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Das Ich im JournalismusIm Zeitalter der Selbststilisierung

Journalisten betreiben immer häufiger Nabelschau, anstatt ordentlich zu recherchieren. Das ramponiert den Ruf des Berufsstands.

Der Meister des journalistischen Ich: Hunter S. Thompson. Bild: Gonzo: The Life & work of Dr Hunter S. Thompson/imago/entertainment pictures

„Ich habe nie davon geträumt, zu heiraten.“

„Ich habe mir Eizellen einfrieren lassen.“

„Ich muss noch einmal über Käsekuchen schreiben.“

Was haben diese drei Sätze gemein? Zweierlei: Zum einen wurden sie von namhaften Redakteurinnen und Redakteuren in sogenannten Qualitätszeitungen veröffentlicht; zwei stammen aus dem Nachrichtenmagazin Spiegel, einer stammt aus der taz.

Zum anderen beginnen die drei Sätze mit dem Wort „ich“. Sie stehen für einen einen Trend, der scheinbar unaufhaltsam mächtiger wird im deutschen Journalismus.

Es icht. Es icht immer häufiger in den deutschen Zeitungen und Zeitschriften. Es icht ganz furchtbar.

Viele Journalisten berichten weniger über interessante Personen und Ereignisse, sondern schreiben lieber über sich selbst und was sie so alles erlebt haben. Die Leserschaft der Zeitungen schrumpft, die Zahl der Kolumnisten steigt. Die Kolumnisten erzählen, was sie im Fernsehen gesehen oder im Internet gefunden haben; sie schildern, welche Erfahrungen sie mit ihrem neuen Smartphone gemacht haben, was ihnen ihre halbwüchsigen Kindern zugemutet haben oder oder oder.

Ein Knoblauch-Shampoo

Die abgemilderte Variante des Ich-Journalismus ist das Schreiben über andere Personen und Ereignisse – und sich selbst. Journalisten produzieren Selfies, ihre Gegenstände werden zu Kulissen, ihre Protagonisten zu Komparsen mehr oder minder geglückter Selbstdarstellungen.

Nicht einmal die als seriös geltende Zeit hält dem Drang zur Ichisierung stand. In dem Hamburger Wochenblatt berichtet vor einer Weile eine Journalistin aus Kabul: „Als mir keine Fragen mehr einfallen, kaufe ich zwei Litergläser Honig, zwei große Tücher und ein Knoblauch-Shampoo.“ Dass sie Ronja von Wurmb-Seibel heißt, dafür kann die Kollegin nichts, für solche belanglosen Erzählungen schon.

Ohne Frage: Der Journalismus alter Schule – als es noch lange Sätze und kein Internet gab – hatte auch seine Tücken. Da schrieben manche Journalisten der Regierung am liebsten ins Stammbuch, was diese zu tun habe; erstens, zweitens, drittens. Viele Journalisten hatten politische Ziele, auch wenn diese so banal waren, dass die SPD die nächsten Wahlen gewinnen sollte – oder die Union. Sie wollten den Mächtigen nahekommen, sich in ihrem Lichte sonnen und sie schleimten sich dafür ohne Hemmungen bei Politikern oder Vorstandsvorsitzenden ein.

Gleichwohl gab es einen Grundkonsens unter Journalisten: Sie wollten berichten, sie wollten das Publikum informieren, sie liehen ihren Lesern Auge und Ohr, aber sie blieben dabei als Person im Hintergrund. Der Leser erfuhr in einer Reportage vielleicht, dass es brütend heiß war, aber musste nicht lesen: „Ich schwitze schon am frühen Morgen.“

Die wichtigste Wurzel des Ich-Journalismus ist der „New Journalism“, jene zunächst in den 1960er-Jahren in den USA von Tom Wolfe, Truman Capote, Hunter S. Thompson und anderen veröffentlichte literarische Reportagen, die nicht mehr Objektivität simulierten, sondern subjektiv Ereignisse und Personen beschrieben. Thompson trieb, von Drogen aller Art berauscht, seinen „Gonzo-Journalismus“ am weitesten. Diesen Ansatz griffen in den 1980er-Jahren junge Journalisten des Magazins Tempo in Hamburg auf und trugen ihn – ordentlich domestiziert – in andere Medien.

