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Deutschlands BildungsmisereDer Kanzler muss eingreifen

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Wohlhabende Länder blockieren eine gerechte Verteilung von Bundesmilliarden für Bildung. Einem sozialdemokratischen Kanzler darf das nicht egal sein.

Mit dem Startchancenprogramm möchte die Ampel 4.000 Brennpunktschulen stärken Foto: Sebastian Kahnert/dpa

A n den deutschen Bundeskanzler werden naturgemäß viele Anliegen herangetragen, so auch diese Woche. Olaf Scholz möge die Flüchtlingspolitik in die Hand nehmen, Olaf Scholz dürfe sich nicht mit Benjamin Netanjahu treffen. Eine bemerkenswerte Forderung stellte diese Woche ein Bündnis aus Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften auf: Der Kanzler müsse Bildung zur Chefsache machen – und einen richtigen Bildungsgipfel einberufen. Mit Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen und Abschlusserklärung. Damit nicht wieder so eine laue Veranstaltung herauskommt wie soeben in Berlin.

Zur Erinnerung: Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte Länder und Kommunen, Wissenschaft und Schulcommunity am Dienstag und Mittwoch zum Krisentreffen gebeten. Eine „bildungspolitische Trendwende“ wollte sie einleiten und die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu regeln. Beides ist gründlich schiefgegangen. Die Länder blieben – bis auf zwei – dem Gipfel fern, Beschlüsse wurden nicht gefasst. Außer man lässt die Ankündigung einer Taskforce gelten, die irgendwann Vorschläge zu drängenden Schulproblemen machen soll. Dabei müsste auch Stark-Watzinger klar sein, dass man mit Arbeitskreisen keine Schulabbrecherquoten senkt oder sozial benachteiligten Kindern hilft. Der Gipfel hat offenbart, dass nicht nur das Bildungssystem in einer Krise steckt – sondern auch die Bildungspolitik.

Gut möglich, dass eine Einladung aus dem Kanzleramt (und eine frühzeitige Einbindung der Länder) eine andere Resonanz erzeugt hätte – am Ergebnis hätte das wohl wenig geändert. Dazu verhalten sich manche Länder zu oft zu starrsinnig. Diese Erfahrung hat schon Angela Merkel machen müssen, als sie 2008 einen „richtigen“ Bildungsgipfel ausrief – und auf offener Bühne von den Länderfürsten vorgeführt wurde, auch aus der eigenen Partei. Ihr Versprechen, das Bildungsbudget bis 2015 auf zehn Prozent des BIP zu hieven, konnte Merkel bekanntlich nicht einhalten.

Brennpunktschulen stärken

All das weiß Olaf Scholz natürlich. Er ist zu schlau, um sich in föderale Grabenkämpfe hineinziehen zu lassen. Dennoch könnte sich für den Kanzler eine Intervention lohnen. Denn die Sturheit der Länder – aktuell Sachsen und Bayern – ist geeignet, das zentrale Bildungsversprechen seiner Regierung zu torpedieren.

Die Sturheit von Bayern und Sachsen ist geeignet, das zentrale Bildungsversprechen der Regierung zu torpedieren.

Mit dem Startchancenprogramm möchte die Ampel 4.000 Brennpunktschulen stärken, ab dem Schuljahr 2024/25 soll es losgehen. Markus Söder und Michael Kretschmer aber wollen partout nicht einsehen, dass die geplanten Bundesmilliarden nach sozialen Kriterien verteilt werden. Bil­dungs­for­sche­r:in­nen halten das für dringend notwendig. Auch Stark-Watzinger hat eine Mittelvergabe nach Gießkanne – also nach Königsteiner Schlüssel, der sich nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft bemisst – ausgeschlossen. Bayern und Sachsen aber beharren auf ihrem gewohnten Stück vom Kuchen, obwohl andere Länder das Geld dringender brauchen.

Der Kompromiss, auf den sich die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen jetzt bei ihrem KMK-Treffen am Donnerstag geeinigt haben, sieht vor, dass nur fünf Prozent der Mittel direkt in die bedürftigsten Schulen fließen sollen. Dazu soll ein „Solidarfonds“ eingerichtet werden, von dem dann die Länder mit den meisten sozialen Brennpunkten, also Bremen, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen, profitieren sollen. Zumindest ganz ein kleines bisschen. Der größte Teil des Kuchens wird zerbröselt und schön gleichmäßig über das Bundesgebiet verstreut.

