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Wagner-Aufstand in RusslandFrankenstein und sein Monster

Kommentar von Inna Hartwich

Prigoschins Ein-Tages-Aufstand demütigt Putin. Das Projekt, das der russische Präsident erst groß machte, entblößt die Ohnmacht dieses Präsidenten.

Jewgeni Prigoschin und Wladimir Putin im Jahr 2010 Foto: Alexei Druzhinin dpa Pool Sputnik Kremlin/AP

Z urück bleiben nur noch die Abdrücke der Militärfahrzeuge im Asphalt, die eilig wieder zugeschütteten Gräben auf den Wegen nach Moskau und das absurde Bild eines Panzers, der im Tor eines Zirkus feststeckt. So plötzlich, wie der Aufstand des bewaffneten und selbstständig gewordenen Feldherrn Jewgeni Prigoschin mit seiner Söldnertruppe Wagner in Russland angefangen hatte, so schnell ging die Meuterei 200 Kilometer vor Moskau auch zu Ende. Scheinbar. Denn das Monster, das der russische Präsident Wladimir Putin erschaffen hatte, hat sich gegen ihn gewendet – und den sich als mächtig Inszenierenden demaskiert. Ein Barbar entblößt ein barbarisches System.

Zu Ende ist mit dem Deal, den Prigoschin mit dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko ausgehandelt hat, gar nichts. Es fängt erst an. Wenn auch mit allerlei ungeklärten Fragen: Warum Lukaschenko? Warum ein Deal, wenn Putin Prigoschin doch wenige Stunden zuvor als Verräter bezeichnet hatte und in seinen Augen „Verrat“ nur mit dem Tod zu bestrafen ist? Warum Straffreiheit für die Männer, die eine Schneise aus Tod und Verderben nach sich ziehen, während andere für hochgehaltene leere Zettel in die Straf­kolonien kommen?

Wieso holt sich ein Staat, der sich seiner Unabhängigkeit und seiner Souveränität rühmt und mit solchen Schlagwörtern gar ein anderes Land überfällt, Hilfe bei einem aus­ländischen Staatschef, um eigentlich inner­russische Querelen, denen es monatelang ruhig zugeschaut hat, zu lösen? Und was ist aus Prigoschins Hauptforderung geworden, den Verteidigungs­minister Sergei Schoigu von seinem Posten zu jagen?

Öffentliche Schmach für Putin

Putin hat – sichtbar für alle – seine Schwäche gezeigt. Sichtbar auch für seine Elite, die sich zunehmend fragen dürfte, wohin sie es mit dem Mann an der Spitze noch bringen werde. Es gibt viele in Russland, die den Krieg in der Ukraine an sich verabscheuen und seine Auswirkungen lieber nicht hätten. Doch sie machen mit, sie stützen die Führungsspitze, sie rechtfertigen – und sagen, dass ein Sieg her müsse, jetzt, wo sie nun in dem Schlamassel steckten.

Das Schlamassel aber wird nur noch größer. Die Angst vor dem Ober­befehlshaber könnte weichen, es könnten sich Gruppierungen formieren, die mehr Gewicht in der Gesellschaft haben, als es Prigoschin, trotz aller Sympathien für sein brutales Vor­gehen, je hatte.

Die Gefahr für Putins System ist durch fragwürdige Abmachungen nicht gebannt. Zumal der russische Präsident Abmachungen mit „Verrätern“ für keine Abmachungen hält. Um seine Macht nach der öffentlichen Schmach zu halten, dürften die Repressionen – in der Gesellschaft, aber auch in der Elite – zunehmen. Das Monster scheint zwar verjagt, aber es hinterlässt seine monströsen Spuren.

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21 Kommentare

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  • Es ist köstlich wie hier spekuliert wird.



    Dabei ist doch Prigoschin genau in die Falle getappt die ihm gestellt wurde. Wenige erkennen das. Die schon: www.tagesspiegel.d...erte-10043251.html

    • @uffbasse:

      "Es ist köstlich wie hier spekuliert wird."



      Der von Ihnen verlinkten Artikel besteht ausschließlich aus Spekulationen.

