piwik no script img

Jahresbericht zu AntidiskriminierungSo viele Anfragen wie nie

Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman stellt am Dienstagmorgen ihren Jahresbericht vor. Die meisten Anfragen gab es zu Rassismus.

Ferda Ataman stellt den Jahresbericht vor Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin taz | Die Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) belaufen sich für das Jahr 2022 auf 8.827. Das geht aus dem Bericht hervor, den die unabhängige Bundesbeauftragte Ferda Ataman am Dienstagmorgen vorstellte. Neben der offensichtlichen Schattenseite bewerte sie diese Meldung auch positiv: „Die Rekordzahl zeigt: Immer mehr Menschen informieren sich über ihre Rechte. Jeder gemeldete Diskriminierungsfall steht für das Vertrauen in unsere Demokratie.“

Insgesamt betrafen 6.627 Fälle ein im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschütztes Merkmal wie Alter und Geschlecht – nicht dazu gehören Fälle, die einen Bezug haben zur Staatsangehörigkeit, zum sozialen Status oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Die Zahl macht deutlich: Es sind so viele Anfragen wie noch nie. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren es noch 4.247 Anfragen. Die meisten Fälle betrafen Rassismus (43 Prozent), gefolgt von Anfragen zur Behinderung (27) und des Geschlechts (21).

Ataman hat laut dem Bericht drei wesentliche Ziele: Das AGG sowie die Antidiskriminierungsstelle sollen bekannter gemacht werden, damit „alle ihre Rechte kennen“, Beratungsstellen sollen flächendeckend zur Verfügung stehen und das AGG soll reformiert werden. Laut ADS sei das deutsche eines der schwächsten Europas. Bei der Reform sollen Diskriminierungsgründe geweitet werden, Fristen verlängert und ermöglicht werden, dass auch Antidiskriminierungsverbände klagen können. Letzteres sei sonst überall in Europa möglich.

Diskriminierung durch KI

Dem Bericht zufolge gab es über 1.000 Anfragen zu diskriminierendem Verhalten von Ämtern und Behörden und mehr als 300 durch die Polizei und die Justiz. Staatliche Stellen können jedoch nicht vom Diskriminierungsschutz durch das AGG belangt werden. Auch das soll durch die Reform des AGG geändert werden. Mit 16 Prozent liegt dieser Bereich der Anfragen auf Platz 3, hinter der Arbeit mit 27 Prozent und „Güter und Dienstleistungen“ mit 20 Prozent.

In der Vorstellung des Berichts am Dienstagmorgen kündigte Ataman zudem eine Studie an, die sich mit der Diskriminierung durch Algorithmen und Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen soll: „Wir wissen, dass schon heute bei sehr vielen Alltagsgeschäften wie Wohnungsvergaben mit automatisierten Entscheidungssystemen gearbeitet wird“, so Ataman. „Die Frage ist: Ist das diskriminierungssensibel? Daten sind nicht neutral.“

Ataman setzt sich für pflegende Angehörige ein

Derzeit gäbe es „nicht einmal 100 Vollzeitstellen für Antidiskriminerungsberatungen“, heißt es im Bericht. Im Durchschnitt sei damit eine Beratungsperson für fast eine Million Menschen zuständig. Laut einer Studie des ADS soll künftig ein Schlüssel von maximal einer Beratungsperson für 200.000 Menschen gelten. Dies soll ermöglicht werden durch das Programm „respekt*land“, mit dem der Bund ins­gesamt fünf Millionen Euro zur Verfügung stellt. Damit sollen ab Ende des Jahres 35 Projekte für drei Jahre mithilfe der Länder gefördert werden.

Zu bereits geltenden Diskriminierungsformen will sich Ataman zudem mehr für sorgende Angehörige einsetzen – beispielsweise pflegende Töchter oder werdende Väter, denen bei Inanspruchnahme von Elternzeit oder Pflegezeit mit negativen Konsequenzen im Job gedroht wird. Nach geltendem Recht seien das keine Fälle von Diskriminierung, sondern ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot. Deshalb sollen „Fürsorgeverpflichtungen“ als Diskriminierungsmerkmal aufgenommen werden. Bislang gibt es Alter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Identität, Religion und Weltanschauung sowie ethnische Herkunft.

Die Antidiskriminierungsstelle berät bereits seit 2006, jedoch ist Ferda Ataman seit Juli 2022 die erste Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Ataman arbeitete zuvor als Journalistin und gründete unter anderem die Neuen Deutschen Medienmacher*innen. Ihre Wahl auf fünf Jahre wurde begleitet von einer Kampagne von rechts.

Seit ihrer Wahl muss die Bundesregierung sie einbeziehen, wenn sie Gesetze und Maßnahmen zur Antidiskriminierung plant. Sie selbst hat die Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben. So setzt sich Ataman dafür ein, dass das Diskriminierungsmerkmal „Alter“ in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen wird, und zuletzt auch immer wieder für das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG).

Beim SBGG kritisiert sie immer wieder den sogenannten Hausrechtsparagrafen, der es in den Entwurf des SBGG geschafft hat. Demnach sollen Betreiber_innen von Frauensaunen selbst entscheiden können, wer Zutritt bekommt. „Es ist sehr beunruhigend, wenn in einem Gesetzestext, und sei es nur in der Begründung, auf rechtspopulistische Argumente eingegangen wird“, sagte Ataman dazu am Dienstagmorgen. „Das macht mir Bauchschmerzen.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Es gibt immer noch keine neutrale Anlaufstelle wenn man sich über Polizei oder Ämter beschweren will.

  • Was sind übrigens diese "Anfragen" In Deutschland ist immer noch sehr schwer bis fast unmöglich Hilfe bekommen bzw. dass jemand bestraft wird, wenn man diskriminiert wird.