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Ermittlungen gegen Rammstein-SängerIm Zweifel für Lindemann

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Juristisch muss der Rammstein-Sänger wohl nichts mehr befürchten. Die Staatsanwaltschaft hätte länger auf Berichte von Betroffenen warten müssen, bemängeln Kritiker.

Rammstein Sänger Till Lindemann, die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen ihn eingestellt Foto: Madis Veltman/Scanpix/imago

D ie Staatsanwaltschaft Berlin hat ihre Ermittlungen gegen Till Lindemann eingestellt. Straftaten an weiblichen Fans seien bislang nicht ausreichend beweisbar, vor allem weil sich keine Betroffenen bei der Polizei gemeldet haben.

Es ist zwar gut nachvollziehbar, dass Menschen nach einem sexuellen Übergriff nicht die Kraft haben, Anzeige zu erstatten. Wenn es um eine Vergewaltigung unter dem Einfluss von K.-o.-Tropfen geht, sollten zudem schnell Beweise gesichert werden. K.-o.-Tropfen sind nur wenige Stunden nachweisbar. Spermaspuren sollte man nicht wegduschen, auch wenn das Bedürfnis danach übermächtig ist. Solche Besonnenheit ist in einer aufgewühlten Situation eher die Ausnahme als die Regel.

Im Fall Lindemann ist in den Medien allerdings ein quasi industrielles System der Groupie-Benutzung geschildert worden. Wohl bei jedem Konzert seien Lindemann junge Frauen für After-Show-Partys zugeführt worden. Sollten diese regelmäßig mit K.-o.-Tropfen oder Alkohol außer Gefecht gesetzt worden sein, müsste es hunderte oder tausende Betroffene geben. Dass selbst nach den Medienberichten keine einzige Frau zur Polizei ging, könnte ein Indiz dafür sein, dass dieses Hilflosmachen eben doch nicht zum Lindemann-System gehörte.

Manche finden, die Staatsanwaltschaft hätte länger warten müssen. Umgekehrt könnte man die Einstellung der Ermittlungen aber auch als Hilferuf der Staatsanwaltschaft sehen: „Meldet euch endlich.“ Schließlich können die Ermittlungen gegen Lindemann jederzeit wieder aufgenommen werden.

Wichtig ist es aber auch zu differenzieren, ob überhaupt eine Straftat vorlag. Die Vergewaltigung nach gezielter Gabe von K.-o.-Tropfen oder Alkohol war der Kern der strafrechtlichen Vorwürfe gegen Lindemann. Dagegen ist es im Prinzip nicht strafbar, dass dieser seine Attraktivität als Star ausnutzte. Einvernehmlicher Sex mit erwachsenen Verehrerinnen ist legal, selbst in organisierter Form mit einem weiblichen Ober-Fan als selbst ernannter Casting-Direktorin.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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14 Kommentare

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  • Schönen Gruß an die vielen Influencer*Innen und sogenannten "Fans" die sich tagein tagaus um das "Frauenbild" bemühen und dafür sorgen das Gleichberechtigung für ALLE ein "Schickes Beiwerk" bleibt.



    Das wird es auch zukünftig Kameraden wie L. leicht machen Ihr "Frauenbild" auszuleben.



    Vielleicht noch eine Anmerkung: Nach dem das Sommerloch mit dem Rammstein Frontmann gut gefüllt wurde müssen sich nach der Einstellung der Ermittlungen auch die Medien deutliche Kritik gefallen lassen. Auch das könnte ein Thema sein. Einmal demütig auf die Berichterstattung blicken. Ich hoffe das ich das so schreiben kann liebe TAZ.

  • In der „Relotius-Presse“ wurde Lindemann auf der Titelseite schon als potentiell perverser Frauenschänder medial gekreuzigt, das ist eine Schande für die deutsche Presselandschaft.

    Denn am Ende hat er wohl nichts anderes getan, als vor ihm Stars von Mick Jagger bis Udo Jürgens, er hatte Groupies…

  • 4G
    47351 (Profil gelöscht)

    Herr Dr. Rath ist nach meiner Erinnerung kein Strafrechtler, ich bin es auch nicht. Gleichwohl bemühe ich nochmals meine Erinnerung und denke, dass hier gerade nicht "im Zweifel für Till Lindemann" entschieden wurde.

    Dieses Prinzip wird im Strafprozess selbst angewendet, wenn nach der Beweisaufnahme keine tragfähige Überzeugung des Gerichts an der Täterschaft des Angeklagten besteht.

    Hier hat die Staatsanwaltschaft - bis jetzt - ganz offensichtlich überhaupt keine strafprozessual erheblichen belastenden Momente gegen Till Lindemann vorliegen, die eventuell mit entlastenden Momenten gegeneinander abgewogen wurden. Es fehlt schlicht an Fakten, die eine Anklageerhebung auch nur in die Nähe des Denkbaren rücken.

