Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin: Der Rassismus kann weg
Die Mohrenstraße in Berlin-Mitte darf in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt werden. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen von Anwohnern abgewiesen.
Der Plenarsaal, in dem die Verhandlung stattfindet, ist rappelvoll. Auch hier: Ältere Herrschaften – und vereinzelt alte Frauen – auf der einen, junge Menschen, darunter viele Frauen und Schwarze, auf der anderen Seite.
Seit Jahrzehnten wird über die M-Straße gestritten. Der Begriff „Mohr“ für Schwarze Menschen wird von der afrodiasporischen Zivilgesellschaft, dekolonialen Initiativen, Historiker*innen und Ethnolog*innen als rassistisch und kolonialistisch kritisiert. Seit Anfang der 90er Jahre fordern Aktivist*innen, dass der Name von den Straßenschildern verschwindet.
Im Zuge der Black-Lives-Matter-Debatte kam dann Schwung in die Sache: Die BVG sprach sich für eine Umbenennung der gleichnamigen U-Bahnstation aus, im August 2020 beschloss dann die Bezirksverordnetenversammlung Mitte, die Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umzubenennen, woraufhin das Bezirksamt im April 2021 die Umbenennung verfügte.
Mehr als 1.000 Widersprüche gegen Umbebennung
Das gefiel jedoch nicht allen: Mehr als 1.000 Widersprüche gingen beim Bezirksamt ein, davon allerdings nur 30 von Anwohner*innen. Nachdem diese allesamt abgelehnt wurden, zogen sieben von ihnen vor Gericht. Unter den Klägern befindet sich auch der bekannte Historiker Götz Aly. Er will in dem Begriff keine Beleidigung oder Abwertung Schwarzer Menschen erkennen. Vielmehr fühlt er sich selbst abgewertet, wenn er und die anderen Gegner als „alte weiße Männer“ bezeichnet werden, so der 76-Jährige.
Aly will nicht gerne über Hautfarben reden, er will gehört werden. Und dass die Menschen Respekt vor der Vergangenheit haben. Wie er bereits in Beiträgen für die Berliner Zeitung schrieb und auch vor Gericht wieder betont, gehört der Straßenname für ihn zur Stadtgeschichte. „Da sollte man sich nicht so einfach dran vergreifen.“ Vor allem nicht an den Anwohner*innen vorbei, auf Druck einer antikolonialistischen Gruppierung. „Da kommt durch Identitätspolitik etwas ins Rutschen, was für die Allgemeinheit schlecht ist“, findet Aly.
Seine Mitstreiter gehen sogar noch weiter. Die Dekolonisierung von Straßennamen sei „inflationär“ und „dumm“, sagt ein anderer Kläger. Zumal die Hälfte der „Umbenennungsaktivisten“ nicht mal Deutsch sprechen würde. Sogar vor Verschwörungstheorien wird nicht zurückgeschreckt: Einer der Kläger behauptet, es seien haufenweise Schwarze Menschen nach Berlin gekarrt worden, um den Eindruck zu erwecken, dass diese durch die M-Straße in ihrer Ehre verletzt würden. „Welche Ehre bitte?“, fragt er.
Vielmehr werde er durch die „Cancel-Culture in seinen Grundrechten beschnitten“ und überhaupt sei das alles „positiver Rassismus“. Ein anderer sieht sich berufen, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes“ zu verteidigen.
„Mohr“ diskriminierend und aus der Zeit gefallen
Von den älteren Herrschaften im Publikum gibt es dafür vereinzelt Applaus. Die Aktivist*innen schütteln stumm die Köpfe. Es ist heiß und stickig im Gerichtssaal. Jeder Versuch, die Fenster zu öffnen und frische Luft hereinzulassen, scheitert daran, dass die älteren Zuschauer*innen sich beschweren, dann nichts mehr hören zu können. Auch sie wollen gehört werden, einer meldet sich sogar, der Vorsitzende Richter Wilfried Peters erklärt ihm freundlich, dass das in Gerichtsverfahren nicht vorgesehen ist.
Auch bei seinen weiteren Ausführungen verliert Peters nie seine Freundlichkeit. Geduldig erklärt er, dass bei der Umbenennung von Straßennamen das öffentliche Interesse im Vordergrund steht, und nicht die individuellen Belange der Anwohner*innen. Die Forderung nach einer staatsbürgerlichen Auseinandersetzung könne er zwar nachvollziehen, bei Allgemeinverfügungen seien Anhörungen laut Gesetz aber entbehrlich.
„Für uns ist maßgeblich, ob hier eine willkürliche Benennung erfolgt ist“, so Peters. Dies sei mitnichten der Fall. „Dass ‚Mohr‘ als diskriminierend und aus der Zeit gefallen angesehen wird, ist nicht völlig abwegig.“ Der Diskurs habe sich geändert, schließlich gebe es auch keine N*Küsse mehr zu kaufen.
Auch alle anderen Argumente der Kläger*innen weist der Richter ab: Weder gebe es eine Verwechselungsgefahr mit der angrenzenden Wilhelmstraße, noch sei die vom Bezirk erhobene Widerspruchsgebühr in Höhe von rund 150 Euro unangemessen.
Nach rund zwei Stunden schlägt Peters vor, den Fall des von ihm als „Wortführer“ identifizierten Götz Aly als Musterverfahren zu führen und alle anderen Klagen aus Kostengründen so lange ruhen zu lassen. Die Entscheidung im Fall Aly ist dann auch für die anderen Klagen bindend. Nach einer kurzen Unterbrechung stimmen die Kläger zu, bitten jedoch, die Möglichkeit einer Berufung zuzulassen. Nur Aly distanziert sich: Er wolle sich nicht weitere Jahre damit befassen, sagt er.
Klage abgewiesen, Berufung hätte aufschiebende Wirkung
Nach einer weiteren längeren Unterbrechung weist Richter Peters die Klage am frühen Nachmittag schließlich ab. Götz Aly könne weder eine Verletzung eigener Rechte geltend machen, noch habe das Bezirksamt das Willkürverbot verletzt. So sei es „nicht völlig unvertretbar, der Entscheidung den in jüngerer Zeit eingetreten Wandel der Anschauungen zugrunde zulegen“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Bezeichnung „Mohr“ für Schwarze Personen werde heutzutage teilweise als anstößig empfunden. Die Kläger können Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, was aufschiebende Wirkung hätte.
Der Weg für die Umbenennung der M-Straße ist also noch nicht ganz frei. Dabei ist es dafür laut der Initiative Decolonize Berlin höchste Zeit. Schließlich sei dieser „präsente Alltagsrassismus ein wesentlicher Nährböden für den strukturellen, systematischen Rassismus und auch für Formen rassistischer Gewalt, die wir heute endlich auch in unserer längst postkolonialen, postmigrantischen Gesellschaft diskutieren“, erklärte die Ethnologin Regina Römhild.
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