] etwas dazu sagen:

    [1] www.theguardian.co...s-economic-reforms

    • @tomás zerolo:

      Leider ist dieses Argument, dass die Anderen zahlen sollen nicht neu .



      Aber das ist wahrscheinlich (Lebens-) Einstellung.



      Manche machen, manche lassen machen.

    • @tomás zerolo:

      Jepp. Aber bitte nicht wieder so, dass die obersten 10% der Weltbevölkerung größtenteils geschont werden in DE.



      Stimmen Sie da zu?

  • Ja, aber...



    Das sind natürlich unerfreuliche Nachrichten.



    Hier allerdings die Geschichte zu erzählen, die Ampel spare, " ausgerechnet hier", statt woanders, ist falsch.



    Schon vor der Sommerpause wurde bekannt, dass ALLE Ressorts Einsparungen vornehmen müssen.



    Die bekannten Ausnahmen sind das Arbeitsministerium und das Verteidigungsministerium.



    Nun müssen die Ressorts Ihre Entscheidungen zu den Einsparungen bekannt geben.



    Dass angesichts der konjunkturellen Entwicklung die Steuereinnahmen sinken, dürfte Allen klar sein.



    Es wird im Artikel darauf verwiesen, dass es schädlich für die Demokratie ist, beispielsweise Integration weniger zu fördern.



    Das ist richtig.



    Allerdings ist die Behauptung, die Regierung würde nur hier sparen wollen ebenso schädlich.



    Wie die Rechten in Horn tuten, " Die da oben" handeln gegen unsere Interessen und volkesfern, erfolgt nun eine ähnliche Kritik von links.



    Einsparungen sind nie attraktiv, aber manchmal den Realitäten geschuldet.



    Es wächst natürlich eine Generation heran, die Verschuldung für normal hält.



    Wer aber mal nah an Insolvenz war, oder sie gerade durchlebt (hat), findet das weniger erstrebenswert.



    Die Regierung muss auch die Zukunft des Landes und die kommenden Generationen im Blick haben.



    Dazu gehört auch ein maßvoller Umgang mit Steuergeldern.



    Finanziell auf Kosten der kommenden Generationen zu leben, kann keine Lösung sein.



    Das Mantra von der Besteuerung der Reichen, als Lösung Aller Probleme, ist ebenfalls ein Witz.



    Es wird zur Zeit gemutmaßt, dass Industrie abwandern könnte.



    Eine Abwanderung von Personen ist noch einfacher.



    Die Lösung "ich geh' feiern und Papa zahlt", ist unausgewogen und genauso "erwachsen", wie es klingt.



    Im Übrigen gibt es Viele Menschen, die ehrenamtlichen Tätigkeiten in diesen Bereichen nachgehen.



    Ohne das geht es sowieso nicht.



    Der Staat kann das Ehrenamt nicht ersetzen bzw. in bezahlte Jobs ummünzen.



    Wir müssen schon Alle selbst an der Gesellschaft arbeiten, die wir uns wünschen.

    • @Philippo1000:

      Demokratieförderung ist eine Investition in die Zukunft gerade für die kommenden Generationen. Und Ehrenamt muss auch organisiert werden und das erfordert ab einem gewissen Aufwand bezahlte Stellen zur Koordination. Ansonsten brechen gute, für die Gesellschaft relevante Projekte zusammen weil das niemand in seiner Freizeit bewältigen kann. Ich spreche da aus Erfahrung, da ich schon ziemlich lange ehrenamtlich tätig bin.

      • @Andreas J:

        Ich würde nicht über ehrenamtliche Arbeit sprechen, wenn ich sie nicht kennen würde.

        • @Philippo1000:

          Und dann so ein Urteil? Traurig.

        • @Philippo1000:

          Oh, und:



          Die Drohung der Abwanderung von Industrie und Wirtschaft kommt immer: Mindestlohn? Wir gehen!, Energiepreise? Wir gehen!, Beschränkung der Leiharbeit? Wie gehen! usw.usf.

          Ob die Albrechts und Quands und Lohs und Würths alle umgehend auswanderten, wenn es eine, auch nur kleine Vermögenssteuer gäbe?

          Ob VW, Mercedes, Continental, Opel, BMW alle Werke in Dtl. schlössen und alle Entwicklungs- und Designabteilungen mit, wenn wir als Staat härter verhandeln würden?

          Ich hab da meine Zweifel.

        • @Philippo1000:

          Ehrenamtlich Vollzeit-Deutschkurse bis C1-Niveau, ehrenamtlich fundierte und professionelle Begleitung und Beratung von Neuzugewanderten in den Bereichen Bildung, Arbeit, Finanzen, Sozialleben, Gesundheit, Erziehung, ehrenamtlich politische Bildung für Schulklassen organisieren und anbieten, ehrenamtlich Kurse Seminare usw....

          ... ja, kann man alles ehrenamtlich machen - man kann auch ehrenamtlich Herzchirurgie betreiben, die IT eines Unternehmens organisieren, Anwalt sei



          und Brot backen.

          Sinnvoller und einer hochqualifizierten und ausdifferenzierten Gesellschaft angemessen ist eher, die im eesten Absatz genannten Tätigkeiten Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen, DaZ-Lehrer*innen mit ihrer Professionalität zu überlassen.

          Die Geringschätzung politischer Bildung und sozialer Arbeit als "Ach, das kann ich ja eigentlich auch, wozu braucht es da ein Studium?" ist Teil der Misere.

  • Will "die Ampel" sparen, oder vielleicht doch eher "der Lindner"?

    Fragen über Fragen.

  • Danke, dass ihr auch darüber berichtet. Es ist zum Haareraufen und natürlich furchtbar kurzsichtig. Aus der Beratung im Jugendmigrationsdienst (JMD), der in Kombi mit den Respect Coaches finanziell gekürzt werden soll, kann ich sagen: Je früher und umfassender die Beratung und Begleitung, desto besser die mittelfristige und langfristige Unabhängigkeit von staatlichen Hilfen. Investition in MBE/JMD/Respect Coaches verringert und verkürzt den Bezug von Bürgergeld, Alg1, ja, sogar Kindergeld, weil z.B. Jugendliche über Ausbildung vor dem 25. Lebensjahr in Arbeit gehen und Steuern und Sozialabgaben zahlen.



    Mal abgesehen von den potentiellen hochqualifizierten Fachkräften, die über den GFH zügig ins Studium kamen, die müssen dann jetzt wieder beim Jobcenter um jeden B2-Kurs betteln und C1 selbst finanzieren, um dann irgendwann mal mit BaföG rundzukommen. Ja, das sind durchaus die Ärztinnen und Informatiker und Ingenieur*innen, die gewollt sind.

    Es ist ein Witz und nicht nur ich frage mich, wer im BMFSFJ auf die Idee kam, dass die Kürzung irgendwie sinnig wäre.

    (Nein, mein Job ist sicher, darum geht es gar nicht.)