Aus Sicht der Leserschaft ist es sehr einfach: Ob subjektiver Journalismus interessant ist oder gar der Aufklärung dient, entscheidet sich am schreibenden Subjekt. Haben wir es mit einer charismatischen, klugen Person zu tun, die existenzielle Erfahrungen gemacht hat, die Interessantes tut, erlebt und reflektiert, kann der journalistische Mehrwert beachtlich sein.

Doch Journalisten in Deutschland stammen nahezu ausnahmslos aus dem Mittelstand, gerne ist der Vater oder die Mutter Lehrer. Sie haben zumeist Geisteswissenschaften studiert und führen als Redakteur ein von zu viel Arbeit geprägtes, relativ langweiliges Leben.

Eitelkeit als Kapital

Warum drängen solche Ichs immer stärker ans Licht? Natürlich ist es Eitelkeit mit fließenden Übergängen zu nacktem Narzissmus. „Eine gewisse Eitelkeit“ gehöre zum Metier, hat Heribert Prantl, der Kommentator der Süddeutschen Zeitung, eingeräumt. „Der Journalismus ist, fast wie die Schauspielerei, ein extrovertiertes Gewerbe.“ Das ist noch zurückhaltend formuliert: Viele Journalisten wollen nicht nur bedeutende und außergewöhnliche Menschen rühmen, sondern auch einmal gerühmt werden. Notfalls legen sie dafür selbst Hand an. Und in einer Zeit der fortschreitenden Individualisierung, der Ich-AGs und der Selbststilisierung betrachten viele Journalisten Eitelkeit als wichtigen Teils ihres Grundkapitals.

Im harten Kampf um Jobs versuchen sie sich als Marke zu entwickeln und zu profilieren. Gleichzeitig werden Journalisten inzwischen so schlecht bezahlt – Ingenieure verdienen als Berufsanfänger mehr als dreimal so viel wie junge Journalisten –, dass die Befriedigung der Eitelkeit auch dem Kompensieren der Ausbeutung und der immer schlechteren Arbeitsbedingungen dient.

Und neben psychischen Gründen spricht auch die Arbeitsökonomie für das Ichen. Es handelt sich um eine recherchearme oder sogar recherchefreie Variante der journalistischen Produktion. Und wer kann und will schon überprüfen, ob der Autor tatsächlich in Afghanistan einem Angriff der Taliban entkommen ist oder diesen an der Hotelbar halluziniert hat. Oder ob die Kolumnistin tatsächlich von einer schwäbischen Latte-Mutti in Prenzlauer Berg angeherrscht wurde oder sie diese nur aus gängigen Klischees kompiliert hat.

Da Journalisten sich über ihre Arbeit selten Gedanken machen, fehlt bislang eine Theorie des Selfie-Journalismus. Eines ist allerdings klar: Er geht auf die in Deutschland inzwischen hegemoniale Alternativkultur der Siebzigerjahre zurück. Damals formulierten sogenannte Spontis die Devise: „Das Persönliche ist politisch.“ Damit wandten sie sich gegen den rigiden Politikbegriff von Maoisten und anderen Sektierern, die als Arbeiter verkleidet das Proletariat bekehren wollten.

Das Persönliche ist politisch, das gab und gibt selbst dem banalsten Erlebten die Aura des Authentischen und die Weihe des Bedeutungsvollen. Doch so einfach ist es nicht. Wenn inzwischen die Journalistengeneration der Selfies glaubt, das Persönliche sei qua naturam politisch, auch wenn es nicht politisch gedacht und auf das Politische projiziert wird, ist das ein fataler Fehler. Zudem verwechseln die meisten Ich-Erzähler das Persönliche mit dem Privaten.