      • @Barbara Falk:

        Aus dem SPON:



        „Das hatte Putin zu sagen



        Das ging schnell. Schon nach wenigen Minuten ist die Erklärung von Putin beendet. Er hat nach dem turbulenten Wochenende den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschworen und wiederholt, dass die Wagner-Kämpfer drei Optionen haben, schreibt mir meine Kollegin Ann-Dorit Boy: Verträge mit staatlichen Einrichtungen unterschreiben, nach Hause zu ihren Lieben gehen oder nach Belarus auswandern. Das wäre dann wohl das Aus für die Wagner-Söldnertruppe in Russland, schreibt mir unsere Russland-Korrespondentin Christina Hebel.“



        Damit dürfte der Tagesspiegel-Bericht alles andere nur keine Spekulation gewesen sein. Es sind die Fakten.

      • @Barbara Falk:

        So, so. Es sind Spekulationen wie sich Schoigu seit Jahren in der Regierung als gerissener Taktiker empfiehlt?



        Wie gut, dass der Tagesspiegel sich hier an dem hält was nahe liegt und sich nicht Ihre Spekulationen zu eigen macht. Von einer seriösen Tageszeitung sollte man auch das erwarten.

        • @uffbasse:

          Ich habe mir Putins Ansprache an die Nation gerade auch angehört. Ein völlig lächerlicher, erbärmlicher Auftritt. Er erinnerte mich an Brezhnew, oder den späten Mielke. Sie erinnern sich vielleicht: „Ich habe euch doch lieb“. Aber ich schätze wir werden demnächst noch absurdere Reden von ihm hören.



          Es war alles sehr unlogisch. Irgendwie stecken natürlich der böse Westen und “Nationalverräter“ hinter dem Putschversuch. Der Grund ist, dass der Westen sauer ist, dass die „sogenannte Gegenoffensive“ der Ukrainer gescheitert ist. Die Wagnersöldner sind Helden und Patrioten, weil sie auf ein Blutvergießen verzichtet haben. Die 20 abgeschossenen Kampfpiloten sind auch Helden, die ihr Leben gegeben haben, um das Schlimmste zu verhindern. Das ganze Volk, alle Parteien sind durch das Ereignis geeint, und die Nation gestärkt worden. Von der „Spezialoperation“ kein Wort. Amen.



          Dass die Wagnersöldner sich als Belohnung für ihre Putschversuch nun aussuchen dürfen, ob sie wieder an die Front wollen, nach Belarus ausreisen, oder nach Hause fahren, werden die Offiziere und Soldaten der regulären Armee mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen. Wer will nicht nachhause. Shoigu wird offenbar nicht entlassen, unter den russischen Militärbloggern ist schon Minuten nach der Rede die reinste Verzweiflung ausgebrochen.



          Putin hat schon vor zwei Wochen, als er sich mit einigen dieser Blogger getroffen hat, einen ziemlich seltsamen Eindruck hinterlassen, das hier war noch seltsamer.



          Die Möglichkeit, dass ihn irgendwer demnächst aus dem Verkehr zieht, ist gegeben, aber auf so was kann man sich natürlich nicht verlassen. Es wird also womöglich erst enden, wenn die Armee komplett zerstört und geschlagen ist, bzw. tatsächlich nach Hause geht. Je besser die Ukrainer ausgestattet werden, desto schneller wird es gehen.

          • @Barbara Falk:

            Schon wieder Träume …



            Dass Prigoschin keinen Erfolg hatte freut mich. Atomwaffen in dessen Hände hätte ich als Bedrohung empfunden. Das sehen auch viele andere Menschen so, auch viele Regierungen und Staaten. Warum Sie das anders sehen, verstehe ich nicht.



            Ansonsten werden Ihre Schlüsse von viel Hoffnung getragen, das sehe ich ebenfalls anders. Die Ukraine verliert jeden Tag, nicht nur unser geliefertes Material, sondern leider auch Menschen. Das muss ein Ende haben. Und das setzt Gespräche voraus. Das unterstütze ich. Was Sie unterstützen weiß ich nicht.

          • @Barbara Falk:

            Warum stellen Sie, schon wieder, Behauptungen auf ohne irgendwelche Belege? Woher haben Sie denn die 20 Toten Kampfpiloten? Und wieviel wären es wohl bei Wagner gewesen? Gibt es irgendein Video eines abstürzenden Kampfflugzeug? Gibt es eine Absturzstelle? Warum versuchen Sie hier was zusammen zu reimen?