Stark-Watzinger darf diesen Vorschlag nicht akzeptieren – und Scholz muss sie darin unterstützen. Zu sehr konterkariert der KMK-Vorschlag das eigentliche Programmziel. Außerdem wäre die Glaubwürdigkeit der Ampel dahin, die aus den Fehlern vergangener Bund-Länder-Programme – siehe „Aufholen nach Corona“ – lernen und die Mittel gezielter verteilen wollte. Dorthin, wo sie benötigt werden. Und nicht, wo in diesem Jahr Wahlkampf stattfindet. All das sollte Scholz motivieren, bei der Bildungspolitik ein Machtwort zu sprechen. Im Rahmen seiner Zuständigkeit natürlich.

Wie wäre es damit: Der Kanzler macht dem Finanzminister klar, dass bei den Bildungsversprechen kein Rotstift angesetzt wird (kleiner Tipp: Investitionen in soziale Gerechtigkeit machen sich auch volkswirtschaftlich bezahlt!). Den Ländern garantiert er, dass alle Bildungsvorhaben wie der Digitalpakt 2.0 nun im „Deutschlandtempo“ angepackt werden. Und Stark-Watzinger gibt er freie Hand, kompromisslos zu verhandeln. Wenn die Länder all die Milliarden vom Bund wollen, müssen sie mehr bieten als 5 Prozent. Jedes Prozent mehr macht das Land gerechter. Wenn Deutschland nicht dafür einen sozialdemokratischen Kanzler hat – wofür dann?

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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11 Kommentare

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  • Bayern und Sachsen scheinen ja was richtig zu machen (Seit langer langer Zeit). Wenn ich also Bundesminister wär (bin ich nicht), dann würde ich diese beiden Länder zuerst ins Boot holen. Ist nur so ein Gedanke.

  • "..Bundesmilliarden nach sozialen Kriterien verteilt " Nein, Danke!

    Wir haben den Länderfinanzausgleich, und schon der ist teilweise völlig ungerecht. So zahlen wir in Baden-Württemberg ca. 370€/Monat für PRO Kita-Platz, während man in Berlin gar nichts zahlt. Und nun sollen wir auch noch dafür sein dass die Bundesmittel ungleich verteilt werden.



    Nein Danke, irgendwann ist genug.



    Das hat mit "sozial" nichts mehr zu tun, wenn man Länder die nicht mit Geld umgehen können das Geld hinter werfen soll.

  • Ein Herr aus dem SPD-Umfeld soll sich um Bildung kümmern? Die Praxis zeigt genau das Gegenteil. CDU-geführte Länder wie Bayern und Sachsen haben die beste Bildung. Bildung hat auch etwas mit Aufbauen auf Bewährtes zu tun. Ich glaube nicht, dass dies zu den Kernanliegen der SPD gehört. Gott wie froh bin ich, dass ich noch mein Abi in der DDR gemacht habe. Wenn ich so sehe, was in Berlin als Abi-Standard durchgeht, bin ich nur erschrocken. Hinzu kommt noch das tausendfache Fehlen von Lehrern. Allerdings kann ich auch keinem empfehlen, in diesem Land Lehrer zu werden, aus sehr vielen Gründen.

  • Möglicherweise sollte erst einmal eine neue Persönlichkeit das Bildungsministerium übernehmen. Scheinbar fehlt es derzeit an Moderations- und Durchsetzungsfähigkeiten.

  • das die heutigen Sozialdemokraten für den sozialen Ausgleich stehen ist ein Märchen das sich aus alten (uralten) Geschichten nährt.

    Spätestens seit Ende der 70er steht Sozialdemokratie vor allem für die Unterstützung von Arbeitnehmern die gewerkschaftlich mit ihnen verandelt sind.

    Alles was wirklich sozial bedürftig ist interessiert die Gewerkschaften allerhöchstens am Rande.



    Obdachlosigkeit, und andere "geringere" Übel wie auch Bildungsgerechtigkeit sind lange nicht mehr interessant.



    Die Gewerkschaften fordern gerade mindestens 600€ mehr für ihre Arbeitnehmer.



    Menschen in Hartz IV , äh wie heisst das jetzt noch mal beschönigt? und Grundsicherung im Alter bekommen noch nicht mal 510 € insgesamt.



    Bei der Kindergrundsicherung machen wir schon wieder rum.



    Bisher wird sogar das Kindergeld auf die Grundsicherung angerechnet.



    Diese Kinder bekommen also sozusagen nix vom Staat, ausser das was sie vor dem Verhungern bewahrt.



    UND NIEMAND SCHREIT AUF.



    Jetzt wieder zur Bildungsgerechtigkeit:

    In den 70ern habe ich Schülerbafög (anrechnungsfrei) bekommen, richtige Schulbuchfreiheit (mit neuen Büchern - und nicht schon angestrichene vorausfefüllte von den letzten Schuljahren, und Fahrtkosten zur Schule.



