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Protestbewegung in IranDie Alternative ist da

Immer wieder stößt unsere Autorin in der Berichterstattung über Iran auf Narrative des islamischen Regimes. Mit diesen, findet sie, gehört aufgeräumt.

Zigtausende unterstützen auf einer Demonstration in Berlin die iranische Protestbewegung Foto: Fritz Engel

In ihrem Kommentar in der vergangenen Woche in der taz hat die Autorin Charlotte Wiedemann unter dem Titel „Keine spontane Heilung“ dargelegt, weshalb der Sturz des Regimes in Iran ein beängstigendes politisches Vakuum hinterlassen würde: „Weder im Inland noch im Ausland ist eine demokratische Kraft erkennbar, die in Teheran Verantwortung übernehmen könnte, wenn das jetzige System implodiert“, schreibt sie. Das Land, so Wiede­manns Furcht, gehe entweder einer Militärdiktatur oder dem Staatszerfall entgegen.

Mit ihrer Feststellung, ein politisches Folgekonzept sei noch nicht entwickelt, mag Wiedemann recht haben. Und doch: Die Bevölkerung, die Veränderung fordert und bereit ist, dafür zu kämpfen, ist da. Wenn auch ungewollt, übernimmt Wiedemann mit ihrer Argumentation, die der iranischen Bevölkerung eine Mitschuld an der de­sas­trö­sen Lage des Landes gibt, iranische Staatspropaganda. Und damit steht sie nicht allein. Immer wieder werden von progressiven Menschen im Westen unwissentlich Narrative der islamischen Führung verbreitet.

Angebliche Alternativlosigkeit

Da ist zum Beispiel die Erzählung von der angeblichen Alternativlosigkeit zur Islamischen Republik, die als Angstmacher wirkt. Was westliche Be­ob­ach­te­r*in­nen oft zu vergessen scheinen: Der Staatsapparat selbst verhindert systematisch die Bildung einer Opposition in Iran, indem er jeden Schritt zur demokratischen Selbstorganisierung kriminalisiert. Es gibt unzählige politische Gefangene in Iran, Männer wie Frauen, jung und alt, die nur deshalb inhaftiert wurden, weil sie versucht haben, sich zu organisieren.

Die Veterinärstudentin und Aktivistin Sepideh Gholian, die Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin Nasrin Sotudeh, die Vizepräsidentin des Defenders of Human Rights Center Narges Mohammadi, der Blogger Hossein Ronagh … Die Liste ließe sich immer weiter verlängern, vor allem mit den vielen Namenlosen, die täglich in den Gefängnissen landen, verschleppt oder getötet werden.

Alle sozialen Gruppen, die versuchen sich zusammenzuschließen, trifft diese Repression. Das sind nicht nur Frauen, sondern auch ethnische Minderheiten, religiöse Minderheiten wie Bahais, sexuelle und Gen­der­minder­heiten, Ar­bei­te­r*in­nen, links und liberal orien­tier­te politische Ak­ti­vis­t*in­nen und Fe­mi­nis­t*in­nen. Auch diese Liste ist lang.

Hinzu kommt, dass Betroffene sogar aus den Gefängnissen heraus Widerstand leisten und der iranische Staat auch jede aufkeimende Opposition im Ausland mit unterschiedlichen Vorwürfen zu verhindern sucht. Zu diesen Vorwürfen gehören zum Beispiel: die Zugehörigkeit oder Nähe zu einer terroristischen Organisation, Spio­na­ge, das Befürworten eines Kriegs und Korruption. Das Fehlen an politischen Alternativen unter diesen Umständen der unorganisierten Opposition anzulasten, kommt einer Verschiebung des Diskurses gleich.

