: Arbeit an der Gewöhnung
Das geplante Selbstbestimmungsgesetz ist nicht unumstritten. Das liegt auch daran, dass die Idee, die Geschlechtsidentität per Sprechakt zu wechseln, hinfällig ist. Aber auch ohne ein solches Gesetz würde in Zukunft für Transmenschen vieles besser werden
Von Jan Feddersen
Ein Jammer! Die vollmundig formulierten Ankündigungen der grünen und gelben Teile der Ampelregierung zum sogenannten Selbstbestimmungsgesetz sind auch in diesem Sommer auf die Klippen gelaufen wie ein morscher Kahn auf einen unsichtbaren Felsen in Strandnähe. Man sieht das Ziel, glaubt es fix im Blick zu haben – und landet doch wieder nur in Untiefen, das Festland unerreichbar fern.
Der queere Staatssekretär Sven Lehmann vermag schon gar nicht mehr grüne Selbstdarstellung zu betreiben auf den aktuell zahllosen CSDs, allzu stark erntet er Kritik gerade von den queeren, inbesondere transorientierten Aktivist*innen: Wann wird es denn nun sein? Aber was soll er antworten, denn er weiß es doch selbst nicht!
Die Vorlage, die Justizminister Marco Buschmann in Abstimmung mit dem ebenso gesetzesfederführenden Familienministerium Lisa Paus’ vorlegte, reichte noch nicht, um im Kanzleramt das Go für eine weitere parlamentarische Beratung zu erhalten; zuletzt war es das Innenministerium Nancy Faesers, dessen Sicherheitsfachleute darauf hinwiesen, dass die geplante Gesetzesnorm, der zufolge Transmenschen nicht nach ihrem geschlechtlichen Vorleben befragt beziehungsweise in den Sicherheitsdateien danach abgefragt werden dürfen, den exekutiven Beobachtungsinteressen nicht nachkommt.
Mit anderen Worten: Konkreter denn je stellt sich heraus, dass die Selbstbestimmungspolitiker*innen, eben vor allem Buschmann und Paus, keine Rechtsfolgenabschätzung mit dem juristischen Prozess der Gesetzesneuformulierung vornehmen wollten. Es sollte doch alles so einfach sein, so simpel, so klar. Transfrauen sind Frauen – so sagte es Paus voriges Jahr. Als ob es nicht ein paar Klippen zu bewältigen gegeben hätte und ja noch gibt. Die Idee, die Geschlechtsidentität per Sprechakt zu wechseln beziehungsweise sie in eine stimmige Form zu bringen, ist hinfällig.
Buschmann, FDP, hatte im Laufe der vergangenen Monate längst dem nicht nur leisen Unmut vieler Frauen (nicht nur aus der Sphäre Alice Schwarzers und ihrer Emma) nachgegeben: In Frauensaunen soll niemand gelangen können, der nach klassischem Verständnis wie ein Mann aussieht und sich als Frau ausgibt. Ist eben nicht alles Sprechakt und Willensbekundung, da war der Minister realitätstauglich genug, um in das Gesetz, das das Transsexuellengesetz von 1980 ersetzen soll, nicht alles aufzunehmen, was die transaktivistische Szene ihm hineindiktieren wollte.
Vermutlich schleppt sich das neue Gesetz auch deshalb hin, weil Familienministerin Paus wie die Ampelkoalition überhaupt viel Ärger an den Backen hatte – und man einen sogenannten „Kulturkampf“ um Transrechte nicht wollte: Nein, bitte keinen Ärger, mag man im Kanzleramt (und nicht nur dort) gesagt haben, bitte nicht wieder von klassisch feministischen bis rechten Diskursangehörigen gejagt werden.
Die entscheidende Frage ist ja ohnehin noch nicht angegangen, angeblich soll sich erst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) um dieses zentrale Anliegen des Transaktivismus (und ihrer Freundinnen*) kümmern, nämlich die detaillierteren Richtlinien zur Transition im nichtvolljährigen Alter. Weitflächig wird gefordert, schon Kindern, die sich als im „falschen Körper“ geboren identifizieren, den Zugang zu pharmakologischen Mitteln zu ermöglichen, etwa Pubertätsblockern. Das wäre allerdings eine Art von Menschenversucherei an lebenden Objekten: Selbst in der Transszene wird, wenn auch meist hinter vorgehaltenen Händen, eingeräumt, dass man zu den Wirkungen von Mitteln, die die gewöhnliche körperliche Entwicklung von Menschen auf dem Weg von Kindern zu Erwachsenen (das ist: die Pubertät) beeinflussen, noch nicht viel weiß.
