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Bundestag debattiert Wahlrechtsreform„Wir machen das jetzt“

Alle Fraktionen wollen, dass der Bundestag verkleinert wird. Die Debatte aber zeigt: Einen gemeinsamen Weg dahin wird es kaum geben.

Alle Fraktionen wollen, dass der Bundestag verkleinert wird, aber doch nicht so!! Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Berlin taz | Sebastian Hartmann von der SPD macht es. Till Steffen von den Grünen macht es. Und Konstantin Kuhle von der FDP macht es auch: Alle drei Obmänner ihrer Fraktionen in der Wahlrechtskommission des Bundestags bieten der Union im Plenum an, noch einmal nach einem Kompromiss für die Wahlrechtsreform zu suchen. Denn natürlich wäre es besser, eine Reform des Wahlrechts und damit die notwenige Verkleinerung des Bundestags im Konsens zu beschließen.

Die drei Ampel-Abgeordneten machen aber auch klar: Gibt es keinen Kompromiss, wird die Ampel die überfällige Reform alleine auf den Weg bringen. Schließlich sucht der Bundestag seit zehn Jahren nach einem Weg, sich selbst zu verkleinern – bislang ohne Erfolg. „Wir machen das jetzt“, sagt denn auch Till Steffen. „Dieser Gesetzgebungsprozess wird ein Ergebnis haben.“

Am späten Freitagvormittag, nach der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus, wird im Bundestag der entsprechende Gesetzentwurf der Ampel in erster Lesung beraten. Hier gehe es nicht um „das x-te Reförmchen“ zum Wahlrecht, sagt Sozialdemokrat Hartmann. „Wir wagen den großen Wurf“. Er betont: Das vorgeschlagene neue System sei „einfach, fair und gerecht“.

Der Entwurf der Ampel sieht vor, die Zahl der Abgeordneten im Parlament auf die Regelgröße von 598 zu begrenzen – derzeit sind es 736. Dafür sollen Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft werden, die entstehen, wenn wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate holt, als sie nach dem Zweitstimmenergebnis bekommen würde. Nach den Berechnungen der Ampel wären von der Reform alle im Bundestag vertretenen Fraktionen gleichermaßen betroffen.

Nicht mit der Union

Schafft man die Überhang- und Ausgleichsmandate ab, kann es allerdings passieren, dass jemand, der einen Wahlkreis gewonnen hat, nicht in den Bundestag einzieht. Das will die Union unbedingt verhindern. „Erststimme ist Bürgerstimme“, betont der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling, der für die Union spricht. Für die Wählerinnen und Wähler sei es „nicht einsehbar“, dass ein siegreicher Direktkandidat nicht in den Bundestag komme.

Das klingt zwar nicht mehr so aggressiv wie die der Vorwurf der „organisierten Wahlfälschung“, die man sonst nur aus „Schurkenstaaten“ kenne, wie CSU-Generalsekretär Martin Huber zuletzt gegen den Ampel-Vorschlag gepoltert hatte, macht aber trotzdem klar: Mit der Union wird es in dieser Frage wohl eher keinen Kompromiss geben.

Was natürlich auch daran liegt, dass die Union, insbesondere die CSU, von dem bestehenden System profitiert. Sie hatte bislang auch alle grundlegenden Reformen blockiert. Mit Blick auf die CSU sagt Steffen denn auch, es dürfe nicht sein, dass „Kleinstparteien“ eine echte Reform verhinderten.

Die Unionsfraktion hatte für die Bundestagsdebatte keinen eigenen Gesetzentwurf, sondern lediglich einen Antrag mit Eckpunkten für eine Reform eingebracht. Diese sehen unter anderem vor, die Anzahl der Wahlkreise von 299 auf 270 zu reduzieren und die so genannte Grundmandatsklausel von drei auf fünf Direktmandate zu erhöhen – was, hätte es gegolten, die Linkspartei bei der letzten Bundestagswahl den Einzug ins Parlament gekostet hätte.

Haupt- statt Zweitstimme

„Wenn wir das beschließen, passiert nichts, gar nichts“, kritisiert der Grüne Steffen. Der Antrag der Union sei mit Blick auf eine wirkliche Verkleinerung des Bundestags reines „Window Dressing“, also Kosmetik.

FDP-Mann Kuhle betont, dass das deutsche Wahlrecht vom Grundsatz her ein Verhältniswahlrecht sei, entscheidend für die Verteilung der Gesamtsitze also die Zweitstimme sei. Die Ampel will diese deshalb auch in Hauptstimme umbennen. Erst wenn feststehe, welche Partei wie viele Sitze erhalte, gehe es um deren Besetzung über Direktmandate oder Listen.