Fragwürdige Schuldaufteilung

Gleiches gilt für den Versuch einer Schuldaufteilung zwischen Bevölkerung und Staat. Denn der iranische Staat funk­tio­niert wie eine Mafiabande und hat sich als militarisierte Diktatur in der ­Region etabliert. Diese Position hat das Regime in den vergangenen 43 Jahren durch die systematische „Säuberung“ des Landes von In­tel­lek­tuel­len und politischen Gefangenen gefestigt. Andersdenkende wurden mundtot gemacht.

Dabei gaben die iranischen Machthaber stets vor, sich auf eine große soziale Basis stützen zu können: Die Mehrheit der Ira­ne­r*in­nen sei demnach für ihre Politik mitverantwortlich.

Natürlich war die iranische Mehrheitsgesellschaft Teil der Islamischen Revolution. Aber der Staat hat seither jegliche organische gesellschaftliche Entwicklung strikt verhindert. Eine Entwicklung hin zu einem modernen Land hat das Regime längst nicht mehr vor, wenn es das überhaupt je vorgesehen hatte. So richtig es sein mag, die Schuldfrage zu stellen, sie zu diskutieren, ist trotzdem Teil der staatlichen Propaganda in Iran.

Gleiches gilt für die Behauptung, wonach der Sturz der islamischen Führung Iran zu destabilisieren drohe. Die Mär von der angeblichen Destabilisierung des Landes diente bereits als Grundlage für Todesurteile gegen oppositionelle Ira­ne­r*innen. Falsch ist sie allein deshalb, weil mit ihr die Lage des Landes zunächst einmal für stabil erklärt wird – trotz der Korruption, der desaströsen Wirtschaftslage und Menschenrechtssituation.

Falsch ist der Vorwurf auch, weil er die augenscheinliche Stabilität des Staats mit der Stabilität der Gesellschaft gleichsetzt. Politischen Gefangenen und Andersdenkenden, wie den nun Protestierenden, wird so vorgeworfen, sie seien diejenigen, die für die Labilität Irans verantwortlich seien – eine eindeutige Täter-Opfer-Umkehr.

Viele Ira­ne­r*in­nen sagen seit Jahren, welchen Preis sie für die Stabilität des Regimes zahlen: dass sie unter permanenter Angst leben müssen. Ein stabiler Staat? Das ist der Staat, der durch seine militärische Abenteuerpolitik nicht nur Iran, sondern die gesamte Region destabilisiert.

Mein Eindruck ist: Kom­men­ta­to­r*in­nen im Westen, die sich als links verstehen, haben sich all die Jahre damit abgefunden, dass die Ira­ne­r*in­nen keinen Ausweg aus ihrer unmöglichen Situation finden. Sicher, der Kontakt mit den Menschen in Iran wird vom Regime sehr stark erschwert, da es die eigene Bevölkerung nach Kräften versucht von der Außenwelt abzuschotten.

Hinzu kommt, dass viele der westlichen Be­ob­ach­te­r*in­nen mangels Sprache und Zugang weder die Propagandazeitungen des Staats noch die Texte der oppositionellen Ak­teu­r*in­nen lesen können. Das ist ein Grund, weshalb die iranische Führung ihre Ideologie nach wie vor im Westen verbreiten kann.

Ira­ne­r*in­nen, die heute auf der Straße sind, fordern uns im Westen dazu auf, der Propaganda des iranischen Regimes zu widersprechen. Tun wir es!

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15 Kommentare

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  • Während alle Welt den mutigen Frauen im Iran Sympathie zollt und Unterstützung zusagt, hören wir von unserer Außenministerin Annalena Baerbock, die sich "feministische Außenpolitik" auf die Fahnen geschrieben hat, in einer Rede zum Bundestag am 30. September nur dies:

    "Bei allem Respekt vor kulturellen und religiösen Unterschieden. Wenn die Polizei wie es scheint, eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das nichts, aber auch gar nichts, mit Religion oder Kultur zu tun. Dann ist das schlicht ein entsetzliches Verbrechen."

