Türkei knüpft EU-Zusage an Nato-Streit: Erpressen statt demokratisieren

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will über die Nato die Beitrittsgespräche mit der EU wieder aufnehmen. Die Chancen stehen dafür schlecht.

„Ebnet den Weg der Türkei in die EU, danach ebnen wir den Weg für Schweden“, sagte Erdoğan Foto: Umit Bektas/reuters

BRÜSSEL taz | Seit zehn Jahren geht nichts mehr zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Wegen immer neuer Verstöße gegen die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hat die EU die 2005 gestarteten Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt. Doch nun will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan einen Neustart erzwingen – über den Umweg der Nato.

„Ebnet zunächst den Weg der Türkei in die Europäische Union, danach ebnen wir den Weg für Schweden, so wie wir ihn für Finnland geebnet haben.“ Dies sagte Erdoğan vor seinem Abflug zum Nato-Gipfel in Vilnius. Er will die türkische Blockade beim Nato-Beitritt Schwedens offenbar erst dann lösen, wenn die EU in Gespräche einwilligt. Ist das noch Diplomatie – oder schon Erpressung? In Brüssel gibt man sich überrascht. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, sagen EU-Diplomaten. Dabei hat Erdoğan schon einmal versucht, Gespräche zu erzwingen. Mit Ex-Kanzlerin Angela Merkel handelte er 2016 einen Flüchtlingsdeal aus, der auch die Rückkehr an den europäischen Verhandlungstisch vorsah.

Gebracht hat es wenig, dem EU-Beitritt ist die Türkei keinen Schritt näher gekommen. Auch heute stehen die Chancen schlecht. Die türkische Präsidentschaftswahl im Mai ist nach Ansicht vieler Beobachter nicht fair verlaufen, die Opposition wird weiter drangsaliert, den großen Europa-Gipfel in Moldau hat Erdoğan geschwänzt. Die EU-Kommission in Brüssel reagierte dann auch kühl auf Erdoğan Vorstoß. Zunächst müsse man die Fortschrittsberichte abwarten, sagte eine Kommissionssprecherin am Montag in Brüssel. Darin bewertet die EU-Behörde die Bemühungen der Beitrittskandidaten um eine Annäherung an die EU. Der nächste Bericht wird allerdings erst im Oktober erwartet, eine Abkürzung gibt es nicht.

Aus EU-Sicht gibt es auch keinen Grund, die Beziehungen zur Türkei mit dem Nato-Beitritt Schwedens zu verknüpfen. Die EU und die Nato sind zwei unabhängige Organisationen, die nach völlig verschiedenen Regeln funktionieren. Schon Erdoğans Behauptung, Schweden unterstütze türkische „Terrororganisationen“, wurde in Brüssel nicht goutiert. Dass er nun auch noch versucht, den Schwarzen Peter an die EU zu schieben, werten viele als Ablenkungsmanöver.

Gegenwind aus Berlin

Gegenwind bekommt Erdoğan auch aus Berlin. Man müsse den Nato-Beitritt Schwedens und die Türkei-Frage auseinanderhalten, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Beide Fragen hätten nichts miteinander zu tun. „Deshalb, finde ich, sollte man das nicht als ein zusammenhängendes Thema verstehen.“ Ein Sprecher des Auswärtigen Amts verwies darauf, dass die Türkei zwar Beitrittskandidat sei, „aber dass im Rahmen der Beitrittsgespräche schon lange kein Beitrittskapitel eröffnet worden ist“.

Allerdings ist die deutsche Haltung nicht ganz eindeutig. Kurz nach Erdoğans umstrittenem Wahlsieg hatte sich Scholz für eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei ausgesprochen. In einem Gespräch mit Erdoğan vor dem EU-Gipfel Ende Juni hatte der Kanzler sogar eine enge Abstimmung mit Ankara versprochen. Scholz hat Erdoğan den kleinen Finger gereicht – nun greift der nach der ganzen Hand.

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