    • @47351 (Profil gelöscht):

      Herr Rath ist schon ziemlich fit im Strafrecht, das kann ich beurteilen. Seine Beiträge sind eigentlich immer fundiert, wenn es um Strafrecht und Familienrecht gehr, für andere Bereiche würde ich mir kein Urteil erlauben.

  • 6G
    652797 (Profil gelöscht)

    Leider wird er diesen Makel als angeblicher Vergewaltiger nie wieder los.

  • Die Einstellung des Verfahrens bedeutet aus meiner Sucht zugleich eine Warnung gerichtet an Herrn Lindemann. Er wird wssen, jederzeit kann das Verfahren gegen ihn erneut aufgenommen werden, sowie eine Anzeige vorliegt. Es ist sehr bedauerlich, dass keine der betroffenen Frauen eine Anzeige erstattet hat.



    Zugleich wird aus meiner Sicht immer klarer, über die Wirkungsweise von Ko-Tropfen und deren Nachweisbarkeit sollte dringend intensiv informiert werden.

  • "Wichtig ist es aber auch zu differenzieren, ob überhaupt eine Straftat vorlag. Die Vergewaltigung nach gezielter Gabe von K.-o.-Tropfen oder Alkohol war der Kern der strafrechtlichen Vorwürfe gegen Lindemann."



    Im Netz gibt es viele Falschinformationen zu den Umständen der Beweisaufnahme und den Fakten der Beweisbarkeit mit gerichtsfesten Messungen.



    Ich hatte schon früher empfohlen, die Rechtsmedizin näher zu befragen, denn es sind im Falle von zur Diskussion stehenden Delikten inzwischen oft größere Zeitfenster für die Asservation möglich. Am besten ist es, gleich an eine Urinprobe zu denken, die im Marmeladenglas auch zur Konservierung im Kühlschrank aufbewahrt werden kann.



    //



    Für alle Fälle:



    //



    www.uke.de/klinike...mpu-sonstiges.html

  • Es gab keine einzige Strafanzeige einer betroffenen Frau und greifbare Beweise fand man auch nicht, weil die Ermittlungen ausschließlich auf Anzeigen Dritter beruhten, die selbst auch keine Zeugen waren, sondern ihrerseits ausschließlich auf kolportierten Behauptungen von Frauen oder auf Medienberichten beruhten.

    Logischerweise und vollkommen nachvollziehbar : Einstellung des Verfahrens.

  • Das da juristisch nichts bei rumkommt, war doch von vornerein klar - und zwar nicht, weil die Justiz eine patriachale ist, sondern weil



    a) zur Verurteilung ein Straftat vorliegen muss



    b) diese zu beweisen ist.

    Das es zu nicht-einvernehmlichen Sex gekommen sei, hat meines Wissens niemand behauptet. Und die heimliche Vergabe von K.O-Tropfen konnte nicht bewiesen werden. Frauen ab 18 zu einer Party einzuladen, dort stetig Alkohol zur Verfügung zu stellen, in der Hoffnung, das eine dann mit einem schläft, ist moralisch abartig, aber nicht justiziabel.

    Moral steht nicht vor Gericht - anders als zum Beispiel im Iran oder in Saudi Arabien. Und das ist auch gut so.

    Das der "Fall Lindemann" (übrigens ebenso wie der "Fall Rubiales") gesellschaftliche Konsequenzen haben muss und haben wird, davon bin ich überzeugt.

    • 6G
      652797 (Profil gelöscht)
      @mlevi:

      Bei Rubiales gibt es Beweise und Zeugen, bei Lindemann weder das eine noch das andere. Warum sollte er mit Konsequenzen rechnen müssen für etwas das er nicht getan hat?

    • @mlevi:

      Gut zusammengefasst.



      Ich fand den Hype von Anfang an etwas aufgeblasen, auch wenn die Angewohnheiten von Till Lindemann zum Glück nicht mehrheitstauglich sind.

      Den Blick hinter die schmuddeligen Kulissen dieser Superstars fand ich allerdings sehr erhellend.

      Abartig trifft es gut.

  • Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Frauenfeindlichkeit und sexuelle Gewalt werden uns auch in Zukunft beschäftigen. Wie Herbert Grönemeyer einst sagte: Alle Männer suchen Liebe,

  • Ich schreibe jetzt einfach stellvertretend für alle FLINTA*, dass wir leider versagt haben. Wir haben es nicht geschafft, einen cis Mann in die Knie zu zwingen. Das war unsere Aufgabe. Es sollte ein Zeichen sein, das Patriarchat zu zermürben. Bedauerlicherweise ist es standhaft geblieben.

    Wir müssen aber weiterkämpfen! Gegen das Patriarchat!

  • "Groupie Benutzung", interessantes Wort. Benutzt wird dann wohl in zwei Richtungen. Tja, Moral ist nicht justitiabel, mal schauen wie es weiter geht, bei Lindemanns Till wird jedenfalls heute Sekt getrunken.