Residuum des Privaten

Zum Glück gibt es noch – und sollte es unbedingt auch für Journalistinnen und Journalisten geben – ein Residuum des Privaten, einen Bereich außerhalb der Medien. In diesen Bereich gehört, für meinen Geschmack, auch die Frage, ob eine Spiegel-Redakteurin sich Eizellen einfrieren lässt. Es darf nicht verschwiegen werden, dass die Qualitätsunterschiede im Selfie-Journalismus ebenso erheblich sind wie zwischen den Medien generell.

Caroline Emcke zum Beispiel betreibt den Ich-Journalismus auf höchstem intellektuellen Niveau; ebenso der Kreuzberger Feuilletonist und taz-Autor Detlef Kuhlbrodt, der eine Kolumne mal mit dem Satz begann: „Meine Schwester sagte mir, dass meine Mutter glaubt, dass ich tot bin.“

Solche Sätze sind Literatur und nicht Journalismus, es geht vor allem um Stimmungen, nicht um Fakten. Ich meine: Das subjektive, von der Ästhetik bestimmte Schreiben sollten die Journalisten den Schriftstellern und Dichterinnen überlassen.

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27 Kommentare

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  • Ein Journalist beklagt ungenaue Recherche und weiß nicht einmal, dass der Name der geschmähten Kollegin Carolin lautet, nicht Caroline. Abgesehen davon kenne ich von der sehr engagierten Carolin Emcke dann doch ausreichend gute Reportagen - in denen das Wort "ich" übrigens nicht ein einziges Mal vorkommt -, dass ich mich frage, was diese Art Namedropping soll. "Ich-Journalismus auf höchstem Niveau?" Ein Beispiel, bitteschön. Wenigstens eins! Bei diesem alle-doof-außer-mir-Rundumschlag ausgerechnet Carolin Emcke zu nennen, und das noch ohne jede Begründung, macht diesen sonst recht interessanten Artikel plötzlich fragwürdig.

  • @Isabel B.: Sie verlangen mehr Genauigkeit und Recherche. Nun denn: 1970 veröffentlichte die New Yorker Feministin Carol Hanisch einen Aufsatz mit dem Titel: "The Personal is Politicial", der dann mit der (ungenau übersetzten) Überschrift "Das Private ist politisch" ins Deutsche übertragen wurde. In der Frauenbewegung in der BRD und West-Berlin kursieren seitdem beide Varianten. In der West-Berliner Sponti-Szene, in der es personelle Überschneidungen zur Frauenbewegung gab, setzte sich, zum Beispiel in der Zeitung "Info-BUG" dann "Das Persönliche ist politisch" durch.

  • Ein Journalist, der über den Namen einer Kollegin spottet, mahnt mehr Qualität an.

     

    Ich habe übrigens den Artikel in der Zeit gegoogelt, es handelt sich hier um einen klassischen Reisebericht, im Unterschied zum Journalisten hat sie nicht vom Schreibtisch aus recherchiert.

  • «Das Private ist politisch» hiess der Slogan damals - «Das Persönliche» habe ich jedenfalls (sic!) damals nie gehört. Und der Spruch stammt nicht von irgendwelchen «Spontis» sondern von Frauen, die die Schnauze voll davon hatten, dass die meisten Männer alles über «Das Kapital» wussten, aber nicht, wie man Geschirr abwäscht einen Babyhintern putzt. Wie hiess diese politische Bewegung nochmal, Herr Sontheimer? Richtig: Frauenbewegung. Wie wärs mit etwas mehr Genauigkeit? Oder Recherche? Ohne diese beiden icht es nämlich ziemlich...

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Hat Herr Yücel diesen Artikel schon gelesen?