    Danke für diese Einsicht, Frau Baerbock. Es zeigt nur wieder mal deutlich, was von den aktuellen Grünen zu halten ist - nämlich gar nichts.

  • Ich bedanke mich bei Mina Khani für diesen Artikel. Über die gegenteiligen Kommentare kann ich mich nur wundern. Der Sturz einer brutalen Regierung ist deshalb schlecht, weil diese Regierung mit ihrer Brutalität Widerstand bisher verhindert hat? Kann man das auf russische und chinesische Bürgerrechtler auch anwenden? Sind die südamerikanischen Diktaturen der 1970er Jahre nun gerechtfertigt?

    Das ist schon eine sehr verzerrte Sicht der Realtät. Und zu Frau Wiedemann muss man sagen, dass ihre Symphatie für den Islam als Religion ihr politisches Urteilsvermögen sehr beeinträchtigt. Es ist immer wieder erstaunlich, in welcher Weise sie westliche Staaten für Dinge verurteilt, die sie in islamischen Staaten verteidigt.

    Den iranischen Demonstranten und Brügerrechtlern wünsche ich alles Gute und ausdrücklich auch Gottes Segen. Denn weder der biblische noch der koranische Gott stehen as der Seite der Unterdrücker und Tyrannen.

  • Egal was nach dieser Mullahdiktatur käme wäre nur der Übergang zu etwas Neuem. Wenn sich erst eine neue politische Elite herausbilden muss, so brauchen sie dafür das Umfeld. Ein Umbruch wäre das passende Umfeld.



    Abgesehen davon würde jeder Umbruch auch die Ausenpolitik des Iran erstmal lähmen. Somit hätte Jemen erstmals eine Chance auf Frieden, wie auch immer Jemen dann wird. Der Krieg würde dort enden. In Tunesien und Lybien würden sie nicht mehr zündeln.



    Wir sollten uns nicht nur um die iranische Bevölkerung sorgen was nach den Mullahs kommen könnte. Es würde zu einer sofortige Entspannung der Region führen. Wenn auch zu Gunsten der Saudis.



    Ergo, egal was kommt, Wandel ist gut.

  • Nur weil der iranische Staat jede demokratische Selbstorganisation erfolgreich verhindert - was wohl niemand zu bestreiten mag - werden die von Frau Wiedmann vorgetragenen Argumente nicht weniger gewichtig und stichhaltig. Dies hat auch nichts mit irgendeiner wie auch immer gearteten Schuld oder Schuldzuweisung zu tun.

    Und das pure Auflisten von irgendwelchen Aktivisten vermag nicht darüber hinwegtäuschen, dass derzeit keine alternativen Führungsfiguren sichtbar sind.

    • @DiMa:

      Natürlich gibt es Alternativen! Mithilfe des Thronfolgers Reza Pahlavi und einer aktiven Zivilgesellschaft im In- und Ausland wird es möglich sein, eine parlamentarische Monarchie nach schwedischem und britischem Vorbild zu iniziieren, in der die iranische Bevölkerung faire und demokratische Wahlen hat.

    • @DiMa:

      Aber wenn man das als Argument gelten lässt, wird sich an der desolaten Lage nie etwas ändern.

      • @Herma Huhn:

        Nein, dass muss nicht sein. Nur sind die Aussichten ohne entsprechendes Personal halt sehr viel schlechter. Das kann man auch so benennen.

  • Danke für den sehr guten Beitrag von Mina Khani. Ich bin auch davon überzeugt, dass es jede Menge kluge Köpfe gibt, die in der Lage sind, einen neuen Staat Iran zu bauen.

