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Klimakrise im JournalismusObjektivität ist eine Illusion

Valérie Catil
Essay von Valérie Catil

Klima-Journalist_innen wird oft vorgeworfen, aktivistisch zu handeln. Dabei berufen sie sich auf Fakten. Wo beginnt und wo endet das Subjektive?

Greta Thunberg, schwedische Klimaaktivistin, spricht mit Medienvertretern Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

T exten über das Klima wird häufig vorgeworfen, zu viel Haltung zu zeigen und nicht objektiv genug zu sein. Dabei sind wir an so einem kritischen Punkt in der Klimakrise angekommen, dass die Plattformen, die nicht ernsthaft über sie schreiben, der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigt werden sollten.

Aus philosophischer Perspektive ist Objektivität ohnehin kein angemessener Standard. Menschen gehen immer mit einem Set an Überzeugungen in die Welt, die die Objektivität aller Aussagen einschränkt.

Im Frühjahr dieses Jahres ist die Debatte, wo Aktivismus anfängt und Journalismus aufhört, über den Aktivisten und ehemaligen Journalisten Raphael Thelen erneut entfacht. Er erzählte im Podcast „Holger ruft an …“, dass er nicht mehr frei übers Klima schreiben könne, und wechselte schließlich die Seiten. Er schrieb für Medien wie Spiegel oder Zeit und ist nun Teil der Letzten Generation.

Einige Redaktionen hätten seine Texte kritisiert und schließlich zensiert, da sie nicht objektiv gewesen seien, obwohl er lediglich die Fakten, wie etwa die des Weltklimarats, ernst genommen und debattiert habe. Die harte Trennung zwischen Aktivismus und Journalismus sei artifiziell und nütze den Leuten, die nicht wollten, dass Klima in großem Umfang in den Medien stattfindet.

Kein journalistischer Meinungstext ist kein Oxymoron

Das sei beispielsweise der Lobby-Arbeit der fossilen Industrie zu verdanken. Er sagt auch, dass das Klimathema ungerechtfertigt eine besondere Stellung bekommen habe und schnell die Aktivismuskarte gezückt würde.

So sprach Ulf Poschardt von einer „Kernfusion von Klimajournalismus und Klimaaktivismus“, als der Stern und die taz jeweils eine gesamte Ausgabe dem Klima widmete. Auch den öffentlich-rechtlichen Sendern wird etwa von der Neuen Zürcher Zeitung eine Indoktrinierung der Klimaberichterstattung vorgeworfen.

Journalismus habe objektiv zu sein. Das stimmt natürlich, andererseits ist ein journalistischer Meinungstext kein Oxymoron. Es gibt Meinungsstücke, Kommentare oder Kolumnen, die trotz ihrer Haltung nicht als weniger journalistisch bezeichnet werden. Trotzdem: Egal um welchen Text es sich handelt, absolute Objektivität ist immer ein unrealistischer Standard.

Das Wort „Krise“ ist nicht objektiv

Es gibt Millionen von Ereignisse, über die man berichten könnte, doch nur das, was die Öffentlichkeit, meine Kol­le­g_innen und ich für wichtig halten, wird geschrieben. Auch wenn es die Klimakrise offensichtlich gibt, wird nicht über sie geschrieben, weil sie ein Faktum ist, sondern weil sie wichtig ist. Objektivität geht hier bereits verloren, wenn man die normative Entscheidung trifft: Was ist relevant, was ist irrelevant?

Gleichzeitig wird Objektivität vernachlässigt, wenn man die Klimakrise als solche bezeichnet. Die Tatsache, dass ich sie „Krise“ nenne, zeigt, dass ich sie für problematisch halte. Somit ist das Wort nicht objektiv. Das ist nicht ein Problem, sondern unvermeidbar. Der Objektivitätsstandard beim Klimathema ist daher wie auch bei anderen unrealistisch.

