Postzustellung und Digitalisierung: Ich hasse Briefe
Briefe nerven hart, 90 Prozent landen im Müll und der Rest ließe sich auch digital regeln. Stoppt den Papiermüllwahnsinn.
Ich hasse Briefe. 90 Prozent davon landen bei mir nach dem Öffnen direkt im Mülleimer: Werbung für Möbel Höffner, der 5-Euro-Gutschein für den Weinversand, Bettelbriefe von Brot für die Welt. Den vermeintlich relevanten Rest staple ich schlecht gelaunt auf dem Schreibtisch. Alle sechs Monate werden diese schrecklich verknitterten Papierberge dann in einer sonntäglichen Ordnungswahnaktion gelocht und in graue Leitz-Ordner sortiert, um dort für immer zu verstauben.
Briefe nerven nur. Oder wann haben Sie den letzten Brief bekommen, der wirklich alternativlos war? Den also – in einer modernen Welt – nicht eine Mail oder eine App hätte ersetzen können? Ich erinnere mich nicht.
Rechnungen, Steuerbescheide, Mieterhöhung. Bankauszüge, der neue Stromvertrag, die Einladung zur Wahl, die Gehaltsabrechnung, die Nebenkostenabrechnung. Schickt eine Mail! Oder schickt's in die App, die es bei uns noch nicht gibt. Im Gegensatz zu Ländern wie Estland oder der Ukraine, wo der ganze Staat schon jetzt in eine App passt.
Wird ein Land ernsthaft digitalisiert, nimmt die Briefmenge rapide ab. In Dänemark wurde 2014 ein Gesetz zur „Digitalen Post“ eingeführt, das die Kommunikation zwischen Bürgern und Behörden revolutioniert hat. Das Briefaufkommen ging in sechs Jahren um 65 Prozent zurück, in Deutschland in derselben Zeit nur um 23 Prozent.
Einmal pro Woche reicht
Es wird immer noch viel zu viel in Papierform verschickt. Gerade gab es bei der Post einen dreitägigen Warnstreik. Die rund drei Millionen liegengebliebenen Briefe werde man zügig zustellen, versprach die Post. Drei Millionen Briefe! Klingt viel, ist aber wenig, denn pro Tag werden in Deutschland knapp 40 Millionen Briefe verschickt. 40 Millionen!
Die Post selbst überlegt, die flächendeckende Zustellung von Briefen und Paketen einzustellen. Laut der Welt erwägt der Konzern, aus der sogenannten Universaldienstleistung auszusteigen.
Bislang sieht die Grundversorgung vor, dass Briefe in ganz Deutschland mindestens ein Mal pro Werktag zugestellt werden. Stiege die Post aus, müsste der Bund die Zustellung neu ausschreiben. Und könnte sie gleich neu regeln.
Das ist doch eine Chance! Sicherlich gibt es Ausnahmen, in denen ein behördlicher Brief mit persönlicher Zustellung unumgänglich ist. Auch auf Postkarten will niemand verzichten. Und wenn der Patenonkel einmal im Jahr dem hübsch verzierten handgeschriebenen Brief Fotos beilegt, soll der natürlich ankommen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Dafür muss der Postmann aber nicht täglich klingeln beziehungsweise mit seinem E-Bike vor der Tür halten. Einmal die Woche reicht völlig aus. Alternativ könnten die Paketboten auch Briefe verteilen, wie es schon jetzt in vielen Regionen geschieht.
Käme die Post nur noch ein Mal die Woche, würde hoffentlich auch das absurde Volumen an Werbepost abnehmen. Wie viel CO2-Ausstoß und Papiermüll wir vermeiden könnten! Allein 50 Kilogramm Werbepost landen pro Jahr in jedem deutschen Privathaushalt.
Und klar, es gibt da noch einiges zu bedenken. Was passiert in einem digitalisierten Staat mit den Menschen, die mit Smartphones und E-Mails nicht umgehen können oder nicht umgehen wollen? Wie die Arbeitsplätze der PostbotInnen retten? Und wie das Briefgeheimnis und den Datenschutz in der digitalen Welt?
Nun, ich kann hier auch nicht alles lösen. Deshalb weiter tonnenweise Papiermüll herumzutransportieren, ist aber auch keine Lösung. Hauptsache, Deutschland digitalisiert sich endlich. Habe ich Sie überzeugt? Schreiben Sie mir eine Mail. Paul Wrusch
Leser*innenkommentare
nutzer
niemand ungefragt Newsletter , Werbemails etc. bekommen zumindest theoretisch....
Das ließe sich auch bei Briefen leicht regeln.
nutzer
@nutzer das sollte eigentlich heißen:
rechtlich darf niemand ungefragt Newsletter , Werbemails etc. bekommen zumindest theoretisch....
Das ließe sich auch bei Briefen leicht regeln.
LittleRedRooster
Wenn Sie glauben dass das Ganze ein ausschließliches Problem des analogen Briefes sei, dann sollten Sie mal wieder einen Blick in ihren Spamordner werfen...