Außerdem, sagt Kuhle dann, werde im Wahlkreis ja auch kein Nachfolger nachgewählt, wenn der Wahlkreissieger aus dem Bundestag ausscheide. Der werde dann über die Liste aufgefüllt. Im seinem Wahlkreis in Göttingen sei das gerade der Fall, weil der direkt gewählte SPD-Abgeordnete, Andreas Philippi, nun Sozialminister in Niedersachsen sei.

Die AfD ist wohl bereit, dem Vorschlag der Ampel zuzustimmen. Darin stehe vieles von dem, was man selbst bereits vorgeschlagen habe, betont der AfD-Abgeordnete Abrecht Glaser und bescheinigt der Ampel „geistigen Diebstahl“. Auch die Linken begrüßen den Vorschlag. „Für mich geht das in eine richtige Richtung“, sagt die frühere Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow. Allerdings fehlten Vorschläge zur Parität, das Wahlrecht mit 16 und für Ausländer*innen. Dazu hat die Linksfraktion eigene Anträge eingebracht.

Die Wahlrechtsreform wird nun in den Ausschüssen weiter beraten. Die Ampel will sie bis Ostern endgültig verabschieden, sie kann dies mit einfacher Mehrheit tun. Die CSU hat bereits angekündigt, dagegen gegebenenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.

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21 Kommentare

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  • Wieso der Ampel-Vorschlag die Regelung beibehält, dass eine Partei, die keine 5 % erreicht, trotzdem in den BT einzieht, wenn sie drei Wahlkreismandate erringt, ist nicht nachvollziehbar. Wenn die Direktwahl nichts mehr wert ist, ist sie auch in diesem Fall nichts wert. Kein Wunder, dass die Linke für den Vorschlag ist.

  • In Nürnberg-Nord werden wir von 3 Abgeordneten vertreten. Die Grüne - erste bekennende Transfrau im Parlament - hatte echte Chancen, dem CSU'ler das Direktmandat zu nehmen. Aber am Ende hatten alle 3 um die 30%, und die CSU bekam das Überhangmandat.



    Dabei ist er eine echte Witzfigur: Bei der vorletzten OB-Wahl scheiterte er krachend, weil er allen Ernstes 500 neue Parkplätze in der Altstadt schaffen wollte. Von diesem Mann fühlt sich kaum jemand vertreten. Die Meisten hier sind heilfroh, dass wir ihn in der Lokalpolitik loshaben. Und 2 Abgeordnete vertreten uns würdig im Bundestag. Das genügt. Wir können gerne auf die Vertretung durch diesen Mann verzichten!

  • " Für die Wählerinnen und Wähler sei es „nicht einsehbar“, dass ein siegreicher Direktkandidat nicht in den Bundestag komme."

    Doch. Das ist sogar sehr leicht einsehbar :-)

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Richtig - sehr einsehbar. Der Selbstbedienungsladen Bundestag muss deutlich verkleinert werden.

  • Die Ampel hat da mal eine gute Idee auf den Weg gebracht. Ein mit dünner relativer Mehrheit direkt gewählter kann ja eigentlich nicht behaupten, der Wählerwille hat ihn ins Parlament geschickt.



    Alternativ besteht noch die Möglichkeit der Vergabe nach absoluter Mehrheit im Wahlkreis, bei Bedarf mit Stichwahl unter den beiden Bestplatzierten. Was bei der apräsidentenwahl in Frankreich gut ist, kann ja eigentlich bei uns nicht schlecht sein.

    • @Rechenfix:

      MEHRHEIT



      Was auch für deutsche Bürgermeister gut is... erhöht die Legitimität als Repräsentantin des Wahlkreises, lässt alle Listen-Fuzzis 14 Tage im Limbo fiebern (drin oder nich?), hilft aber leider garnix beim Thema: Mandate einsparen.

  • 2G
    21327 (Profil gelöscht)

    Wenn schon grundsätzliches, dann die ganze Wahrheit bitte und die lautet wie folgt,



    "einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl",



    einzig die Zahl der Abgeordneten und Wahlkreise sind seit der Erstfassung geändert worden.

    Bundeswahlgesetz vom 7. Mai 1956:

    § 1 Zusammensetzung des Deutschen Bundestages und Wahlrechtsgrundsätze

    (1) Der Deutsche Bundestag besteht vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen aus 506 Abgeordneten. Sie werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den wahlberechtigten Deutschen nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt.

    (2) Von den Abgeordneten werden 253 nach Kreiswahlvorschlägen in den Wahlkreisen und die übrigen nach Landeswahlvorschlägen (Landeslisten) gewählt.

  • Wenn ein gewählter Direktkanditat nicht einziehen wäre der Wahlkreis nicht mehr vertreten. Das sollte nicht das Ergebnis sein.