    Bei zeitlich oder örtlich ungünstigen Verbindungen gab es auch Kilometergeld für den eigenen PKW ausgezahlt.

    Bei uns haben sie Schulreformen noch gemacht um Bildungsgerechtigkeit zu fördern.



    Alte Lehrpläne entstaubt, neue Inhalte festgelegt.



    Ziel war es den Schülere*innen Lernen beizubringen nicht einfach nur stumpfes Wissen.

    Heute wird die Einführung eines zentral festgelegten Abiturs (da wird in erster Linie Wissen geprüft) nicht mal mehr wirklich hinterfragt.

    Ja, auch damals gab es diese ganzen Unterschiede zwischen den Bundesländern schon.



    Bei Wechsel des Bundeslandes gab es plötzlich andere Unterrichtsfächer (damit kommen Schüler*inn klar, Leher*innen, die Partner*innen folgen nicht) und das Abi wurde zum Studium in einem anderen Bundesland nicht anerkannt.



    Lächerlich.

    • @Friderike Graebert:

      "...und Grundsicherung im Alter bekommen noch nicht mal 510 € insgesamt."



      +Miete + Heizungskosten, +Stromkosten, + + +



      Geht jetzt schon der Neid "Arbeitnehmer versus Grundsicherung" los?

  • Die KI wird es richten - alles wird gut. Die Computer überleben.

  • Schon heute hat Berlin die mit Abstand höchsten Ausgaben pro Schüler im Bundesvergleich und in trauriger Regelmäßigkeit sind die Ergebnisse von bundesweiten Vergleichstests katastrophal, nicht mal eine solide Mittelmäßigkeit wird erreicht. Woran liegt es? Stumpf immer mehr Geldreinzuschütten ist ja unter Umständen keine nachhaltige Lösung.

  • Nachtrag:



    Wenn aber den Bundesländern Geld für Schulen, Lehrer und Gebäude fehlt und der Bund dafür anscheinend zu viel hat, dann sollte man mal darüber nachdenken und die prozentuale Aufteilung der Körperschaftssteuer und Einkommenssteuer für Bund, Ländern und Kommunen überarbeiten und neu regeln.

  • Die Schule geht dem Bund absolut nichts an.



    In langen zähen Verhandlungen hatte sich die Bund-Länder-Kommission schon 2006 auf eine Reform verständigt und mit jeweils Zweidrittelmehrheiten hat der Bundestag und Bundesrat die Föderalismusreform beschlossen. Es wurde im Grundgesetz festgeschrieben, dass Bildung Ländersache ist und der Bund außen vor bleibt.



    Dieses Kooperationsverbot verbietet dem Bund, den Ländern insbesondere im Schulwesen, großartige Vorschriften zu machen oder sich sonst irgendwie einzumischen. Diese Kulturhoheit der Länder hat auch historische Gründe (zentralistische NS-Zeit).



    Man wollte Missbrauch des Bildungssystems erschweren, gar verhindern. Deshalb liegt in Deutschland die Zuständigkeit für das Schulwesen (dazu gehören auch die Hochschulen und Universitäten) bei den 16 Bundesländern. Es gibt auch etwas unterschiedliche Bildungssysteme, -pläne und Schulformen. Aber das muss nicht schlecht sein und das muss man schon gar schlecht reden wie in manchen Medien geschehen. Man kann und wird sich weiter annähern ohne einen Zentralismus aufzubauen.

  • "Im Rahmen seiner Zuständigkeit natürlich."--> Damit schildert der Autor exakt das Problem, weshalb Scholz keinen Finger rühren wird: Er ist für die Bildungspolitik nicht zuständig. Der jeweilige Bundesbildungsminister, aktuell Frau Ministerin Stark-Watzinger, ist ein Frühstücksdirektor mit viel Lametta aber nur wenig Macht.

    Die Bildungspolitik ist nunmal so starke Ländersache, dass sämtliche Landesbildungsminister (einschließlich der zwei tatsächlich Angereisten) Frau Stark-Watzinger beim Bildungsgipfel zeigten, wieviel Macht sie in der Angelegenheit hat.

    Scholz wird sich hier nicht die Blöße geben, an der die weitaus mächtigere und stärkere Merkel schon scheiterte. Söder & Kretschmer hingegen sind auch zu verstehen. Sie führen die einzigen beiden bildungsmäßig halbwegs gut aufgestellten Bundesländer. Wieso sollten sie ihre Position zugunsten von Ländern, die lieber gendern als unterrichten (Berlin), aufgeben?