Erbauliche Nachrichten aus Österreich: Der Bernie-Moment der SPÖ
Ein ehemaliger Fabrikarbeiter will die Sozis aufmischen. Er zeigt, dass Sozialdemokratie proletarisch, linksliberal und öko zugleich sein kann.
A us Österreich kommen selten erbauliche Nachrichten. Die meisten handeln von Nazis, manche auch von Verbrechen, die in Kellern geschehen, gelegentlich von beidem, weshalb hier der schöne Begriff „Kellernazis“ einen fixen Platz im Sprachgebrauch hat. Neuerdings sind wir auch für Korruption berühmt, was liebevoll „Freunderlwirtschaft“ genannt wird. Kurzum, als Österreicher ist man Kummer gewohnt. Aber gelegentlich tun sich interessante Geschehnisse auf.
Im Land Salzburg hat die Kommunistische Partei gerade 11 Prozent bei den Landtagswahlen erreicht, in der Stadt Salzburg sogar beinahe 22 Prozent. Im Wesentlichen ist das dem Fleiß und der Ausstrahlung ihres Spitzenkandidaten zu verdanken, eines jungen Mannes namens Kay-Michael Dankl. In Graz wiederum sind die Kommunisten sogar stärkste Partei und stellen die Bürgermeisterin. Es gibt dafür wie immer lokale Gründe, aber wenn man zwei Generalisierungen treffen will, dann diese: Akzentuierte Linke gewinnen da, wo sie volksnah auftreten, famose Spitzenleute haben und wo außerdem die Sozialdemokraten durch ein Tal der Tränen gehen, weil sie besonders mies dastehen.
Auch bei den Sozialdemokraten tut sich Berichtenswertes: Da gibt es nämlich jetzt einen Mitgliederentscheid um den Parteivorsitz und einen kleinen österreichischen „Bernie-Sanders-Moment“. Denn bei der Urwahl, die auch eine Richtungsentscheidung ist, treten nicht nur die amtierende, politisch zentristische Amtsinhaberin Pamela Rendi-Wagner und ihr ewiger Kontrahent vom rechten Parteiflügel an, sondern zudem – mit guten Chancen – Andreas Babler, ein erfolgreicher, 50-jähriger Bürgermeister einer 20.000-Einwohner-Stadt.
Babler ist ein Parteilinker, zugleich hat er als früherer Fabrikarbeiter und geerdeter Typ das Image als „einer, der auf der Seite der einfachen Leute steht“. Er ist der Kandidat der unzufriedenen Basis, und fragt man ihn nach Referenzfiguren, fällt ihm am ehesten Alexandria Ocasio-Cortez ein. Politisch ist das nicht falsch, auch wenn er eine viel rustikalere Ausstrahlung hat, was wahrscheinlich ein Vorteil ist, wegen Volksnähe und so. Ich hoffe, ich trete weder ihm noch ihr zu nahe, wenn ich dennoch auf die Tatsache hinweise, dass er nicht ganz so gut aussehend ist wie die linke Demokraten-Göttin aus Brooklyn.
Grundsatzdebatte um die SPÖ-Spitze
Mag Österreich auch nicht bekannt dafür sein, ein Ort intellektuell tiefschürfender Debatten zu sein, so ist der Dreikampf um die SPÖ-Spitze dennoch zu einer Art Grundsatzdebatte geworden – und zwar um die Ausrichtung zeitgenössischer Mitte-links-Parteien. Die Sozialdemokratie ist in eine Krise geschlittert, und es sind eine Reihe von Interpretationen im Umlauf. Etwa dass die Partei die Glaubwürdigkeit bei den ganz normalen Leuten verloren hat, bei den arbeitenden Klassen, die sie nicht mehr als ihre Vertretung ansehen.
Dass dieser Glaubwürdigkeitsverlust einer der Gründe sei, warum Verdruss und Protest zu einem Anwachsen der extremen Rechten führen. Dass der Verlust an Weltverbesserungsenergien und die Anpassung an einen rechten Zeitgeist zu einem Aufschwung der Rechtsextremisten führen, weil man dauernd diskursiv in deren Falle tappt. Eine Reihe von Erklärungen ist also im Umlauf, die sich teils ergänzen, teils auch widersprechen.
Daraus ziehen manche Sozialdemokraten den Schluss, dass man wirtschafts- und sozialpolitisch eher links, gesellschaftspolitisch eher rechts sein müsse, da die verlorene Ex-Anhängerschaft der Sozialdemokraten genau das wünsche, sei diese doch auch gegen Massenzuwanderung, Woke-Klimbim und das böse Klimakleben. Für diese Linie wird gerne die dänische Sozialdemokratie als Vorbild angeführt. In Österreich ist der Kandidat des rechten Parteiflügels ein Verehrer des dänischen Modells. Er wirbt für sich mit der Behauptung, nur er könne Wähler von den konservativen Rechtsparteien zurückgewinnen. Er sei gewissermaßen rechts genug, um ein Angebot für Rechte zu sein.
Herzblut und Prinzipientreue
Andreas Babler verkörpert genau die gegenteilige Position, die Auffassung nämlich, mit Herzblut, Prinzipientreue und Geerdetheit – und einfach einem festen progressiven Wertefundament – könne man verlorene Glaubwürdigkeit wiedergutmachen. Links und plebejisch, das ist in etwa seine Maxime.
In Traiskirchen, seiner Heimatstadt, hat er gezeigt, wie es geht – immerhin hat er dort 73 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Zeit schrieb, Bablers Kandidatur sei „eine Wette darauf, dass man progressiv und proletarisch zugleich sein kann“. Der Typus Babler: ein ehemaliger Fabrikarbeiter, der ganz locker über Migranten „das sind unsere Leute“ sagt und zugleich die Klimakrise als die große Bedrohung der Gegenwart anspricht.
Im Grunde gibt es überall ähnliche Debatten, und sie hängen damit zusammen, dass die großen Mitte-links-Parteien eine falsche Vorstellung von ihren Wähler*innen und ihren früheren Anhängerschaften haben. Sie glauben, dass sie durch weiße, männliche Arbeiter, die alle zirka gleich dachten und tickten, in früheren Zeiten stark gemacht wurden, und dass sie diesen Typus verloren haben. Das ist aber Unfug. Früher war die Arbeiterklasse vielgesichtig, heute ist sie das ebenso. Nur anders.
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat gezeigt, dass die arbeitenden Klassen heute lebenskulturell viel progressiver sind, als viele Klischee-Fantasten glauben, und dass Sozialdemokraten dann gut dastehen, wenn sie wirtschafts- und sozialpolitisch wieder „traditionslinker“ und in gesellschaftspolitischen Fragen modernistischer, (links)liberaler und progressiver werden. Stringenz rules. Taktisches Rechtsblinken vertreibt die Anhängerschaft nur. Wer progressive Werte im Glauben aufgibt, das bringe einen kleinen, schmutzigen Vorteil, biegt schon auf die Verliererstraße ein, auch wenn einige Spindoktoren das Gegenteil behaupten.
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