  • 1. Die Medienkrise ist nicht bedingt durch die Zunahme der Nabelschau

     

    2. Diese Zunahme der Ich-Stücke hat keine politischen Gründe. Es ist wahrscheinlich schlicht ein Nachhecheln der Blogosphäre

     

    3. Journalisten waren schon immer sehr eitel. Und sind es noch. Das hat mit dem Gehalt wahrscheinlich nicht so viel zu tun.

     

    4. Objektivität im Journalismus ist eine Illusion. Die Person blieb früher immer nur scheinbar im Hintergrund. Allein die Auswahl des berichteten Sehend und Hörens ist subjektiv und kann schon eine versteckte Meinung sein.

     

    5. Insofern ist es transparenter und konsequenter, Meinungsstücke in der Ich-Form zu schreiben

     

    6. Ich-Journalismus und Rechercheintensität verhalten sich zueinander nicht zwingend antiproportional

     

    7. Ich meine: Die Grenzen zwischen Journalismus und Schriftstellerei waren immer fließend und dürfen es auch nach wie vor sein.

    • @JensL:

      @ JENS L

      Anmerkung: Eitelkeit hin oder her - es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen scheinbarem Hintergrund und demonstriertem Vordergrund.

       

      Ein guter Schreiber braucht seinen Text gewiss nicht als Weihrauchbühne für sein unterhuldigtes Ego zu missbrauchen - an seriöser Anerkennung wird es ihm nämlich nicht mangeln.

       

      Was will denn der Texter präsentieren? Sich selber oder die Information/Botschaft?

       

      Wer das nicht auseinanderhalten kann, sollte empfohlenermaßen zu DSDS gehen oder bloggen.

      • @Index:

        Sehen Sie viel zu schwarz-weiß. Nicht jedes Ich-Stück ist gleich eine Selbstbeweihräucherung. Und bedeutet auch nicht zwingend, dass er sich zum Zentrum des Textes macht. Es ist einfach eine Frage der Perspektive.

      • @Index:

        Elegant versenkt.

    • @JensL:

      Ganz sicher nicht.

       

      Eine egomane Schreibe fördert allenfalls den Tunnelblick und reduziert die notwendige kritische Distanz eines/er JournalistIn bis hin zur Unkenntlichkeit.

       

      Für die Ich-Abteilung und zur Wiedergabe bewusst persönlicher, subjektiver, gefärbter Meinung ist ausschließlich der Kommentar die korrekte Sparte.

       

      Dort und nur dort mag der mitteilungsbedürftige Schreiberling seine persönlichen bis hochnotpeinlichen logorrhoesen Kakophonien in aller epischen Breite präsentieren, weil neben seinen besten Freunden nicht mal mehr seine Mami seinen endlosen Monologen lauschen mag und auch die wohlwollendste Gattin zuhause schon seit Jahren dicht macht, wenn er die Family mit seiner Weltanschauung beglücken will .

      • @Eilige Intuition:

        Ganz sicher nicht... was genau jetzt?

         

        Auch hier: Sie sehen das meiner Meinung nach viel zu schwarz-weiß. Zudem sollten Sie differenzieren. Reden wir über Kolumnen? Kommentare? Oder reden wir über die Verwendung der Ich-Form in Features, Reportagen usw.

         

        Bei Letzterem muss das nichts mit Egomanie oder Meinungsmache zu tun haben, es ist einfach die Wahl der Perspektive und, wenn angebracht und passend, ein Zugewinn für den Text und den Leser. Im deutschen Journalismus galt das Ich in den letzten Jahrzehnten als völlig verpönt, was zu teilweise reichlich verkrampften textlichen Verbiegungen führte, die einem als Leser viel mehr aufstoßen. Im angloamerikanischen Journalismus ist das Ich viel gebräuchlicher und hat auch nichts mit Gonzo-Journalismus zu tun. Viele seriöse Medien benutzen es und es ist auch nichts dabei.