Aber, so oder so, eines Tages wird es ein Selbstbestimmungsgesetz geben, wenn nicht durch diese Regierung, dann durch eine folgende, aber so fundamental, wie es die transaktivistische Szene sich wünscht, wird es nicht werden. Niemals! Wahr bleibt nämlich, dass in etlichen Ländern, etwa Großbritannien, Schweden und Finnland, die Lizenz zu Pubertätsblockern etc. wieder kassiert wurde, weil allzu sehr transaffirmative Ärztinnen* bereit waren, Kindern Pharmakologisches (und Chirurgisches) angedeihen zu lassen, die über sich selbst kaum Bescheid wussten – und ihre Eltern sie nicht vermochten, von typischen schweren oder schwersten Irritationen geschlechtlich-sexueller Art abzubringen.
Der Weg in Schweden ist inzwischen wieder von einer Frage geleitet: Steckt hinter einem Transwunsch nicht vielmehr oft ein als unerträglich empfundenes Coming-out als schwuler oder lesbische Jugendliche*r? Sei’s drum, möchte man sagen: Aber was ist mit der Diskriminierung von Menschen, die sich als nonbinär, als trans oder als irgendwie unbestimmt Geschlechtsidentitär verstehen? Lässt sich die nicht wenigstens mindern oder gar beseitigen? Sie ist, das darf ich als schwuler Mann sagen, weil ich diese Art der Verletzungen, Hässlichkeiten in der Öffentlichkeit, in Familien und in Schulklassen nur zu gut (besser: horribel) erinnere. Solch Diskriminierung sollte ein Ende haben. Möglichst bald.
Nur: Wie stellt eine Gesellschaft es an, diskriminierungsfrei zu sein? Die Antwort ist: Das geht nicht. Das ist utopisch, das ist unmöglich zu erreichen. Diskriminierungen gibt es gegen jeden und jede durch jede und jeden. Immer. Schwere. Leichtere. Ein öffentliches oder familiäres Leben ohne Gesten der Herablassung (oder auch der Überfreundlichkeit) ist nicht vorstellbar, jedenfalls nicht im wahren Leben.
Was aber machbar ist, was im Aktivismus als Kern des Guten aufgehoben bleibt, ist die Arbeit an Gewöhnung, an allgemeine Routine. Lesben, die nicht dem Klischee der Hetera entsprechen, sind, anders als vor 50 Jahren, nicht mehr diesen Diskriminierungen ausgesetzt, Schwule ebenso wenig. Es ist, alles in allem, alles viel besser geworden, und das wird es auch für Transmenschen, die im historischen Vergleich aus der Atmosphäre der Unsagbarkeit herausgetreten sind: Nonbinär, irgendwiebinär, trans, ident oder nonident – alles eine Frage der Performance und der öffentlichen Resonanzen, die nicht hass- oder aversionserfüllt sind, sondern gleichmütig bis randständig interessiert.
Transmenschen erkennen im Laufe ihrer Leben, dass in einer Transition nicht die Garantie auf Glück liegt und dass ein Leben mit Menschen, die ausgesprochen untrans sind, kein Unglück bedeuten muss. Nachbarn sind Nachbarn und neigen dazu, sich aneinander aushalten zu wollen. Glücksvorstellungen hegen alle, aber: In einem Coming-out steckt keine Garantie auf tiefe Zufriedenheit, in einer geschlechtsidentitätssichernden oder -wahrenden Transition steckt auch keine.
Dass CSDs quasi die öffentlichen Flaggschiffe der Gewöhnung sind, versteht sich von selbst: inzwischen ist „Tagesschau“-fähig, was früher ebenfalls anders war. Es lohnt sich, die Welt so zu sehen: Es kann alles besser werden, auch wenn nicht alle aktivistischen Wünsche in Erfüllung gehen.
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