  • Ohne Sticheleien gegen westliche Linke geht es offenbar nicht mehr, aber wie dem auch sei: der Kommentar macht ganz wesentliche Fehler, z.B. wenn er darauf hinweist, dass der iranische Staat selbst die Bildung einer organisierten Opposition verhindert; nicht dasss das falsch wäre, es ändert aber nichts an dem von Weidemann angesprochenen Problem - nämlich dem Fehlen einer solchen schlagkräftigen Organisation. Genauso falsch ist der Gegensatz zwischen Regime und Bevölkerung; dass ist natürlich ein Topos, der gerne bedient wird, aber "das Regime" besteht ja nicht aus Außerirdischen - der Klerus, der Sicherheitsapparat und die konservativen Anhänger der islamischen Republik sind ja selbst Iraner. Und gerade wenn man die Sprache spricht und das Land gut kennt, stellt man fest, dass dort eben nicht nur prowestliche Intellektuelle leben, sondern auch und in nicht zu kleiner Zahl fromme Muslime, die einen religiösen Staat wollen oder (auch so eine Nuance) an ihm keinen Anstoß nehmen. Die Regime vs. Volk-Rhetorik verdeckt solche realen Bruchlinien und schadet daher der Opposition eher - Luftschlösser sind keine gute Grundlage für Widerstand. Es stimmt: man sollte nicht alles glauben, was offizielle iranische Quellen verlautbaren; den Narrativen der Opposition sollte man alllerdings genauso kritisch begegnen - zumindest dann, wenn man sich tatsächlich für iranische Politik, Gesellschaft und Geschichte jenseits medialer Feindbilder interessiert.

    • @O.F.:

      Sie haben so recht ... leider, muss ich allerdings dazu sagen.

    • @O.F.:

      Ihr Fazit also: Regime soweit ganz okay oder zumindest das kleinere Übel. Das brave Volk will halt keine liberale Demokratie. Stimmt das wirklich so?

      • @Simon Hacker:

        "Regime soweit ganz okay" - das schreibt O.F. doch überhaupt nicht!!! Sondern weist darauf hin, dass im Iran nicht "das Regime" "dem Volk" gegenübersteht, sondern es durchaus auch eine Machtbasis in der Bevölkerung gibt.

      • @Simon Hacker:

        Dazu muss man nicht erst in den Iran reisen, um festzustellen, dass sich die liberale Demokratie allerorten auf dem Rückzug befindet. Da reicht ein Blick in die europäische Nachbarschaft ... oder auch in die Hochburgen der AfD hierzulande. Sprechen Sie mal mit den Leuten.



        Und was den Iran betrifft: das schaffen die Iraner schon selbst, ganz ohne fremde Einmischung ... sie haben in der Vergangenheit genug Mut und Widerstandsgeist bewiesen, ihre jeweiligen Potentaten vom Thron zu stoßen. Ganz sicher wird man sich dort nicht nur an 1979, sondern auch an 1953 erinnern.



        www.dw.com/de/1953...okratie/a-17008768

      • @Simon Hacker:

        Ich muss Sie hier auch korrigieren Herr Hacker: das Regime ist das Volk. Dann kann ihnen O.F. auch wieder zustimmen. Wenn es nicht so bitter wäre für die Iraner könnte man glatt drüber lachen. Über die geistigen Verrenkungen O.F.s das Regime zu verteidigen.

      • @Simon Hacker:

        Eigentlich habe ich mir vorgenommen, auf allzu offensichtliches Nichtverstehenwollen nicht mehr zu reagieren, aber sei es drum: nein, das habe ich so nicht geschrieben und das ist auch nicht mein Fazit. Ich habe lediglih darauf hingewiesen, dass Iran nicht nur aus Liberalen besteht (und einem wundersam trotzdem stabilen Regime). Es gibt dort ganz verschiedene Meinungen: Liberale, diverse Schattierungen von Konservativen, Unpolitische etc. Was "okay" ist, müssen die Iraner unter sich klären; aber nur oppositionelle Stimmen zur Kenntnis zu nehmen und diese mit "dem Volk" zu identifizieren, ist einfach realitätsfern (und manchmal auch schlechte Propaganda).