         

        Aber angesichts des von Ihnen gewählten Tons, habe ich die Vermutung, dass Sie das nicht ganz so entspannt sehen...

  • "Dass sie Ronja von Wurmb-Seibel heißt, dafür kann die Kollegin nichts, für solche belanglosen Erzählungen schon."

     

    Köstlich.

     

    Chapeau!

  • Jo, Treffer.

    Das erinnert mich an diese zahllosen Spiegel-Online-Artikel (war früher SPON-Leser - jeder macht mal Fehler *g*) eines gewissen Herrn Achilles, von dessen Kolumnen-Überschriften allein einem schon beinahe übel werden konnte. Der ist auch so ein Rampenlichtling und Selbstinszeneur reinsten Wassers. Ein gewisser Herr Matussek wäre da noch so ein Fall ...

     

    Das waren mal irgendwie eher Ausnahmen und - als Wichtigstes - zumindest korrekt "etikettiert"!

     

    Es stimmt, mittlerweile liest man immer mehr von ich-als-event-besessenen Profilierungs-Zwänglern.

     

    Das Sachliche fällt der Eitelkeit zum Opfer und der Leser wird als Publikum benutzt.

     

    Es zeugt eher von peinlicher Selbstpräsentationssucht, wenn diese Schreiberlinge alles "ver-ichen" - ob sie nun Autos testen oder ihre Schwangerschaft beschreiben. Sind sie zu beschränkt, mal von etwas anderem als nur von sich schreiben zu können? So etwas zu lesen stinkt mir gleichsam. Und es ist nervig, und anstrengend dazu, immer mehr Zeit dafür aufwenden zu müssen, diesen Typus Schaumschreiber zwecks Vermeidung vorab zu erkennen.

     

    Hoffentlich folgt diesem möglichst schnell der Trend, dass diejenigen sich wieder in ihre VMBs (Verbalmasturbations-Blogs) zurückziehen oder sich auf fratzbook ihre benötigten Bewunderer abgreifen. Denn da gehören sie hin.

  • Ja, den nervigen Satz "Wen liest sie?!" hatte ich auch schon an der Backe. Ich habe ihn ignoriert. Dumme Frage! Die richtige Antwort wäre gewesen: "Die Zeitung!". Also ehrlich gesagt, meiner Meinung nach: niemanden interessiert, WER irgendwas schreibt. Es interessieren die Inhalte und dass es gut lesbar geschrieben ist. Es sollte gut informiert, es sollten neue Perspektiven aufgezeigt werden. Das Schlimmste ist, einen langweiligen Abklatsch dessen, was man am Abend zuvor in der Kneipe mit einem Bekannten bequatscht hat, in der Zeitung zu lesen. Man will ja lieber nicht die eigene Oberflächlichkeit und das eigene Halbwissen vorgesetzt kriegen. Und man will sich auch nicht unbedingt mit irgendwem "persönlich" identifizieren. Überhaupt, das "Persönliche" irgendwelcher Journalisten? Sorry, aber das sind doch keine Popstars! Ganz abgesehen davon, dass solche "intimen Details" doch sowieso meistens gefaked sind! Kunstfiguren halt. In Kreuzberg soll mal 'ner Frau ein Tagebuch geklaut worden sein. War aber keine Journalistin. Es gab die wildesten Spekulationen, was da dringestanden haben soll. Ein einzigartiger Einblick in "das Innerste" eines Menschen? Frische, lebendige, "authentische" Gefühle? Weiß man jetzt, wer die Frau ist? Mit wem man es zu tun hat? Auch wenn man sie gar nicht kennt? Muss man was über die wissen, wenn man sie gar nicht kennt? Wer geilt sich denn an sowas auf? Wie kaputt muss man dazu sein? (Also um solche Leute würde ich jedenfalls einen großen Bogen machen! DEREN "Persönliches" muss man nicht mehr unbedingt kennen lernen!) Vielleicht war das alles ja auch nur eine Art Schtonk, also Fake, ein Gerücht. Ich jedenfalls lerne Menschen lieber von Angesicht zu Angesicht, "in Echtzeit" sozusagen, kennen, als irgendeine künstliche Intimität mit jemandem aus einem Zeitungsartikel zu teilen.....

