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Gefahren für die kritische InfrastrukturWillkommen im hybriden Krieg

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Nach der Zerstörung der Gasleitungen in der Ostsee dämmert es dem Westen: Lebenswichtige Adern wie Pipelines oder Internetkabel sind schlecht geschützt.

Gaslecks in der Ostsee, verursacht durch Sabotage der Nordstream-Pipelines. Auch Unterseewasserkabel sind in Gefahr Foto: Rune Dyrholm/dpa

R ussland setzt die Zeichen für die nächste Eskalationsstufe im Angriffskrieg auf die Ukraine. Scheinreferenden, Abstimmungen unter Gewaltandrohung, die Annexion besetzter Gebiete. Die Verschiebung der Grenzen der Ukraine wird in einer absurden Zeremonie fixiert. Und: Der Krieg zeigt erneut die Verletzlichkeit des Westens.

International werden die Folgen des Krieges in ihren feinsten Verästelungen offenbar jetzt erst den politischen Ent­schei­de­r:in­nen klar. Ein echtes Erweckungserlebnis. Jahrelang wurden technische wie energiepolitische Abhängigkeiten bewusst geschaffen. An einen doppelten Boden oder eine Exitstrategie hat keiner gedacht. Oder – so der ernüchternde Verdacht: Fallstricke wurden wissentlich eingepreist. Der Krieg trifft die EU, die globalisierte Welt an ihren neuralgischen Punkten.

Bestes Beispiel sind die vier Lecks an den beiden Ostsee-Pipelines. Noch ist unklar, wer für den mutmaßlichen Sabotageakt verantwortlich ist, vermutlich wird auch nie eine eindeutige Aufklärung möglich sein. Aber: Unsere kritische Infrastruktur ist in höchstem Maße anfällig. Vulnerabel – wie etwa Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kleinlaut zugeben muss. Und sie schiebt hinterher: Man müsse sich auf bisher nicht denkbare Szenarien vorbereiten.

Der Aufruhr über die ach so überraschende Erkenntnis ist groß. Hybride Kriegsführung ist kein Wortgeplänkel. Kein Begriff, den Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r:in­nen nutzen, um Kriegstheorien zu prüfen. Dieser Krieg zeigt in einer Finesse, dass Krieg nicht nur an den Frontlinien, Sol­da­t:in gegen Sol­da­t:in, stattfindet. Nein, gekämpft wird im digitalen Raum, in Meerestiefe, an den Pipelines. Wer auch immer zum Täterkreis gehört, hat mit der Sabotage ein schmerzliches Signal gesetzt.

Warnungen wurden überhört

In den Fokus rücken nun die Unterseewasserkabel, über die zu großen Teilen unsere globale Kommunikation läuft. Der Schutz auch dieser kritischen Infrastruktur wurde offenbar nicht mitgedacht. Jetzt folgt die bittere Einsicht, dass Gefahrenabwehr für die Leitungen kaum möglich ist. Größte Hürden sind das Gerangel um Zuständigkeiten und hochsensibles Gerät zur Überwachung. Die skandinavischen Länder, aber auch Geheimdienste warnten vor Attacken. Gehört wurden sie nicht. Auch das ist bitter.

Der Westen, auch die Bundesregierung, setzte bisher keine Priorität für das Thema. Ein Versäumnis, das auch auf eine falsch eingeschätzte Bedrohungslage zurückzuführen ist. Hier bedarf es einer dringenden Korrektur: Unsere kritische Infrastruktur, Basis für Wirtschaft, Kommunikation, unsere Gesellschaft, ist Ziel dieses Krieges.

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Tanja Tricarico
Ressort ausland
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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19 Kommentare

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  • Wie wahrscheinlich ist es, dass



    500 kg TNT-Ladungen per Drohne



    an die Pipelines transportiert werden?

    Die meisten Drohnen können solche Lasten nicht stemmen.

    Außerdem wäre es mit Kanonen auf Spatzen geschossen, da die Leitungen unter 150 bar Druck standen und eine Wassersäule von 70 m mindestens noch auf diesen lastete.

    Wie wahrscheinlich ist es, dass von den hunderttausenden Munitionskörpern auf dem Meeresboden wenigstens einer detonierte. Ziemlich wahrscheinlich, denn diese Seeminen und Anti-U-Bootminen, Chemiewaffen uvm. stehen seit über 75 Jahren unter hohen Druck, korrosiven Verschleiß,



    und dann fahren dann auch tausende Tonnen schwere U-Boote auf Patrouille (siehe Russen-U-Boot-Sichtungen) dort umher und lösen Unterwasser-Druckwellen durch die schiere Wasserverdrängung aus.



    250 kg Bomben, 500 Kg Bomben sind da eher völlig normal für diese Weltkriegsbomben.



    Damit kann es auch unbeabsichtigt



    zur Detonation von Sprengstoffansammlungen gekommen sein, die dann die beiden Pipelines allein durch die Druckwellen zerstörten und es dann aufgrund der lokalen Überlastung an einer Stelle der Pipeline zu enormen Druckabfällen auf anderen Pipelineabschnitten gekommen ist, die dann wiederum zu neuen Zerstörungen führten. Beide Pipelines sind ja auch zum Teil so nah bei -einander, dass Explosionswirkungen der einen Pipeline auch zu zerstörerischen Druckwellenangriffen auf die andere führen könnten.

    Insofern kann dies auch wirklich ein Unfall sein durch den nicht touchierenden und nicht Torpedos abfeuernden U-Boot-Verkehr.

    Man baut keine Pipelines durch Munitionsversenkungsgebiete!



    Entsprechende Verfassungsbeschwerden wurden abgewiesen, wie bei vielen Bauprojekten der Merkel-Ära.



