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Enteignungsverfahren im StraßenbauFreie Fahrt für Enteignungen

Eigentlich ist die FDP gegen Enteignung von Privateigentum. Außer, es geht um Autobahnen. 2022 gab es 127 Enteignungsverfahren.

Tempo beim Bau neuer Autobahnen – auch wenn das Enteignungen nach sich zieht Foto: Sabine Brose/Sorge/imago

Berlin taz | Im Jahr 2022 gab es in Deutschland 127 Enteignungsverfahren für den Bau von Autobahnen und Bundesstraßen. Das geht aus der Antwort des FDP-geführten Bundesverkehrsministerium auf eine taz-Anfrage hervor. 19 Verfahren wurden davon im vergangenen Jahr abgeschlossen, bei 108 Fällen handelt es sich um laufende Verfahren.

Spitzenreiter bei Enteignungsverfahren ist Sachsen mit 26, gefolgt von Sachsen-Anhalt mit 24 sowie Bayern und Brandenburg mit jeweils 15. Auf die vier Bundesländer entfallen somit 63 Prozent aller Enteignungsverfahren. Keine fanden statt in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg. In Berlin laufen aktuell 4 Enteignungsverfahren.

In Nordrhein-Westfalen gab es 2022 insgesamt 11 Verfahren, davon laufen noch 10. Zudem sei dort die „Durchführung von 10 neuen Verfahren absehbar“, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium. Rechnet man diese dazu, würde NRW mit 20 Enteignungsverfahren in die Top 3 aufrücken.

„Für Autobahnen wird noch immer alles geopfert“, kritisierte Stefan Gelbhaar, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. „Ob Bauern Äcker und Felder genommen oder Wohnhäuser und Gewerbe vernichtet werden – alles scheint untergeordnet, um dieser surrealen Betonsucht in der Verwaltung weiter frönen zu können“, so Gelbhaar. Er verwies zudem auf die Berliner Enteignungsdebatte von großen Wohnungsunternehmen: „Wo in Berlin gejault wird, läuft in Sachen Straße ohne auch nur ein Zucken jede Enteignung durch.“

Ähnlich sieht es Linken-Politikerin Caren Lay: „Wenn Enteignungen für den Straßenbau möglich sind, muss auch die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne möglich sein“, sagte die wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion der Linken im Bundestag. Im Gegensatz zu mehr Autobahnen erhöhe „ein großer öffentlicher Wohnungssektor das Gemeinwohl“.

„Zum Wohle der Allgemeinheit“

Laut Artikel 14 des Grundgesetzes sind Enteignungen zulässig, allerdings nur „zum Wohle der Allgemeinheit“. Zudem muss „Art und Ausmaß der Entschädigung“ geregelt sein. Enteignungen für den Bau von Autobahnen und Bundesfernstraßen werden mit dem Paragrafen 19 des Bundesfernstraßengesetzes begründet. Darin heißt es: „Die Enteignung ist zulässig, soweit sie zur Unterhaltung oder Ausführung eines nach § 17 Absatz 1 festgestellten oder genehmigten Bauvorhabens notwendig ist.“

Zu einem Enteignungsverfahren kommt es nur, wenn im Vorfeld keine einvernehmliche Einigung mit Grund­stücks­ei­gen­tü­me­r*in­nen erzielt werden kann. Laut Bundesverkehrsministerium bemessen sich die Entschädigungssummen „nach dem jeweiligen Verkehrswert des zu enteignenden Grundstücks“. Diese würden in der Regel während des Verfahrens „mittels Verkehrswertgutachten“ ermittelt. Die tatsächlichen Entschädigungssummen nannte das Ministerium nicht.

In der Ampelregierung gibt es seit Wochen Streit um Planungsbeschleunigung im Verkehr. Während nach Vorstellung der Grünen vor allem der Ausbau klimafreundlicher Infrastruktur oder die Sanierung maroder Brücken beschleunigt werden soll, möchte der liberale Verkehrsminister Volker Wissing, dass auch beim Bau neuer Autobahnen mehr Tempo gemacht wird – auch wenn das Enteignungen nach sich zieht. Während sich die FDP ansonsten vehement gegen Enteignungen von Privateigentum stemmt, hat sie beim Straßenbau damit offenkundig keine großen Probleme. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Bernd Reuther, wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern.