Es gäbe eigentlich eine ganze Reihe von Möglichkeiten sich vor unerwünschter Werbepost zu schützen:
Die werbungsabweisenden Aufkleber auf dem Briefkasten, die Robinsonliste und dann noch die harte Tour für ganz besonders anhängliche Belästiger: Einfach mit "Annahme verweigert" und dem Vermerk "Unfrei zurück an den Absender" in den nächsten Postkasten werfen. Dann hat der unliebsame Absender das Rückporto zu tragen. Das macht dieser zwar manchmal eine überschaubare Zeit lang mit, verschwindet aber dann doch nachhaltig aus ihrem Postkasten. In der Regel reicht aber schon der Aufkleber für ein sehr spürbares Nachlassen der Werbeflut.
Das Ganze ist möglicherweise einfach ein Problem der Selbstorganisation. Post ein halbes Jahr auf dem Schreibtisch zu stapeln und dann in Leitz-Ordner abzuheften... Naja... Dann hat man halt schon auch mehrere Mahnungen und Erinnerungen mit dabei für Rechnungen die man bis dahin einfach ignoriert hat.
Zuletzt machen Sie sich dann auch mal bewußt welch gigantischen CO2-Ausstoß der Energieverbrauch des Internets verursacht: In Deutschland sind das alleine für den Betrieb der Netze und Rechenzentren pro Jahr 13 Terawattstunden...
Evtl. Antworten bitte analog per Brief oder ein hübsches buntes Postkärtchen. Auf Letzteres bin ich besonders scharf.
Speicher3
@LittleRedRooster "Evtl. Antworten bitte analog per Brief oder ein hübsches buntes Postkärtchen. Auf Letzteres bin ich besonders scharf."
Herzlich gerne. Es bräuchte nun nur noch Ihre Postanschrift.
659554 (Profil gelöscht)
Gast
Ach ja, am Werbemüll ist also der Brief schuld. Und nicht unsere Sch.. .kapitalistische Wachstum-auf-Teufel-komm-raus-gesellschaft...
Schon mal was vom Stromverbracuh der Datacentres gehört ? Und vom unfassbaren physischen Ressourcenverbrauch der angeblich so virtuellen digitalen Welt.
14397 (Profil gelöscht)
Gast
Na, wenn sie Briefe tatsächlich so hassen, dann wird hier auch kein noch so richtiges Argument etwas ausrichten können. Und mit Hass werden sie auch nur die allerwenigsten von was-auch-immer überzeugen können. Aber wenn sie schon mit Gefühlen argumentieren:
Ich wünsch ihnen, das sie sich unsterblich verlieben und ihr/e Angebetete/r schreibt ihnen Liebesbriefe, mit der Hand, mit einer Träne der Sehnsucht auf dem Papier, mit dem Duft der/des Angebeteten...
und nein, das lässt sich nicht digital simulieren, auch nicht mit Emojis.
Frau Flieder
Eintrag in die Robinsonliste schützt vor Werbepost.
Ansonsten die Briefzustellungsfirmen mit Mails zumailen, bis sie aufgeben.
Funktioniert leider bei Behörden nicht :-)
Bunte Kuh
Sie sollten als ersten Schritt wenigtens die Samstagszustellung einstellen. Also zumindest am Wochenende sollte man doch mal von Rechnungen, Mahnungen und Vermittlungsvorschlägen verschon bleiben dürfen.
Deep South
"Was passiert in einem digitalisierten Staat mit den Menschen, die mit Smartphones und E-Mails nicht umgehen können oder nicht umgehen wollen? Wie die Arbeitsplätze der PostbotInnen retten? Und wie das Briefgeheimnis und den Datenschutz in der digitalen Welt?
Nun, ich kann hier auch nicht alles lösen"
Im Prinzip les ich hier gar keine Lösungen. Sondern nur Forderung nach Aktionismus. Eben ohne Lösungen für die Probleme anzubieten. Weder für die oben zitierten, noch für echten Klimaschutz, noch für die Menschen, die bei der Post arbeiten.
www.oekotest.de/fr...uete_600843_1.html
Ansetzen würd ich erstmal bei ungebetener Werbepost. Die macht nämlich einen Großteil im Briefkasten aus und wandert zum Großteil direkt in den Müll.
Bunte Kuh
@Deep South ..und gegen Werbepost gibt es Aufkleber.
Bunte Kuh
@Deep South "Was passiert mit Menschen, die vor der Benutzung von Zügen Angst haben?"
Diese Frage gab es auch mal. Es ist alles eine Frage der Gewöhnung. Meine 80-jährige Mutter kommt schon jetzt mit ihrem Smartphone klar, da sehe ich also Hoffnung. Man sollte die Menschen nicht immer für "blöd" halten.
Deep South
@Bunte Kuh Die Frage hab ich ja nicht gestellt, sondern nur zitiert. Darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, dass die Email eben kein umweltfreundlicher Ersatz für die Post ist, dass web und eMail Verkehr mittlerweile einen der größten Posten beim CO2 Ausstoß ausmachen.
Und deshalb seh ich eben keinen Sinn, Fragen wie Briefgeheimnis, Datenschutz, soziale Teilhabe und rund 120.000 Arbeitsplätze über Board zu werfen.
Bunte Kuh
@Deep South Ok. Vielleicht sollte man es mit der Kommunikation halten wie mit der Mobilität und das Sparsamkeitsprinzip achten.