  • Interessanter Beitrag. Aber die meisten sogenannten "Journalisten" werden sich als nicht betroffen fühlen! Es ist ja immer der andere, der das macht.

    Das Journalismus eigentlich etwas mit Informationen zu tun haben sollte, wird wohl in der hohen Journalistenschule nicht mehr gelehrt. Heute geht es eher um das verbreiten von Meinungen und um das manipulieren eben derserselben!

  • "Früher war alles besser"...Nicht!

     

    Alles befindet sich im Wandel - auch

    Medien und deren Inhalte.

     

    Anonymität und Objektivität, falls es diese im Journalismus jemals gab (Parteifunktionäre sitzen im Vorstand, Lobyisten leiten Redaktionen, Anzeigenkunden machen Meinung), sind überholt. Die Entwicklung

    hin zum "Ich" ist eine Entwicklung hin zum Standpunkt, zu einer klaren Meinung.

     

    Das jahrelange Fehlen eben dieser Meinung

    hat den Journalismus zerstört. Das "Ich" gibt

    ihm endlich eine neue Form, die funktioniert.

    Nur eben nicht für den altbackenen und

    pseudointellektuellen Bratwurst-Journalisten.

     

    ...Wer gibt sich schon gerne mit profillosen Menschen ab? Eben!

    • @Igitt Baby:

      Ganz sicher nicht.

       

      Eine egomane Schreibe fördert allenfalls den Tunnelblick und reduziert die notwendige kritische Distanz eines/er JournalistIn bis hin zur Unkenntlichkeit.

       

      Für die Ich-Abteilung und zur Wiedergabe bewusst persönlicher, subjektiver, gefärbter Meinung ist ausschließlich der Kommentar die korrekte Sparte.

       

      Dort und nur dort mag der mitteilungsbedürftige Schreiberling seine persönlichen bis hochnotpeinlichen logorrhoesen Kakophonien in aller epischen Breite präsentieren, weil neben seinen besten Freunden nicht mal mehr seine Mami seinen endlosen Monologen lauschen mag und auch die wohlwollendste Gattin zuhause schon seit Jahren dicht macht, wenn er die Family mit seiner Weltanschauung beglücken will .

  • Volle Zustimmung. Doch hat der Autor die Leser vergessen. Mit solchen Formulierungen des ICH... macht sich eine Schreiberling irgendwie UN-bedeutend, seine Nachricht verliert ihren Wert für meine Meinungsbildung.

     

    Doch Widerspruch zur Behauptung; Journalismus ist, fast wie die Schauspielerei. Das ist elementar falsch, Der Schauspieler macht den Inhalt der Literatur emotional zugänglicher (Tonfall, Gestig, Mimik usw.). Das ist sein Beruf und seine Berufung,

  • Nichts Neues unter der Sonne, wir alle sind eitel, auch Journalisten und selbst wir namenlosen Klugscheisser-Kommentatoren wollen gelesen werden in der TAZ...

    Die Frage ist nur, wie flach, wie dämlich und offensichtlich diese Eitelkeit ist - und diese plappernde Nabelschau hat zugenommen. Wie kommt's? Immer mehr moderne, "hervorragend ausgebildete" junge Frauen, die was mit Medien machen...

