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Krieg in der UkraineRückendeckung von links

Anastasia Tikhomirova
Kommentar von Anastasia Tikhomirova

Auch die Politik der Ukraine ist streckenweise zu kritisieren. Das Recht auf Selbstbestimmung und Verteidigung besteht dennoch unbesehen.

Berlin: Ein Mitglied der Friedensbewegung diskutiert mit einem anderen Demonstrierenden Foto: Jenia Palamartschuk

O ft heißt es in linken Kontexten, dass sich Waffenlieferungen an die Ukraine und linke Positionen ausschließen. Doch gibt es eine ganze Reihe von Gruppen, die Ukrai­ne­r*in­nen weder Solidarität noch das Recht auf Selbstverteidigung versagen wollen. Die Berliner Gruppe Right to Resist UA, die ins Leben gerufen wurde, weil die Ak­ti­vis­t*in­nen die mangelnde Solidarität von Linken in Deutschland mit Ukrai­ne­r*in­nen entsetzlich fanden, gehört dazu.

Sie orientiert sich an den Positionen der ukrainischen Sozialisten Socialny Ruch, bei denen sich der Historiker Taras Bilous engagiert. Er kritisiert seit Beginn der russischen Komplettinvasion regelmäßig die Ignoranz der westlichen Linken gegenüber Russlands imperialen Ansprüchen. Anstatt die Welt nur in geopolitischen Lagern zu sehen, müssten sozialistische In­ter­na­tio­na­lis­ten jeden Konflikt auf der Grundlage der Interessen der arbeitenden Menschen und ihres Kampfes für Freiheit und Gleichheit bewerten, findet Bilous.

Er kämpft zudem an der Front und plädiert für Waffenlieferungen. „Auch wir stellen uns gegen das kapitalistische System, in dem mit Krieg Profit gemacht wird“, betont Aktivist Ian von Right to Resist. Man trete nicht generell für Waffenlieferung ein. „Unsere Forderungen dürfen aber nicht realitätsfern werden.“ Als Reaktion auf das „Friedensmanifest“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht verfasste Right to Resist ein eigenes Statement.

Darin heißt es, dass ein Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine nicht zu einem Ende des Krieges führen würde. Im Gegenteil würde dies eine Ausweitung der russischen Besatzung, also Vergewaltigungen, Deportationen und Hinrichtungen, bedeuten, die auf andere postsowjetische Staaten übergreifen könnte.

Anastasia Tikhomirova

ist freie Journalistin, Kulturwissenschaftlerin und Moderatorin. Sie ist Alumna des Marion-Gräfin-Dönhoff Stipendiums der Internationalen Journalistenprogramme 2021, welches sie bei der Nowaja Gaseta in Moskau absolvierte. Außerdem macht sie ihren Master in Osteuropastudien und interdisziplinärer Antisemitismusforschung in Berlin.

Die Gruppe demonstriert regelmäßig in Berlin mit anderen linken Gruppen, wie der russischen „Feminist Antiwar Resistance Berlin“, den antikolonialen Voices of Indigenous Peoples of Russia oder Good Night Imperial Pride, eine Solidaritätskampagne für antiautoritäre Genoss*innen, die für die Befreiung der Ukraine von der russischen Invasion und Besatzung kämpfen.

Recht zur Flucht vor dem Krieg

Gleichzeitig ist aus einer linken Perspektive kritikwürdig, dass es ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter nicht gestattet ist, zu fliehen. Flucht vor Krieg ist ein Menschenrecht, das seit Kriegsbeginn mindestens 45.000 Männern und einigen trans Personen verweigert wurde. In Artikel 65 der ukrainischen Verfassung heißt es, dass die Verteidigung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität der Ukraine die Pflicht der Bürger ist.

Allerdings wird nirgendwo die geschlechtsspezifische Dimension dieser Pflicht erwähnt. Während sich Männer strafbar machen, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen, ist für ukrainische Frauen der Dienst in den Streitkräften ein erst seit Kurzem bestehendes Recht, für das ein Teil der feministischen Bewegung seit Langem kämpft. Aktuell sind mehr als 38.000 Frauen in den Streitkräften, etwa 5.000 von ihnen an der Front.

