Freier Eintritt mit Eins im Zeugnis: Schifffahrt für alle!

Das Deutsche Museum in München gewährt Einser-Schüler*innen gratis Eintritt. In der bayerischen Schifffahrt ist das Tradition. Das muss sich ändern!

Bootssteeg und Schiff auf einem See

Was auf dem Zeugnis steht, ist wurscht, hier sollen alle kostenlos einsteigen dürfen Foto: Imago

Die Sonne glitzert auf dem Starnberger See, Wespen kreisen ums Eis, und kurz bevor es aufs Schiff geht, bitte noch mal Sonnencreme nachlegen! Seit Jahrzehnten bekommen Bayerns Schü­le­r*in­nen mit einer Eins im Zeugnis in den Sommerferien Freifahrten bei der Bayerischen Seenschifffahrt. Tegernsee, Starnberger See, Ammersee, Königssee: Alle ganz wundervoll. Das Leben der Einserschüler*innen, glanzvoll, verschwitzt und trotzdem runtergekühlt von der sanften Seebrise.

Meine Familie war nie mit uns auf einem dieser Schiffe. Damit waren wir nicht allein. Mal abgesehen davon, dass vor allem Kinder von Aka­de­mi­ke­r*in­nen gute Noten haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Kinder keine Eins hat, je mehr Kinder man hat. Dann wird’s nicht nur teuer, sondern vor allem unfair und demütigend für die, die ohnehin schon wenig Erfolgserlebnisse durch die Schule haben.

Die kostenlose Schifffahrt ist Tradition in Bayern. Und das Deutsche Museum, also das Technikmuseum Münchens und Bayerns, hat sich entschieden mitzumachen: Wer eine Eins hat, durfte am ersten Ferientag, dem 31. Juli, kostenlos rein. Das ist erst mal sehr nett. Aber damit übernimmt das Museum einen fetten Denkfehler. Denn alle Schü­le­r*in­nen haben eine Leistung erbracht, die gewürdigt werden sollte, nicht nur jene, deren Zeugnis das offiziell bescheinigt.

Das Museum selbst hat inzwischen klargestellt, dass nächstes Jahr denjenigen Schü­le­r*in­nen kostenloser Eintritt gewährt wird, die eine 5 oder 6 in einem MINT-Fach haben. Das hatten auch diverse Kom­men­ta­to­r*in­nen im Internet gefordert. Diese Kinder und Jugendliche für Naturwissenschaften zu begeistern, sie zu verwundern, faszinieren – das klingt erst mal schön. Doch es ist ein Trostpflaster für jene, die in dem gängigen Schulsystem versagen, und unfair gegenüber allen, denn alle haben Zuwendung und ja, Entschädigung für die Schulzeit verdient.

Ferien, die Zeit ohne Leistungsdruck

Die Schulnote an sich ist bereits Belohnung für Leistung. Sie öffnet Chancen am Arbeitsmarkt, auf den Studiengang in der Traumstadt. Wer gute Noten hat, wird von Lehrkräften oftmals weiter gefördert. Diese Förderung haben die Schü­le­r*in­nen verdient. Aber eben auch jene, die keine guten Noten bekommen. Eine weitere Belohnung durch Schifffahrtsunternehmen, durch Museen, durch kulturelle, sportliche, staatliche, zivilgesellschaftliche Organisationen, Vereine, Firmen, ist abstrus. Sie haben keinen Einblick, welche Leistung die Schü­le­r*in­nen tatsächlich erbracht haben. Und holen überdies den ohnehin schon so dominierenden Faktor Leistung in die einzige Zeit, die für Kinder und Jugendliche leistungsbefreit sein sollte: die Ferien.

Schü­le­r*in­nen haben Anfeindungen und Mobbing durch Lehrkräfte, System und Mit­schü­le­r*in­nen ausgehalten, ebenso wie den Schmerz, jeden Tag neben der unerfüllten Liebe zu sitzen, ohne fliehen zu können. Schü­le­r*in­nen haben Mathe durchgestanden trotz Pubertät, Deutsch trotz Thomas Mann, Kunst trotz zwei linker Hände. Sie haben Religion überlebt und ­Chemie; haben all das durchgemacht, was sich Staat und Gesellschaft als ­Arbeitsstelle für Kinder und Jugendliche ausgedacht haben; sind durch ein System gelaufen, das sie fit machen soll für den leistungsorientierten Arbeitsmarkt und haben dabei – so sehr sich manche Lehrkräfte auch bemühen – erlebt, dass zu wenig Rücksicht auf sie als Individuen genommen wurde.

Egal was auf dem Zeugnis steht: Alle Schü­le­r*in­nen sollten in den Ferien freien Eintritt bekommen. In Theater, Galerien, Freibäder, ins Deutsche Museum und auf dem Schiffchen, das sie über den Starnberger See schippert.

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