Subjektivität beginnt, bevor man explizit eine Meinung ausdrückt. Sie kann nicht umgangen werden. Absolute Objektivität ist eine Illusion. Viel mehr funktioniert das Ganze auf einem Spektrum: auf der einen Seite die Objektivität, auf der anderen Subjektivität – oder eben Haltung. Mal hat ein Text mehr vom einen, mal mehr vom anderen. So gesehen gibt es nicht wirklich eine klare Trennung zwischen „journalistisch-objektiven“ Stücken und Texten mit Haltung.

In die Szene eintauchen, um ehrlich über sie zu schreiben

Es gibt Ausschlusskriterien, ab wann man zu involviert in einem Thema ist, um darüber zu schreiben, oder wann ein Text zu subjektiv ist. Parteimitgliedschaft, Verwandtschaft und finanzielle Profitabilität zum Beispiel.

Doch Teil einer Gruppe zu sein, über die man schreibt, kann auch nützlich sein, wie Hunter S. Thompson über seine Recherchen im Drogendistrikt San Franciscos in den 1960er Jahren schreibt. Ihm zufolge müsse man in eine Szene eintauchen und Teil von ihr werden, um ehrlich über sie zu ­schreiben.

Das Wort „ehrlich“ sollte hervorgehoben werden. Eine Autorin, die die Folgen der Klimakatastrophe – vielleicht sogar im Rahmen aktivistischer Arbeit – aus erster Hand gesehen hat, kann auf angemessene und ehrliche Weise vermitteln, wie schwerwiegend diese Folgen sind, und Leser_innen informieren. Diese Texte als aktivistisch zu bezeichnen, wird dem Ausmaß der Klimakrise nicht gerecht.

Menschen, die von spezifischen Problemen betroffen sind, verfügen über einzigartiges Wissen über diese Probleme. Sie haben einen besonderen epistemischen (das Wissen betreffenden) Zugang, weil sie die besondere Unterdrückung, die ihre Gruppe betrifft, oft aus erster Hand erfahren.

Fakten werden verschieden interpretiert

Frauen schreiben über sexuelle Gewalt an Frauen, PoCs über Rassismus oder Queers über LGBTQ+-Rechte. Wir empfinden solche Einblicke bei gewissen Themen als besonders wertvoll. Niemals würde man in solchen Fällen sagen, dass die Autorin Eigeninteressen in ihren Texten vertritt. Der Unterschied ist, die Klimakrise betrifft uns alle, auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen.

Sicher gibt es gewisse Länder und Schichten, die zuerst unter den Folgen der Klimakrise leiden werden und es bereits tun. Doch letztlich ist es ein universales Problem, über das auch als solches berichtet werden sollte. Die Klimakrise ist wissenschaftlicher Konsens, also warum nicht im Journalismus?

Wenn eine Information auf verschiedene Menschen trifft, kann sie auf unterschiedliche Art interpretiert werden. Obwohl es die gleiche Information ist, kann sie verschieden wahrgenommen und sogar zu gegenteiligen Überzeugungen führen.

Den Verweiger_innen Anti-Klima-Aktivismus vorwerfen

Wichtig ist, zu betrachten, welche Menschen wie interpretieren. Wenn uns Expert_innen darauf hinweisen, dass die Fakten ernst zu nehmen sind und Ideo­lo­g_in­nen oder Profiteu­r_in­nen die Klimakrise leugnen, ist klar, wer hier die realistischere Einschätzung vornimmt.

Es wird diesen Menschen ein Gefallen getan, wenn man nicht über die Klimakrise schreibt und stattdessen eine deplatzierte Debatte über Haltung führt. Ein aktuelles Beispiel findet man in der FAZ, die ARD und ZDF vorwirft, „Greenwashing“ zu betreiben. Statt den Plattformen, die sich mit der Klima­krise auseinandersetzen, vorzuwerfen, dass sie zu viel Haltung zeigen, wäre es zutreffender, denen, die es nicht tun, Anti-Klima-Aktivismus vorzuwerfen.