Wenn es um die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen geht, zeigt sich die FDP weniger zurückhaltend. So forderte Parteichef Christian Linder 2019 anlässlich des Berliner Mietenvolksbegehrens, den Vergesellschaftungsartikel 15 aus dem Grundgesetz zu streichen. Der passe nicht zur sozialen Marktwirtschaft. „Ihn abzuschaffen, wäre ein Beitrag zum sozialen Frieden und würde die Debatte wieder auf das Wesentliche lenken“, so Lindner damals. Der Berliner FDP-Landespolitiker Björn Jotzo forderte im vergangenen Jahr ein „sofortiges Ende der linken Enteignungsfantasien“.

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9 Kommentare

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  • In Frankfurt wurden für den Ausbau der Main-Waser-Bahn 25 Enteignungen auf einer Strecke von gerade mal 13 Kilometern durchgeführt.

  • Der angeführte Vergleich ist vollkommen falsch und unsachlich.

    Bei Enteignungen im Zusammenhang mit dem Straßenbau wird das Grundstück benötigt, um etwas anderes darauf zu errichten.

    Bei Enteignungen im Zusammenhang mit der Vergesellschaftungsdebatte geht es lediglich darum, jemandem etwas wegzunehmen und es dafür jemandem anderen zu geben.

    • @DiMa:

      Sie sehen es von der schlichten Seite: "Der Markt wird es richten".



      Einen Mastdarmendprodukt tut er.



      Der sogenannte Markt verschärft alle Ungerechtigkeiten.

      • @LeKikerikrit:

        Lediglich der angeführte Vergleich entspricht dem von Ihnen angeführten "Mastdarmendprodukt".

        Übrigens Kot entsteht nicht im Mastdarm. Dieser dient lediglich der Speicherung bis zum nächsten Toilettengang und wird teilweise auch in anderem Kontext verwendet. Wer sich um solche Feinheiten nicht kümmert, der erkennt auch nicht, dass der im Artikel genannte Vergleich einfach falsch ist und allenfalls populistischen Zwecken dient.

  • Von 127 Enteignungsverfahren sind 108 nicht abgeschlossen. Für einen Bauern ist das gut. Er kann sein Feld weiter bewirtschaften und wenn er am Ende verliert, wird er zum Marktwert entschädigt. Bei den Berliner Wohnungen werden weder Alt- noch Neu-Eigentümer investieren solange das Verfahren läuft, weil niemand weiß, wem es am Ende zugesprochen wird. Und wenn dann doch zum Marktwert entschädigt werden muss, bleibt auch nichts zum Investieren übrig.



    Kürzlich wurde berichtet, dass Berlin in den letzten ca. 5 Jahren weniger Sozialwohnungen gebaut hat als Hamburg. Bei der doppelten Einwohnerzahl. Die Berliner Politiker sollten ihre Kraft in mehr Neubau stecken.

  • Danke. Kann man genüsslich der *AAAH Enteignung is Kommunismus*-Fraktion um die Ohren hauen :)

  • Es ist ein Jammer. Es gab mal eine FDP die Prinzipien verkörpert hat. Die Freiheit und Bürgerrechte hochhielt und sich als Partei der Verfassung bezeichnete..

    Aber das ist Geschichte.

    Heute tönt die FDP davon, der Markt wird alles regeln...allerdings nur so lange es ihrer Klientel entgegen kommt...wenn nicht, führt man lieber einen Tankrabatt ein..

    Auch die Verfassung war der FDP mal heilig. Heute muß man feststellen: wenn es um Klimaschutz oder Erbrecht geht, findet die FDP die Verfassung dann doch nicht so wichtig..

    Dieses Schema setzt sich nun mit der Enteignungsthematik fort.

    Man muss sich also ernsthaft fragen ob diese FDP überhaupt noch Prinzipien und Werte verkörpert...oder ob der Rest dieser ehemals stolzen Partei heute nur noch für die Partikularinteressen ihrer Klientel steht..die offenbar meint das Recht zu haben, sich maßlos bereichern zu dürfen, für freie Fahrt ihrer Luxusmobile zu sorgen und sich auch sonst über alle anderen (Interessen) hinweg setzen zu dürfen..

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Vielleicht sollte Hr Gelbhaar dann mal ein klärendes Gespräch mit seinen "grünen" Parteikollegen in Hessen, BW und NRW führen.



    Die haben bisher noch jede Autobahn durchgewinkt, Forste dafür abgeholzt und Aktivisten drangsalieren lassen.



    Da wo die Grünen Macht zur Veränderung hätten, lassen sie nämlich aus Rücksicht auf den Koalitionspartner alles zu.

  • Den Sinn von "noch mehr Autobahnen" verstehe ich ohnehin nicht. Sollte der Trend nicht hin zu weniger physischer Mobilität und zu mehr "Remote-Arbeit" gehen? Wie war das nochmal mit den Klimazielen?