piwik no script img

Wenn Rechte das Gendern kritisierenDen Ballon vorbeiziehen lassen

„Gender“ ist für Rechte ein besonders billiges Thema. Doch so oft unser Autor die Argumente kaputtpikst: Irgendwer pustet immer wieder Luft in den Ballon.

Der Ballon kommt wieder Foto: imagebroker/imago

D ie Genderblase macht mich müde. Aber nicht die, an die Sie jetzt denken. Ich meine eine riesige Blase aus heißer Luft, die mir Migräne macht. Nennen wir sie präziser: die Antigender-Blase.

Anlass für meine Ermattungssymptome ist ein deutscher Stadtrat. Der hat auf Antrag einer deutschen rechten Partei seinen Behörden untersagt, inklusive Sprache zu nutzen (zu gendern). Wer genau sich wo darüber streitet, das kann auf Bild nachlesen, wer sich grade frisch fühlt. Ist austauschbar, denn der Anlass könnte ein anderer sein, zum Beispiel eine Landesregierung oder ein regierender Bürgermeister, die sich zuletzt in ähnlichen Prestigeprojekten der Zeichensetzung betätigt haben. Als gäbe es sonst nichts, um die Verwaltung zu beschäftigen.

Aber Hauptsache gegen „Gender“ positioniert. Kommt noch billiger als gegen Fußgängerzonen und Flüchtlingsheime.

Wenn ich Umfragen und persönliche Gespräche aus den letzten Jahren richtig interpretiere, dann haben merklich weniger Leute ein Problem mit Frauenthemen als mit „Gender“. Haben bedeutend weniger Leute Vorbehalte gegen LGBT-Personen als gegen „Gender“. Stört es kaum jemand, dass man sich mit Familienpolitik beschäftigt, mit der Krise der Erziehungsberufe, mit ungesunden Schönheitsidealen, mit geschlechtersensibler Medizin, mit Girls' Days, mit häuslicher Gewalt – dafür umso mehr, dass man sich mit „Gender“ beschäftigt.

Ein träger Flump

Und was ist noch mal „Gender“?

Der ganze „Oh nein, dieses Gender!“-Diskurs ist kein Bläschen mehr, sondern ein schwerfälliger Ballon, der seit Jahren die Welt umkreist und zirka alle achtzig Tage irgendwo mit einem trägen Flump in den Feuilletons landet.

Dann möchte man sich als Genderkolumnist jedes Mal dazu verhalten, das Ding wegkicken oder mit einem nadelspitzen Argument kaputtpiksen, klappt aber nicht. Irgendwer pustet immer neue heiße Luft rein. Zuvorderst die Rechten in Nord-, Süd-, Ost-, West- und Mitteleuropa. Die haben sich aus diesem „Gender“ eine prächtige Hülle für redundantes Politikgelaber gebastelt. Da kommen dann wahlweise Ressentiments rein gegen westlichen urbanen Liberalismus, gegen Amerika, gegen das akademische Milieu, und so weiter.

Wer begeistert mitmacht, sind die Sprachhüter*innen. Leute, die sonst beruflich Leuten vorschreiben, wie man zu reden hat und jetzt darüber schreiben, dass man Leuten nicht vorschreiben soll, wie man zu reden hat.

Und wer auch mitpumpt am Ballon, sind Progressive, die gerne not-like-other-Progressive sein möchten. Haha, keine Sorge, so ne Gender-Socke bin ich nicht! Da kommen dann noch Ressentiments rein: gegen Liberalismus, Amerika, das akademische Milieu, …

Ich bin müde. Aber der Ballon kommt wieder, ich seh ihn am Horizont. Ich hab das Kicken und Kaputtpiksen satt. Würde es helfen, wenn ich ihn einfach vorbeiziehen ließe?

Das wäre schön.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Peter Weissenburger
Freier Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, queeres Leben, Wissenschaft.
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Sorry, aber wer so leichtfertig "gegen Gendern" sein mit "gegen Gender" sein gleichsetzt, pikst selbst in den argumentativen Ballon.

    Mir sind viele Genderthemen wichtig. Gleiche Rechte für alle, unabhängig von Sexualität oder Geschlechtsempfinden, sollten selbstverständlich sein. Ob Gendern allerdings ein adäquates Mittel auf dem Weg dahin ist, sollte man kritisch hinterfragen dürfen, ohne direkt in das Lager der Feinde sortiert zu werden.

    Ich selbst gendere je nach Umfeld, nicht aus Überzeugung, sondern um das Konfliktpotential zu minimieren. Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem bei den aktuellen Spielarten des Genderns die Ineffizienz. Man muss meist mehr sagen und ein Gendergap ist rein vom Bewegungsablauf komplexer als durchzusprechen. Gendern zu lernen ist de facto anstrengend. Und ich habe meine Zweifel, ob es hinreichend viele positive Effekte hat, die die Anstrengungen rechtfertigen würden. Derzeit scheint es hauptsächlich zu Streit zu führen.