Wichtig ist, dass sich die, die schreiben, keinen Vorteil verschaffen und sich nicht weigern, zu kritisieren, wenn etwas passiert, das kritikwürdig ist. Wenn man das Wort „Aktivismus“ so schnell um sich wirft, ist auch derjenige, der über Diktaturen schreibt, Demokratieaktivist und überhaupt: Betreiben die meisten Journalist_innen nicht Wahrheitsaktivismus? Vielleicht ist diese Art von (vermeintlichem) Klimaaktivismus nicht so schlimm.

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Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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9 Kommentare

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  • Je mehr man dazu übergeht, das Sprachrohr einer bestimmten Weltsicht zu sein, desto mehr Menschen vergrault man. Das „Problem“ bleibt, dass niemand verpflichtet ist, Sie ernstzunehmen oder Ihnen überhaupt zuzhören. Vor der eigenen Gruppe zu predigen ist ein leichtes unterfangen, aber wollen sie wirklich nur die erreichen, die sowieso schon Ihrer Meinung sind?

  • „Menschen gehen immer mit einem Set an Überzeugungen in die Welt, die die Objektivität aller Aussagen einschränkt.“

    Ist denn die reichlich apodiktisch formulierte Behauptung „Menschen gehen immer mit einem Set an Überzeugungen in die Welt“ objektiv wahr? Ob eine Aussage objektiv wahr ist, ob sie also ihren Gegenstand adäquat trifft, hängt nicht davon ab, ob Menschen ihre subjektiven Überzeugungen mitschleifen. Aus der richtigen Feststellung, dass Objektivität schwer zu erreichen ist, wird die vollkommen absurde Schlussfolgerung gezogen, dass es objektive Aussagen gar nicht gibt.



    Wie sich dann im Laufe des Textes herausstellt, setzt die Autorin Objektivität mit Wertneutralität gleich, womit sie Ulf Poschardts positivistische Haltung letzten Endes teilt. Gerade die Wertneutralität – ohnehin selbst ein Wert – ist einer von Machtasymmetrien durchzogenen Gesellschaft, einem somit in sich tendenziösen Gegenstand, objektiv unangemessen.



    Wie soll man denn überhaupt noch ausmachen was „kritikwürdig“ ist, wenn zuvor sämtliche Maßstäbe relativistisch verworfen wurden? Wie sollen sich denn Begriffe wie „Ideologie“ oder „Kritik“ halten lassen, wenn man den Anspruch auf objektive Wahrheit verwirft? Denn so wie hier von „Ideo­lo­g_in­nen“ die Rede ist, wird die Autorin wohl kaum von Paretos totalem Ideologiebegriff ausgehen. Die hier zugrundeliegende Epistemologie lässt aber einen kritischen Ideologiebegriff im Sinne von Marx oder Adorno gar nicht zu.



    Wenn man begründen will, dass Journalismus über das bloße unkritische Notieren von Fakten hinausgehen darf - und ich denke, dass sich das sehr wohl begründen lässt - dann wird das nicht über epistemologischen Relativismus und Standpunktphilosophie funktionieren. Dieser Relativismus lässt sich ganz einfach gegen jene emanzipatorischen Ideen kehren, deren postmoderne Verfechter glauben darauf angewiesen zu sein.

    • @Taugenichts:

      Chaprau! Unerwartet gescheiter und kenntnisreicher Kommentar. Danke dafür! Ich hätte den Ideologiebegriff, den Sie ansprechen eher bei Karl Mannheim verortet, aber meinetwegen Pateto. Ansonsten haben Sie völlig recht und das obige Argument zur Negation der Existenz der Objektivität ist ein schulbuchmässiges non sequitur. So nach dem Muster der Erstsemestersufgabe "Finde den Fehler: jeder Mensch hat irgendwo ein paar Münzen, also haben alle Geld und wenn alle Geld haben, ist niemand arm." Nach 2500 Jahren philosophischer Scharmüztel um die Objektivität, ist es meines Erachtens Hybris zu glauben, et voila, ich habs gelöst.

  • Gut rausgeredet.

    Da das Ideal sowieso unerreichbar ist, braucht man es auch nicht anzustreben.

    Allerdings braucht man dann auch sowas wie Zeitungen nicht mehr, weil man dann ja gleich die Aktivismusseiten lesen kann.

