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Verschärftes Asylrecht in GroßbritannienDie Menschenrechte danken ab

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Dem neuen Gesetz in Großbritannien zufolge sollen Geflüchtete ohne Möglichkeit auf Asyl abgeschoben werden. Das ist töricht und menschenverachtend.

Macht lieber Stimmung gegen Geflüchtete, statt andere Probleme anzugehen: Rishi Sunak Foto: Leon Neal/Pool Getty

E s war der Hauptgrund für den Brexit: Die Mehrheit der Briten hatte für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt, weil sie keine Flüchtlinge auf ihrer Insel haben wollen. Premierminister Rishi Sunak und Innenministerin Suella Braverman haben nun ein Gesetz vorgelegt, das die Europäische Menschenrechtskonvention aushebeln soll.

Braverman gibt zu, dass ihr Gesetz mit einer Wahrscheinlichkeit von „mehr als 50 Prozent“ die Menschenrechtsgesetze brechen würde. Es sieht vor, dass Migranten, die ohne Erlaubnis meistens mit einem Boot über den Ärmelkanal einreisen, zunächst in Gefangenenlagern interniert und dann nach Ruanda abgeschoben werden sollen. Sie sollen keine Gelegenheit bekommen, Asyl zu beantragen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits die Ruanda-Pläne durchkreuzt, dem neuen Asylgesetz blüht dasselbe. Eine Reihe Tory-Hinterbänkler plädiert deshalb für den Austritt aus der Menschenrechtskonvention. Damit befände man sich in schlechter Gesellschaft: Russland und Belarus sind die einzigen europäischen Länder, die nicht Mitglied sind. Sie wurden wegen des Überfalls auf die Ukraine ausgeschlossen.

Schnell einmal nach unten treten, weil sonst nichts läuft

Was bezweckt Sunak mit dem neuen Asylgesetz? Er weiß, dass er nicht mehr viel Zeit bis zu den nächsten Wahlen hat, und laut Meinungsumfragen werden die Tories eine Niederlage einstecken. Sunak hält es offenbar für publikumswirksam, den Asylbewerbern an den Kragen zu gehen, weil er bei den drängenderen Themen – steigende Lebenshaltungskosten, größer werdende Armut, leere Supermarktregale auch wegen fehlender ausländischer Arbeitskräfte – nicht vorankommt.

Das Asylgesetz ist aber nicht nur menschenverachtend, es ist auch töricht. Seit 2015 haben diverse britische Regierungen versucht, die Boote über den Ärmelkanal zu stoppen. Das neue Gesetz wird daran nichts ändern, denn bis es in Kraft treten kann, ist diese Tory-Regierung hoffentlich längst Geschichte.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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7 Kommentare

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  • Ein Mensch mit Migrationshintergrund - wie privilegiert auch immer- schafft das Asylrecht ab. Denn das ist es, was hier passiert.



    Die Forderung einer "legalen" Einreise beseitigt faktisch die Möglichkeit einer Flucht vor Verfolgung. Denn wie soll ein Antrag auf Einreise erfolgen - wenn die Schergen des politischen Systems jagen?



    So bekäme keine einzige Frau aus dem Iran mehr Asyl. Sie würde von Sunaks Schergen wieder an den Iran ausgeliefert.



    Und das in England. Ich.Fass.Es.Nicht.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Zu Rishi Sunak passt ja der Bernstein-Zweizeiler:



    "Die größten Kritiker der Elche



    waren früher selber welche"

  • Die Frage ist, welche Lösungen werden alternativ vorgeschlagen, um diese riskanten Bootstouren zu vermeiden, wie zB Asylantrag in Zentren im Heimatland. Oder eine gesteuerte Einwanderungspolitik.

    • @Gabriel Renoir:

      Sie unterschätzen Diktaturen. Die würden es begrüßen, alle kritischen oder auch nur "verdächtigen" "Elemente" auf einem Fleck zu haben.



      Das macht das Auslöschen einfacher. Wer glaubt, irgendeine internationale Reaktion oder Meinung dazu würde Diktatoren-Regime interessieren, kann ja mal in Damaskus, Teheran, Peking, Moskau oder einer langen Liste von südostasiatischen, arabischen oder afrikanischen Ländern nachfragen...

    • @Gabriel Renoir:

      "Oder eine gesteuerte Einwanderungspolitik."



      Und wie genau wollen sie die Zahl der berechtigten Asylanträge steuern ohne Grundrechte nur noch nach Quote zu gewähren?

  • Nuja, die Briten haben die endlosen Lügen der Brexit-Kampagne mehrheitlich geschluckt, da dürften "Kleinigkeiten" wie Menschenrechte auch keine relevante Rolle spielen, solange ein schmissiges "Rule, Britannia" gespielt wird

  • Die einzig gute Nachricht ist da, dass die Wahlaussichten der tories so schlecht sind.



    In der Hoffnung auf entsprechende Ergebnisse,



    könnte die Fremdenfeindlichkeit auf ein normales Maß zurück geschraubt werden.



    Liebe Briten,



    lange ward Ihr die BewohnerInnen eines demokratischen Vorzeigestaats.



    Wo segelt ihr hin?