    Zwei mögliche Alternativvorschläge wären besser und hätten diesen Makel nicht:

    (1) Die Anzahhl der Wahlkeise um die Hälfte halbieren und die Sache ansonsten unverändert lassen, oder

    (2) Die Anzahl der Wahlkreise halbieren und die Hälfte des Parlaments per Erststimme und die andere Hälfte des Parlaments per Zweitstimme besetzen.

    • @DiMa:

      "Wenn ein gewählter Direktkanditat nicht einziehen wäre der Wahlkreis nicht mehr vertreten."

      Sie möchten an den Wahlkreisen herumdoktern. Was soll daran besser sein? Wollen wir ernsthaft eine Situation wie in den USA schaffen, wo die "Gestaltung" der Wahlkreise von den Parteien genutzt wird, um das Ergebnis zu beeinflussen?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Wahlkreis sind nicht in Beton gegossen. Wenn es notwendig ist um ein Verfassungsgerichtsurteil umzusetzen, dann ist das halt so.

        • @DiMa:

          Es ist aber nicht notwendig.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Es ist notwendig um gewählten Abgeordneten in den Bundestag einziehen zu lassen.

            Die jetzigen Wahlkreise sind vollkommen willkürlich festgelegt. Es könnten genau so gut dopplet so viele sein oder auch nur die Hälfte.

            • @DiMa:

              Ist jemand mit 20, 30% wirklich also Vertreter einer Region gewählt? Ein reines Verhältniswahlrecht würde den Wählerwillen besser abbilden, als ein Typ, den die Mehrheit explizit nicht gewählt hat.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Die damit einhergehende Stärkung des Wahlkreiskandidaten würde dazu führen, dass diese sich stärker als bisher für ihre Region einsetzen müssten und nicht für vier Jahre einfach in der Fraktion abtauchen.

                Wie gesagt, bei meinem ersten Vorschlag würde zumindest der Status quo erhalten bleiben und das vom Gericht geforderte Ziel erreicht werden.

                • @DiMa:

                  "Die damit einhergehende Stärkung des Wahlkreiskandidaten..."

                  Verstehe ich nicht. Wieso wird er stärker, wenn er nur noch einen kleinen Teil der Wähler repräsentiert? Das Problem ist doch entstanden, weil sich das Parteiensystem verändert hat. Es gibt eben nicht mehr nur zwei große "Volksparteien", die die Direktmandate abgreifen.

                  Und deshalb ist auch jede Lösung, die den Status quo irgendwie erhalten will, keine Lösung. Eben weil sich die Ausgangslage verändert hat.

                  • @warum_denkt_keiner_nach?:

                    Wenn Wahlkreiskandidaten die Hälfte des Parlaments ausmachen, müssten sie sich stärker um die Wahlkreise bemühen. Auch für die Parteien hätten diese Kandidaten dann ein ganz entscheidendes Gewicht.

                    • @DiMa:

                      "Wenn Wahlkreiskandidaten die Hälfte des Parlaments ausmachen, müssten sie sich stärker um die Wahlkreise bemühen. Auch für die Parteien hätten diese Kandidaten dann ein ganz entscheidendes Gewicht."

                      Theoretisch. Allerdings ist das jetzt schon nicht so. Außerdem besteht die Vorgabe des BVG, dass das Verhältnis der Stimmen zwischen den Parteien ausschlaggebend ist.

                      • @warum_denkt_keiner_nach?:

                        Das BVerfG hat nie die Verhältniswahl vorgegeben sondern sieht sie lediglich als eine mögliche Option an.

                        Siehe hierzu: www.bundesverfassu...25_2bvf000311.html

                        Und nur weil die Direktkandidaten heute schwach sind, bedeutet dies nicht, dass das im Fall

                        • @DiMa:

                          Die Idee des Direktkandidaten stammt aus einer anderen Zeit. Anderes Parteiensystem und anderes Verhalten der Wähler. In Zeiten moderner Medien ist der Typ mit dem "Wahlkreisbüro" nur noch für wenige Ansprechpartner. Die meisten Wähler können nicht mal den Namen nennen.

                          Es wird also Zeit, anzuerkennen, dass ein antiquiertes System geändert werden muss.

                          PS:

                          2 a) ...nur in einem Umfang hinnehmbar, der den Grundcharakter der Wahl als einer Verhältniswahl nicht aufhebt."

    • @DiMa:

      Wäre keine Verhältniswahl mehr, eher Würfeln mit Ansage. Und jedenfalls der Schritt richtung 2-(oder 3-)Parteien-System, mindestens was das Regieren angeht.

      • @lesnmachtdumm:

        Im ersten Fall würde sich nichts ändern und im zweiten Fall wäre es halt eine Mischung aus Verhältnis- und Direktwahl. Das wäre nicht undemokratisch und die Verhältniswahl ist nicht zwingend vorgeschrieben.

        Die derzeitigen Verhältnisse mit so vielen Parteien im Bundestag und einer Drei-Parteien-Koalition sind eher abschreckend.