Die Gruppe Radical Aidforce fährt nahezu wöchentlich in die Ukraine und ermöglicht Liefer- und Evakuierungsfahrten bis an die Frontlinien. Die Ak­ti­vis­ten*­in­nen hegen grundsätzliches Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen. Festzuhalten ist, dass eine Unterstützung des ukrainischen Widerstandes nicht gleichbedeutend mit einer Unterstützung der Nato sein muss, insbesondere mit Blick auf andere internationale Konflikte, in die die Nato involviert ist.

Ein interna­tio­nales, demokratisches Sicherheitssystem muss her. Darüber zu debattieren, wird jedoch erst nach Wladimir Putins Untergang und dem Sieg der Ukraine über den russischen Imperialismus möglich sein. Sorge bereiten vielen Linken zudem die anhaltende Inflation und die neoliberale Antwort der Ampelregierung darauf.

So werden prekarisierte Menschen aufgefordert, zu frieren und zu sparen, anstatt eine adäquate Antwort auf das Versagen der deutschen Energiepolitik infolge des jahrelangen Appeasements gegenüber Russland zu finden, die Übergewinnsteuer einzuführen und Reiche zu besteuern. Nicht wenige linke Gruppierungen demonstrieren deshalb seit Monaten zusammen in einer Querfront mit rechten und esoterischen Gruppen gegen eine Unterstützung der Ukraine und für Frieden mit Russland.

Auf bundespolitischer Ebene stellt sich der Bundesarbeitskreis Bytva (ukrainisch für Kampf) dagegen. Er wurde gegründet, um sich mit Linken im osteuropäischen Raum zu solidarisieren und gleichzeitig Antworten auf die neoliberale Politik zu finden. Die ukrainischstämmige Linkenpolitikerin und Mitglied des BAK Bytva Sofia Fellinger kritisiert, dass „aktuell eine große Aufrüstungskampagne unter dem Mantel der vermeintlichen Ukraine-Solidarität gefahren“ werde.

Die Menschen in der Ukraine profitierten wenig davon, „da von den 100 Milliarden für die Bundeswehr kein Cent dort ankommt. Wir brauchen als Deutsche keine angriffsfähige Armee.“ Im Zuge der Energiekrise, die vermeintlich durch den Ukrainekrieg erzeugt worden sei, fahren viele Konzerne deutlich höhere Gewinne als vor der Krise ein. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Ukraine-Solidarität und Rechte und Freiheiten sowie soziale Themen gegeneinander ausgespielt werden“, sagt Fellinger.

Die Überausbeutung osteuropäischer Ar­bei­te­r*in­nen und ukrainischer Geflüchteter in Deutschland ist ein weiteres Thema wie auch Wolodimir Selenskis neoliberale Wirtschafts- und So­zial­politik. Zahlreiche Linke und Ge­werk­schaf­te­r*in­nen kämpfen aktuell deshalb gleichzeitig gegen Russland und für die Rechte der Arbeiter*innen. Diese linken Gruppen inner- und außerhalb der Ukraine benötigen dringend internationale Solidarität. Stattdessen sind sie zwischen Sowjetnostalgikern, Russlandverstehern und Nato-Fans größtenteils auf sich allein gestellt.

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8 Kommentare

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  • Es ist ja immer interessant, eine ander Meinung zu hören, insbesondere wenn sie von Außen auf die eigene Blase schaut.



    Viele der erwähnten Organisationen sind mir unbekannt, die Informationen darüber daher ein Gewinn.



    Einiges betrachte ich jedoch anders.



    "Auch die Politik der Ukraine ist streckenweise zu kritisieren", lese ich im Untertitel, aber wenig davon im Text. Verbot von Parteien und Gewerkschaften zähle ich beispielsweise dazu.



    Die "Querfront" existiert in meiner Wahrnehmung nicht. Es ist sicher kompliziert, Demonstrationen



    " sortenrein" zu trennen und diesbezüglich wurden auch Vorwürfe laut, doch dass sich Rechte und Linx hier verbrüdern halte ich für ein Märchen.



    Es werden Menschen gezwungen zu frieren?



    Das ist falsch. Auf vielfältige Weise hat die Regierung dies in diesem Winter verhindert.



    Von " neoliberal" zu sprechen, wenn Milliarden in Unterstützungspakete investiert werden und somit der Bevölkerung zugänglich werden ist schlicht absurd.



    Ein Versagen der deutschen Energiepolitik?