    • @Fairchild670:

      Das halte ich für eine sehr gute Haltung, ehrlich gesagt, tue ich das genau so. Was mich nur stört ist die Vehemenz, mit der es abgelehnt wird, ein Beleidigtsein und ein Erstaunen, besonders bei all denen, die bisher dachten, sie haben die Deutungshoheit über alles.

  • Wenn (einige) Linke das Gendern propagieren, einfach denn Ballon weiterziehen lassen. Geht auch so rum. Wie hier zum Thema am Leserkommentarspiegel oft zu sehen war, ist selbst unter Linken die Mehrheit dafür fragwürdig. Das Volk hat schon immer geredet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Früher durch geografische Isolation. Heute durch Blasen in sozialen Bereichen und Medien.



    Die Beispiele durch sprachliche Veränderungen, zweifellos hat es sie schon immer gegeben, aber mindestens genauso viele linguistische Rohrkrepierer, die nur wenige Jahre Bestand hatten und in einer kleinen, elitären Minderheit ihr Blasendasein fristeten, überzeugt hier auch nicht und kann ins Gegenteil gedreht werden.



    Der 68er Politsprech kam bei der linken Arbeiterschaft nicht an und hört sich heute nach fremdartigem Zeitkolorit an. Die Grünen hatten mal Strömungen wo Pädosexualität als modern, pc und nicht Spießig galt. Tempi passati....



    Alles Zeitgeist. In 20 Jahren redet keiner mehr so.



    So bleibe ich gelassen, und lasse den Ballon vorbei ziehen.

    • @Bembelfisch:

      Wenn Sie nach einer neuen Stelle schauen, eine Ausbildung oder besser ein Studium hinter sich haben, und bei einem Großkonzern dann Stellen finden, die Ihren Hintergrund aber nicht nennen, fühlen Sie sich ermutigt sich darauf zu bewerben? Nein? Ermutigen um Menschen zum mitmachen zu bewegen heißt sie anzusprechen. Die meisten die gegen direkteres Ansprechen sind sind diejenigen, die ohnehin schon im allgemeinen Sprachgebrauch angesprochen werden.

    • @Bembelfisch:

      Und: Nicht kapiert? Es geht hier im Artikel kaum ums Gendern an sich sondern um die billige Zustimmung aus der rechten Ecke, die es bringt, wenn man sich dagegen positioniert. Das bingt Wähler, Kopfnicker, Zustimmung en masse.

      • @Maria Burger:

        Billig ist es vor allem, Jeden und alles was eine andere Meinung hat als man selbst, in die rechte Ecke zu stellen.

        Viele Menschen, die ihr Leen nicht unnötig Verkomolizieren möchten oder können z. bsp aus Zeitmangel, ergreifen da übrigens swhr einfache Konsequenzen: sie bleiben einfach da, wo sie hingemobbt werden und richten es sich gemütlich dort ein.

        Die 20% AFD bestehen zunächst mal aus 10% Corona,-Gegnern, also Menschen die einfach intuitiv schon ein Jahr früher wussten was die Wissenschaft halt später dann auch bestätigt hat (umd von Anfang wusste aber nur denen leise sagte die es hören wollten, weil die Wahrheit nicht Gesellschaftsfähig war) Die wurden in die rechte Ecke gestellt von 45% Wutmob-Bessermenschen (weitere 45% waren neutral, aber leise), aus Angst sonst auch in die rechte Ecke gestellt zu werden.)

        Und weitere 10% sind halt z.bsp. Menschen, die einfach mal frei sen möchten. Ganz ohne poltical correctness Zwangskonstüm einfach mal feiern und so laut es geht layla singen möchten, eimfach, weil es sich so wundervoll anfühlt, von anderen menschen umgeen zu sen, die es einem erlauben, genauso zu sein, wie man eben ist. Einfach mal keine Rücksicht nehmen sondern frei sein. Schwupps - rechte Ecke - okay sagen sie sich wenn "so sein dürfen wie ich bin" bedeutet, rechts zu sen. Dann bleib ich halt in der rechten Ecke."

        Da kannst Du jetzt natürlich nich stundenlang drauf rum hacken wie einfältig und egoistisch und wieviel schlauer deine Weltsicht ist.

        Aber das hilft dir nicht: du hast diese menschen in die rechte ecke gejagt, du hast ihnen gesagt, mit Dirbwill ich nichts zu tun haben. Und deswegen wählen sie AFD, weil DU sie verjagt hast und ihnen gesagt dass für ihre Meinung kein Platz ist bei Dir.

        Rassistisch, sind die allerdings nicht: das sid einfach nur liebe pubertierende Nachbarskinder, die böserweise nicht so sprechen, wie du willst dass sie sprechen.

        Kann sein, dass die, in deren Arme du sie treibst, sie zu Rassisten machen. In Zukunft.