            • @uffbasse:

              An ihrer Stelle würde ich uffpasse, und nur noch gegen Vorkasse schreiben. Prigozhin hat versprechen müssen, die Angehörigen der getöteten Piloten und Crewmitglieder mit je 50 Mio Rubel zu entschädigen. Und eine Mrd. Rubel in Pappkartons hat der FSB konfisziert, als er am Samstag die Wagner-Zentrale in Petersburg durchsucht hat. Es könnte also sein, dass Prigozhin bald das Geld ausgeht.

  • Was tut Putin, wenn er in die Ecke gedraengt wird?



    Nun wissen wir es - er macht Zugestandnisse!

    • @Charlie Foxtrot:

      Schön zusammengefasst.

  • „Es ist nunmehr selbst für Blinde offensichtlich (der Beifall war unüberhörbar), wer die mit Abstand beliebteste Person der russischen Elite ist.



    Jetzt bin ich baff. Sie haben in dieser Straßenszene Vertreter der russischen Elite entdeckt? Die Leute, die dahin gegangen sind, waren wohl eher Gaffer.



    Auf dem Bahnhof von Rostov (um wegzufahren) in den Straßenstaus (ebenfalls um wegzufahren) oder in den Supermärkten (um sie leerzukaufen) waren deutlich mehr Menschen. Und die meisten waren zuhause, oder auf der Arbeit.



    Die Reaktion der Bevölkerung war aber in der Tat sehr erhellend, weil sie zeigt, dass am Tag X niemand für Putin auf die Straße gehen wird. Selbst Polizisten und Rosgardija haben wenig Motivation gezeigt, für Putin ihr Leben zu riskieren.

    • @Barbara Falk:

      Antwort an @Ajuga.

  • Ein für mich schlüssiger und guter Kommentar.

  • Ein Haufen Verbrecher - es stinkt zum Himmel.

  • Folgt man Berichten, folgt dem Medien, auch jetzt in der ARD, dann sehen die Russen es sehr gelassen. Es ist mehr Wunsch als Wirklichkeit. Und ja, es ist unblutig zu Ende gegangen. Und das ist gut so.

    • @uffbasse:

      Hier ein paar Videos von diesen "gelassenen" Russen: tv.akipress.org/news:1944708/

      Es ist nunmehr selbst für Blinde offensichtlich (der Beifall war unüberhörbar), wer die mit Abstand beliebteste Person der russischen Elite ist. Евгений Пригожин - суперзвезда.

      Putin muss schon seit Jahren die Leute dafür bezahlen, dass sie ihm applaudieren.

      "König wirst du sein... bis jemand anderes kommt, jünger (9 Jahre) und hübscher (naja, Geschmackssache), um dich zu stürzen, und dir alles zu nehmen, das dir lieb und teuer ist."

      Cersei Lannister und Wladimir Wladimirowitsch, sie gäben so ein schönes Paar ab.

    • @uffbasse:

      Gelassen? Wohl eher apathisch und lethargisch.

    • @uffbasse:

      Dei Frage ist nicht, wie es "die Russen" sehen, deren Gelassenheit so lange anhalten dürfte, wie sich die Putins und Prigoschins gegenseitig an die Gurgel gehen und niemanden mit reinziehen. Die Frage ist, wie Putin und seine Entourage das sieht. Und da wird man nicht so gelassen sein. Vermutlich wird jetzt "aufgeräumt".

  • Was will man dazu schreiben?



    Hoffentlich werden wir mal in geschichtsbüchern lesen können, was wirklich da passiert ist im Info-Bermuda-Dreieck Belarus -Ukraine- Rußland.



    Ich seh Belarus schon als neues Zentrum Rußlands mit Lukaschenko als Putinnachfolger und Prigoschin als Friedensminister .

  • Wieso Frankenstein? Ich finde Progoschin ähnelt mehr diesem Herrn hier:



    cinemaforever.net/...it-todes-12379374/

    Die Ähnlichkeit ist frappierend. Die Nase...die Ohren... (!)