  • Wir leben in egomanischen Zeiten. Das Wir ist nix, das Ich ist alles, jeder fühlt sich wie eine Insel und genießt das Leben ohne andere. Dass Journalisten dieses sonderbare Lebensgefühl in Ich-Artikel packen, wundert mich nicht. Seit etlichen Jahren geht das Niveau im Journalismus bei vielen Medien stringent nach unten. Selbst bei Publikationen, die geradezu überausgestattet sind, trumpft Idiotie auf. Das hier war ja schon mal ein Ansatz der Erklärung. Aber ich finde, da gibt es auch einen wirtschaftlichen Zwang zum Nicht-Niveau. Das geschriebene Wort bringt kaum noch Geld ein - Qualitätsjournalismus lohnt sich überhaupt nicht, diese These würde ich aufstellen.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Er geht auf die in Deutschland inzwischen hegemoniale Alternativkultur der siebziger Jahre zurück."

     

    Falsch, es geht auf leichtfertige Verpflichtung zu journalistischer "Neutralität" zurück, bzw. noch weiter auf die Bildung zu Suppenkaspermentalität auf Schuld- und Sündenbocksuche zurück, damit die URSACHE, der nun "freiheitliche" WETTBEWERB um "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei", auch weiterhin in gepflegter Bewußtseinsschwäche funktioniert!

  • Gerne hätte ich Ihnen beigepflichtet, man mault ja immer gern über Journalismus, und früher alles besser etc. pp.

     

    Aber Ihr Text ist von einer unangenehmen Arroganz, die jede Martenstein-Kolumne locker in den Schatten stellt (Sie wissen, Martenstein, das recherchefreie Über-Ich des Journalismus).

     

    - "Dass sie Ronja von Wurmb-Seibel heißt, dafür kann die Kollegin nichts"

    - "Der Journalismus alter Schule – als es noch lange Sätze und kein Internet gab"

    - "Doch Journalisten in Deutschland stammen nahezu ausnahmslos aus dem Mittelstand, gerne sind der Vater oder die Mutter Lehrer. Sie haben zumeist Geisteswissenschaften studiert" (als Gegensatz zu "charismatischen, klugen Person[en]")

     

    Verglichen mit so viel Überheblichkeit lese ich doch lieber Erfahrungsberichte über Honigkauf und Käsekuchenbacken.

  • Schön beschrieben. ;-))))

     

    Da ist was dran.

     

    Zeitgeist?

  • Ich esse gerade Schokocroissant mit Erdbeermermelare (die dieses Jahr sehr lecker ausfiel) und denke über den Artikel nach.

     

    Ich glaube, dass die Leser der taz jede Menge Themen haben, über die sie schon immer mal mehr wissen wollten. Und die blöderweise nie behandelt werden. Daher schlage ich vor, dass es eine Rubrik gibt, die von Lesern mit Themenwünschen gefüllt werden kann. Quasi Rechercheaufträge. Also nicht "mein Verein braucht Publicity", sondern Themen die Hintergründe erhellen und die aktuelle Situation beleuchten.

     

    Ich mach mal den Anfang und frage: Welchen Anteil am BIP entfällt auf die Rüstungsindustrie, und was macht ein Konflikt in Syrien, Ukraine, etc. mit unserem lieben BIP?

     

    Wer macht mit?

    • @LastHope:

      "Schokocroissant mit Erdbeermermelare"

       

      Pfui Deibel!

       

      Ich möchte auf kar keinen Phall so etwas Ekeliges lesen, weder in der TAZ und auch nicht anderswo.

       

      Da lauern Adipositas, Hypertonie, überhöhter Cholesterinspiegel, Diabetes und Herzinfarkt schon zwischen den klebrigen Fingern.

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @LastHope:

      "erhellen und beleuchten" - das soll also wirklich-wahrhaftige Vernunft und Verantwortungsbewußtsein bringen, was die gebildete Suppenkaspermentalität, die Überproduktion von Kommunikationsmüll und den geistigen Stillstand beendet???

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Auch wieder nur so ein Geschreibsel zum Thema: Im Keller brennt noch Licht, aber ich habe es schon aus gemacht!