  • Einst gab es Hieroglyphen. Vorher vielleicht noch andere Zeichen, mit denen Menschen sich verständigten. Dann gab es minuskeln, gotische, denen später lateinische Majuskeln vorangestellt wurden, für uns als Großbuchstaben bekannt. Sicher gab es bei den Schreibern von Klosterbüchern oder frühen Druckern einen Aufschrei, als diese Neuerung kam. (In den 1980ern schrieb man ernsthaft gerne mal alles wieder in minuskeln.) Es kamen im Lauf der Jahrtausende Binde- und Gedankenstriche zur Schreibweise, allerlei Sonderzeichen. Alles nicht um uns zu ärgern sondern nur, um Inhalte zu präzisieren. Manches fiel weg, einige "H" , z.B. das auf dem Wandteller meiner Oma: "Unser täglich Broth gib (gib ohne Apostroph) uns heute. Auch das "H" in Thorheit und das ganze Wort Thorheit, schade, es gibt sie noch. Das Gendersternchen ist nur eine Hieroglyphe unter Vielen und präzisiert Inhalte. NICHTS WEITER (römischen Majuskeln). Das an alle, die meinen genau die Schreibweise, die sie jetzt seit nur 50 Jahren gewohnt sind, sei wichtig. Nee, die ist ein ganz kleiner, unwichtiger Teil in der Geschichte der Sprache und des Schreibens, diese 50 Jahre. Redet mal über Wichtiges, wie vom Autor vorgeschlagen.

    • @Maria Burger:

      Ihre Vergleiche hinken etwas. Gendern betrifft nicht nur die Rechtschreibung und Zeichensetzung, sondern nicht zuletzt auch die Grammatik und Aussprache. Das relativiert meines Erachtens Ihren Relativierungsversuch.

  • Ich gehöre zu genau der Kategorie Person, die der Autor thematisiert. Für ökonomische und kulturelle Gleichberechtigung aber gegen das Gendern. Wenn man den Umfragen glaubt, gehöre ich damit zur Mehrheit der Bevölkerung. Warum? Ich könnte jetzt die Argumente von Navid Kermani und Nele Pollatschek wiederholen, dass das grammatische Geschlecht ungleich dem sozialen Geschlecht ist und dass es generell merkwürdig ist, warum man Personen ihre Gruppenzugehörigkeit anhand der Wortendung ansehen soll.

    Aber ganz ehrlich: ich mags auch einfach nicht. Dieser Schluckauf namens Glottisschlag oder irgendwelche Sonderzeichen im Text, die eher in einen C++-Code oder ein sicheres Passwort gehören. Von mir aus soll jeder machen, was ihm lieb ist. Ich toleriere selbst wenn jemand in RAF-Manier denkt, alles kleinschreiben zu müssen. Solange im Gegenzug niemand mir vorschreibt wie ich zu schreiben bzw. zu sprechen habe oder mich deswegen mit moralischen Herablassung behandelt, soll jeder nach seiner Façon selig werden.

  • So gesehen gibt es also keine berechtigte, diskutierbare Kritik am Gendern. Die Frage, ob man dem Reich der Freiheit tatsächlich näher kommt, wenn der Metzger seine Stellenanzeige korrekt formuliert, braucht dann auch nicht mehr gestellt werden.

    Natürlich sind Rechte und wohl auch die meisten Konservativen gegen das Gendern. Für die ist dieser Umgang mit der Sprache das augenfälligste Merkmal eines bestimmten Milieus, dass sie ablehnen oder sogar hassen. Schon klar.

    Ob Sprache tatsächlich in der Lage, Realität zu erzeugen, da bin ich mir nicht so sicher. Bei dieser Argumentation wird Sprache und Handeln in eins gesetzt und die Gesellschäft verändert sich.

    Das ist derselbe Ansatz, der davon ausgeht, dass wenn erst der letzte multinationale Konzern sein Logo in Regenbogenfarben taucht, dass dann Homophobie und Transfeindlichkeit verschwinden.

    Ich selbst halte es wie Böhmermann: "Sehr geehrte Damen und Herrn und alles dazwischen und außerhalb."

    • @Jim Hawkins:

      Zur Frage, ob Sprache in der Lage ist, Realität zu erzeugen schreibt Victor Klemperer:



      „ Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse. Und wenn nun die gebildete Sprache aus giftigen Elementen gebildet oder zur Trägerin von Giftstoffen gemacht worden ist? Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

      • @Klabauta:

        Gegen Klemperer komme ich natürlich nicht an.

        Dann bleibt nur zu hoffen, dass das Gendern als Antidot seine Wirkung zeitigt.

  • Bitte nicht, Peter!

    Vorbeiziehen lassen heißt, aufzugeben! Transmenschen werden sonst im Regen stehen gelassen, wenn Gender-Aktivisten resignieren. Und im Regen stehen gelassene Transmenschen werden Opfer von rechter Gewalt.