EU nach der Italien-Wahl: Katerstimmung nach Rechtsrutsch
Jubel im rechten Lager, Empörung bei Grünen und SPD: Selten fielen Reaktionen der Europapolitiker so gegensätzlich aus wie nach der Wahl in Italien.
Besonders negativ fiel die Reaktion bei den Sozialdemokraten aus. „Mit der Schützenhilfe der Konservativen gewinnen die Rechtsextremen Fratelli d’Italia die Parlamentswahlen“, twitterte die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD). „Das werden schwere Zeiten für Europa“, warnt sie.
Auch die Grünen reagierten empört. Die Wahl in Italien markiere einen Dammbruch, sagte die Grünen-Politikerin Alexandra Geese, die lange in Italien gelebt hat. Der Rechtsrutsch in Rom sei „kein Ausrutscher“. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, lasse eine „klare Brandmauer“ vermissen.
Weber hatte sich im Wahlkampf für den italienischen Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi stark gemacht. Berlusconi will nun eine Koalition mit den Postfaschisten von Fratelli d’Italia eingehen – ein in der EU einmaliger Vorgang. Bisher galt die Regel, dass demokratische Parteien kein Bündnis mit Rechtsextremen schließen.
EU-Skeptiker fordern einen Kurswechsel in ganz Europa
Die Parteien der Mitte seien mitverantwortlich für den Rechtsruck in Italien, twitterte Linken-Politiker Martin Schirdewan. Die jahrelange Kürzungspolitik habe den Rechten in die Hände gespielt, so der Co-Parteichef.
Anders klingt es im konservativen und rechten Lager. Michael Gahler, außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, erklärte, die Forza Italia um Berlusconi stehe für Verlässlichkeit: „Ich habe die Forza Italia viele Jahre lang im Parlament erlebt und insbesondere mit ihren führenden Leuten wie Antonio Tajani, der zehn Jahre Kommissar war und zweieinhalb Jahre Parlamentspräsident. Mit ihm fahren wir einen Kurs der Mitte.“
Allerdings sehen das Berlusconis künftige Koalitionspartner anders. EU-Skeptiker, Rechtspopulisten und Nationalisten jubeln – und fordern einen Kurswechsel nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa. Die AfD, der Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen in Frankreich und die PiS-Regierung in Polen wittern Morgenluft.
„Wir jubeln mit Italien“, twitterte die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch. Mit einem Seitenhieb auf die Wahlen in Schweden, bei denen die Rechte ebenfalls erfolgreich war, schrieb sie: „Schweden im Norden, Italien im Süden: Linke Regierungen sind so was von gestern.“
Brüssel weist Mitschuld an Rechtsruck zurück
Auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gratulierte. Die französische RN-Führerin Marine Le Pen schrieb, dass die designierte italienische Regierungschefin Giorgia Meloni „den Drohungen einer antidemokratischen und arroganten EU“ standgehalten habe.
Le Pen reagierte damit auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die vor der Wahl erklärt hatte, die EU könne gegen Italien zur Not dieselben „Instrumente“ einsetzen wie gegen Ungarn und Polen. In diesen Ländern hatte Brüssel Zahlungen aus dem EU-Budget blockiert, um Verstöße gegen den Rechtsstaat zu ahnden.
Dies sei jedoch, anders als von den Rechten behauptet, nicht als Einmischung in die Wahlen gemeint, stellte von der Leyens Sprecher Eric Mamer klar. Brüssel respektiere selbstverständlich das Wahlergebnis in Rom. Eine Mitschuld am Rechtsruck wies Mamer zurück. Die EU habe Italien mit Milliarden im Kampf gegen die Folgen der Coronakrise unterstützt, betonte er.
Unklar ist, ob das auch künftig so bleibt. Meloni will die Konditionen für den Corona-Wiederaufbaufonds nachverhandeln. Zudem hat sie eine harte Hand gegen Mittelmeermigranten angekündigt. „Das Thema Migration wird nun noch schwieriger“, warnt Grünen-Politikerin Geese. Auch der „Green Deal“ werde sich mit einer Rechtsregierung in Rom schwieriger umsetzen lassen.
Sorgen bereiten Reizthemen wie Russland
Die größten Sorgen machen sich die EU-Anhänger in Brüssel aber bei den beiden Reizthemen Rechtsstaat und Russland. Die EU-Kommission hat gerade erst die Kürzung von 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Budget an Ungarn vorgeschlagen. Für das Verfahren nach dem sogenannten Rechtsstaatsmechanismus ist jedoch eine qualifizierte Mehrheit im Ministerrat nötig. Wenn sich Italien gemeinsam mit Ungarn und Polen querstellt, könnte es eng werden.
Auch der kompromisslose Kurs gegen Russland steht infrage. Berlusconi und der italienische Rechtspopulist Matteo Salvini pflegen gute Beziehungen zu Kremlchef Wladimir Putin. Salvini hat auch die wegen des Ukrainekriegs verhängten EU-Sanktionen gegen Russland infrage gestellt.
Allerdings gilt Meloni nicht als Russland-freundlich. Und auf Meloni kommt es nach der Wahl in Italien an. Selbst wenn sie gemeinsam mit Ungarn und Polen auf Anti-EU-Kurs gehen sollte, gäbe es in der Russlandpolitik keine geschlossene Front. Denn Polen steht, anders als Ungarn, hundertprozentig hinter der harten EU-Linie.
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