    Eine Aktivismus-"Zeitung" würde ich nicht lesen wollen. Wäre mir zu uninteressant.

    Wer braucht dann eigentlich noch Journalisten?

  • „Der Reporter hat keine Tendenz, hat nicht zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt. Er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern." (c) e.e.k (1).



    Der Wissende (rhetorischer Trick, Wertung), der diese Zeilen der großen Journalisten (sub. Wertung) kennt, weiß das dies reine "Satire" ist" (Rhetorischer Trick.)



    Es gibt auch mMn. keinen "objektiven" Journalismus!" Da stimme ich der Autorin voll zu!



    Jede, auch wissenschaftliche Arbeit, selbst Rechtsprechung usw. ist letztlich "subjektiv" geprägt! Wer behaupten, als Mensch "objektiv" zu arbeiten, zu sein... lügt. Entweder weil d/W/m nicht wissen will, oder bewusst, um eine "Position" zu besetzen, die es leichter macht die eigene Einstellung unter die Leute zu bringen!



    (Weiter ohne Anmerkungen!



    Nicht überraschend ist dabei, das immer die Gruppe usw. die "anderer Meinung" als z.B. ein Beitrag ist, in dem schlecht weg kommt, "LAUT" wird & "OBJEKTIVITÄT" einfordert.



    Besonders auffällig ist das bei Beiträgen des ÖRR!



    Denn der hat, im Gegensatz zu "kommerziellen Medien" keine Tendenz die ein Verleger bestimmt, sondern bildet weitgehend den "Querschnitt" der Subjektivität" der dort Arbeitenden ab!



    .



    Was tun? Ne, das ist zu groß für mich...:-) Besser, "Was hilft"?



    Verschieden Sichtweisen & auch Meinungen zu einem Thema mitnehmen, Daten & Fakten prüfen, wichten & jetzt müssen WIR :-) ganz stark sein....



    .



    .... selber denken & sich. oft sogar im Diskurs, eine EIGENE Meinung bilden.



    Ist Hart, ich weiß, "denken lassen" ist viel einfacher, aber da muss jeder für sich durch!



    Fazit: Wer nicht selbst denk der "wird gedacht". Das ist genau so wie in der "Demokratie", in der auch das Prinzip gilt:



    "Mitmachen & mitbestimmen" oder "Andere bestimmen über m/dich!" :-)



    .



    In diesem Sinn. immer schön "objektiv bleiben! ;:-))



    Gr. Sikasuu



    .



    (1) e.e.k- = gemein, signalisiert "Bildung & Insider", oft nicht vorhanden! :-)).



    "Egon Erwin Kisch" hätte oben auch stehen können & den Namen kennen viele! :-)

  • "Die harte Trennung zwischen Aktivismus und Journalismus sei artifiziell ..."

    Aber sowas von. Fragen Sie Rupert Murdoch.

  • Das Thema des Essays ist also "Haltung zeigen". Mich interessiert mehr "Smash IAA".

  • Natürlich gibt es so eine Objektivität letztlich nicht.



    Meine Kritik an der taz ist jedoch weniger die Berichterstattung zu den laufenden Ereignissen, sondern die Debatten eine Etage höher, die ständig Regierungsvorschläge machen, die weit vom Klimaschutz entfernt sind, sondern mit Standortverteidigung mehr zu tun haben.



    Es bleibt immer die Frage: was folgt daraus für den Machtkampf? Da ist ein Antagonismus zwischen allen Antreibern der Erderhitzung und Klimachaos und den Notwendigkeiten, diese zu stoppen.



    die Debattenbeiträge sind allesamt Systemintegration.

    • @Land of plenty:

      Passend dazu die aktuelle Umfrage der politischen Befindlichkeit der Jugendlichen in Deutschland.

      Roundabout die Hälfte der befragten 12-18jährigen betrachtet das aktuelle politische System als undemokratischen Boomer-Lobbyismus. Hauptgrund: die Verschleppung wirksamer Klimaschutzmaßnahmen.