    Innerhalb eines Jahres hat die Ampel es geschafft, das Land von russischen Lieferungen unabhängig zu machen. Das ist wohl als klarer Erfolg zu bewerten.



    Es mag sein, dass aus einer deutschen Perspektive ein Blick auf die Ukraine nicht von der UkrainerInnen geteilt wird, ich teile wenig der hier vorgebrachten Ansichten.

  • Habe den Aufruf von Right to Resist für eine linke Ukraine-Solidarität gelesen … allerdings kann ich ihn genau so wenig unterschreiben wie das sogenannte Friedensmanifest von Schwarzer und Wagenknecht (und das Gegenmanifest von JU und Julis schon mal überhaupt nicht).



    Die Grausamkeit und Illegitimität dieses wie aller Kriege lässt mich an meiner grundsätzlichen pazifistischen Haltung festhalten - ich sehe mich darin sogar bestätigt -, zugleich stehe ich für das Recht auf Selbstverteidigung für die Ukrainer*innen ein und befürworte daher auch die westlichen Waffenlieferungen.



    Man möge mir gerne eine inkonsistente/widersprüchliche Haltung vorwerfen, aus moralischer Sicht sehe ich jedoch momentan keine Möglichkeit, einen anderen Standpunkt als den beschriebenen einzunehmen.

  • In diesem Artikel werden aus meiner Sicht viele wichtige und richtige Einschätzungen und Problematisierungen geliefert. Ja, gerade aus einer linken Sicht - soll heissen: an Werten von Gerechtigkeit und Solidarität orientiert - halte auch ich westliche Waffenlieferungen an die Ukraine für zwingend nötig. Und nein, die Nato trägt am Angriff Russlands keine Schuld, auch keine Teilschuld (und wenn man diese Wahrheit benennt, muss man nicht die Nato für der Sicherheitsweisheit der Welt letzten Schluss halten). Bitter ist, dass der politische Kleinstaat und die zugleich finanzwirtschaftliche Grossmacht Schweiz weitgehend komplett versagt beim Finden und Einfrieren und Beschlagnahmen von Putin-nahen Geldern. Die Landesregierung will hier nicht handeln. Die Bürgerlichen im Parlament wollen es auch nicht. Die zuständigen Behörden wollen es ebenfalls nicht. Und die meisten Bürger:innen: dito. Das ist ein grosses europäisches Problem. Und es kostet viele Menschenleben.

  • Es ist ganz sicherlich nie eine "linke" Position gewesen, das Recht auf Gegenwehr gegen einen Bully zu bestreiten.



    Es ist aber eben erst recht & überhaupt keine Position, den nützlichen Trottel für die Amis zu geben.



    Eigentlich denkbar einfach.

    • @JulianM:

      Wenn man es sich so einfach macht, wie Sie...

  • Das blöde in Deutschland ist das links immer mit der Partei "die linke" assoziiert wird nur das linke Spektrum ist so viel mehr.

    • @pablo:

      Das ist schon wahr. Wenn linke Gruppen sich jedoch mit dem Kampf der Ukraine solidarisieren und für Waffenlieferungen eintreten, plädiere ich sehr dafür, auf Diffamierungen und Denunziationen gegenüber Andersdenkenden ganz zu verzichten und sich auf vernünftige, überzeugende Argumente zu fokussieren. DAS wäre mal ein wirklich emanzipatorischer Ansatz.



      Und es lohnt sich, so zu argumentieren … denn auch ich persönlich habe im Verlauf dieses Krieges meine Haltung überdacht und verändert (für manche Linke offenbar ein absolut schreckliches Sakrileg). Daran waren gute Argumente “schuld” … schlechte bzw. falsche Pro-Ukraine-Argumente gibt es allerdings auch. Habe diese leider auch in der taz-Kommentarspalte reichlich gelesen.

    • Anastasia Tikhomirova , Autorin des Artikels, Journalistin
      @pablo:

      im Text geht die Kritik tatsächlich nicht nur gegen die Partei, sondern auch zahlreiche linke und linksradikale marxistisch-leninistische Gruppen, die der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung absprechen. Ich habe in meinem letzten Essay für die taz darüber geschrieben: taz.de/Die-deutsch...Russland/!5913842/

      Das heißt natürlich nicht, dass durchweg alle deutschen linken Gruppen so drauf sind.