Briefwechsel im amerikanischen Exil: Vertrieben aus dem Reich der Künste
Die „Briefe im Exil“ zwischen Max Reinhardt und Helene Thimig sind ein spannendes Zeitdokument. Sie erzählen vom Überleben in der Emigration.
Schneestürme und unerträgliche Hitze in New York, brennende Hügel und Villen bei Hollywood – manchmal ist es das Wetter, das dem Leser heute die Briefe, die sich der Regisseur Max Reinhardt und seine Frau, die Schauspielerin Helene Thimig, im Exil in den USA schrieben, unvermutet nahebringt. Vor Hitze keine Luft zu bekommen, grundiert den Ton seiner Briefe aus New York, wo Max Reinhardt versuchte, neue Theaterprojekte auf die Beine zu stellen. Zunehmend verzweifelt ist sein Ton, weil er nicht arbeiten kann, sondern alle Energie für das Werben von Mäzenen draufgeht, die dann untereinander streiten, konkurrieren, intrigieren.
Die amerikanischen Behörden verfolgen den Künstler, der seit 1940 amerikanischen Staatsbürger ist, mit Steuerschulden. Sein langjähriger Diener verlässt ihn, was Max Reinhardt als verletzenden Treuebruch empfindet. Arbeitspartner und Freund ist im Exil der Komponist Erich Wolfgang Korngold, zusammen versuchen sie schon in Europa erfolgreich umgesetzte Stoffe für die USA umzuarbeiten, aber oft zieht sich einer von beiden verletzt und beleidigt zurück.
Not zu leiden, keine Zukunft mehr zu sehen, bringt nicht die besten Seiten im Menschen hervor. Die „Briefe im Exil“ sind voller Klagen und Anschuldigungen, nicht immer nachvollziehbar für den Leser. Man lernt Max Reinhardt von einer kleinmütigen, nörgelnden und unleidlichen Seite kennen. Aber nach und nach erfährt man auch, welche großen Verluste, Enteignungen von Theatern und weiterem Privatbesitz er durch die Nationalsozialisten in Deutschland und Österreich erfahren hat.
Während er in New York kämpft, versucht Helene Thimig in Hollywood eine Max-Reinhardt-Theaterschule aufrecht zu halten, lehrt Schauspiel und lernt selbst inszenieren, hat erste Filmrollen in Hollywood. Sie lernt man in den Briefen, die zwischen 1937 und 1943 geschrieben wurden, als eine Frau kennen, die ihre Stärke und Selbstständigkeit in der Not erst entdeckt.
Auch sie kämpft gegen Schulden, alte und neue, ringt mit betrügerischen Anwälten, rationiertem Benzin, Hoffnungslosigkeit. Und immer wieder schreiben beide, wie sehr sie den anderen vermissen, das Leben ohne ihn nicht ertragen und unter der Trennung leiden. Auch Eifersucht quält beide, ihre Abhängigkeit voneinander verschärft die Bedrückung.
Aussageträchtige Fotos
Edda Fuhrich und Sibylle Zehle, die Herausgeberinnen, haben sich beide schon ausführlich mit Max Reinhardt beschäftigt. Sie haben den Briefwechsel mit schönen und sehr aussageträchtigen Fotos illustriert. Eine klassizistische Säulenfront trug den Namen Max Reinhardt an seiner Schule. Man sieht ihn mit Marlene Dietrich, die bei der Renovierung der Schule half.
„Briefe im Exil. Max Reinhardt – Helene Thimig“. Hg. Edda Fuhrich und Sibylle Zehle. Residenz Verlag Salzburg/Wien 2023, 560 Seiten mit vielen Abbildungen, 40 Euro
Ein Foto zeigt Gregory Peck und Karl Malden, die 1943 in dem Antikriegsstück „Sons and Soldiers“ mitspielten, das zu inszenieren Reinhardt am Broadway zwar gelungen war; aber ein Erfolg wurde es nicht, Kriegszeiten verlangen nach Unterhaltung, war sein bitteres Fazit. Ein anderes Bild zeigt ihn mit Helene Thimig, bei ihrem letzten Besuch in New York im September 1943, bevor er im Oktober an den Folgen eines Schlaganfalls starb.
Über den Nationalsozialismus, der sie zuerst aus Berlin, dann aus Österreich vertrieben hat, über die Ermordung der Juden, über den Krieg, schreiben sich Helene und Max nur selten. Das mag überraschen. Aber die Briefe sind eben unmittelbar Teil ihres wirtschaftlichen und künstlerischen Überlebenskampfes, den Folgen der Vertreibung und des Krieges, der sie vollkommen absorbiert.
Er sprengt die Fesseln des Naturalismus
Wer Max Reinhardt als Künstler war, muss man woanders nachlesen: über seine frühen Theatererfolge in Berlin 1903, seinen schnellen Aufstieg, über seine großen Theaterunternehmen in Berlin und die Gründung der Salzburger Festspiele 1920. Als szenischer Poet sprengte er die Fesseln des Naturalismus, sorgte mit Einbeziehung von Licht, Musik und neuen Bühnenarchitekturen für ein neues Erlebnis des Theaters als Gesamtkunstwerk.
Doch eine Ahnung davon, wie sehr er es liebte, Schönheit zu inszenieren, bekommt man aus einem der letzten, langen Briefe. Er will, um New Yorks Hitze zu entfliehen, ein Haus am Meer kaufen. Er hat seine Augen auf eine große Villa geworfen und stattet sie in Gedanken aus mit Bildern, Möbeln und Dekor. Seine Gedanken kehren zurück zu den schönen Häusern und Schlössern, die er besessen hat, und er geht in Erinnerung durch die Räume und freut sich an jedem Detail, das er eingerichtet hatte.
Und obwohl ihm, weil er Jude war, das alles genommen wurde von den Nationalsozialisten, sind diese Seiten die entspanntesten in dem Briefwechsel. Nur die Vergangenheit ist ein Ort, wo er glücklich sein konnte. Weil einen der Briefwechsel in diese Gefühlslagen mit hineinzieht, ist er als Zeitdokument doch interessant und geht über das Private hinaus.
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