    Das ist dann das Ergebnis.



    Die Umweltkatastrophe war vorhersehbar und sie hätte noch dramatisch übler ausfallen können.



    Das Bundesverfassungsgericht war zu regierungsergeben und elitehörig.

  • Befindet sich jetzt Deutschland im Krieg mit Russland? Ich hoffe nicht. Hat Deutschland Krieg in Afghanistan geführt? Dem wurde vehement widersprochen Ein bisschen erinnert mich der Artikel an“ Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus. Am Vorabend des 1. Weltkrieges haben sich auch die Kommentare über Kriegsführung, gerechte Kriege, Vaterlandsverteidigung Zurückeroberung überschlagen, incl. Teilmobilmachung und Mobilmachung. Jetzt müssen wir auch noch über Hybride Kriegsführung Bescheid wissen. In der Presse werden werden die toten Russen gezählt und die Zahlen jeden Tag veröffentlicht, während Ukrainer scheinbar kugelfest sind und man nur die Zahlen der, von den Russen getöteten , Zivilisten erfährt. Sterben in diesem Krieg nur Ukrainische Zivilisten?

  • Die Schutzdiskussion geht in eine neue Runde. Wieder wird festgestellt, dass wir ungeschützt sind in dieser Welt. Die Folgen sind irrsinge Ausgaben und Anstrengungen den Schutz zu erhöhen. Das dieser Kampf nicht gewonnen werden kann und wir am Ende wieder schutzlos dastehen, ist absehbar. Also was läuft hier falsch?

  • Ein Grund mehr die AKWs schnellstmöglich herunterzufahren.

  • Nord Stream I + II führte vorbei an Polen und der Ukraine. Zwei Länder die sich nicht gerade als zuverlässige Partner erwiesen. Und nun so etwas. Wer hat denn den größten Nutzen aus so einem Schaden? Natürlich ist so eine Pipeline nicht zu 100% Überwachung, aber was wäre die Alternative?

    • @Genderer:

      Größten Nutzen? USA Qatar, Russland, Norwegen, Ukraine, Polen, Aglerien, Niger, Marokko, Iran, Azerbaijan, Turkmenistan, Israel, Türkei Kasachstan. All diese Länder wollen uns Gas verkaufen oder wollen nicht das Russland durch Nordstream Gas liefert und Russland will keine Vertragsstrafen zahlen. Motive führen zu einer Auswahl potenzieller Täter aber das ist ca. 1/4 der Länder weltweit die Gasvorkommen haben die sie uns potenziell verkaufen könnten.

      • @Machiavelli:

        Polen will uns Gas verkaufen? Witz komm raus 🤔

    • @Genderer:

      Beide Pipelines führen auch an Finnland, Südafrika oder Brasilien vorbei, oder verstehe ich den Kommentar nicht? Meinen Sie, die Ukraine grenzt an die Ostsee?

    • @Genderer:

      Deutlich verlässlicher als Russland allemal. Und da Russland über die Pipeline nicht liefern wollte kommen sie jetzt um die Schadensersatzklage rum.

      • @Machiavelli:

        Logo, würde gerne die Ukraine Gas aus Russland für die dortige Pipeline haben. Dumm ist nur, dass die Weiterleitung nicht so funktionierte, wie man sich das so vorstellte. Es gingen Unmengen von Gas auf der Strecke verloren. Irgendwer hat wohl abgezweigt.

    • @Genderer:

      Cui bono? Welchen Nutzen haben Polen oder die Ukraine? Jetzt und absehbar gar keinen, weil Deutschland jetzt und zumindest auch die nächsten Jahre kein russisches Gas über diese Pipelines kaufen wird. Also das nicht passieren wird, was der Grund für die Ablehnung von Nordstream I und II durch Polen und die Ukraine war. Wichtig ist, dass damit diese Pipelines gegenwärtig und für die absehbare Zukunft auch für Russland völlig nutzlos sind. Im Gegenteil sind aber die Anschläge auf Nordstream I und II für Russland jetzt vorteilhaft. Sie sind ein starkes russisches Signal an den Westen (und insbesondere Deutschland), dass mit einer solchen russischen Sabotage der Gasleitungen bspw. von Norwegen nach Deutschland zu rechnen ist. Erfolgreiche Anschläge auf diese Gaspipelines sind nämlich erstens kaum zu verhindern und würden zweitens sämtliche bisherigen Maßnahmen (zumindest) Deutschlands zur Energiesicherung über den kommenden Winter hinweg implodieren lassen. Mit extremen negativen Folgen für die privaten Haushalte und Unternehmen in Deutschland. Diese russische Drohung dürfte auf russischer Seite die Hoffnung begründen, so wenigstens ein (relatives) Wohlverhalten Deutschlands (keine Panzerlieferungen, Plädoyer für Verhandlungen) zu erzwingen.



      Dagegen helfen übrigens auch die 200 Milliarden Gaspreisbremse, die Wohngelderhöhung usw. überhaupt nicht. Die einzige mögliche Antwort der Bundesregierung wäre eine sofortige Entscheidung sämtliche Energiequellen in Deutschland schnellstmöglich zu aktivieren. Also alle verfügbaren Kernkraftwerke so schnell wie möglich wieder hochzufehren. Gleiches gilt dür Kohlekraftwerke.

      • @Sokrates76:

        Dass Russland an Nord Stream I + II Sabotage verübte glaube ich Ihnen nicht. Für Ihre Behauptungen können Sie sicherlich Beweise vorlegen. Dann tun Sie es bitte.

  • Über hybride Kriegsführung, Eskalationsdominanz und Game Changer:



    /



    taz.de/!217282/



    /



    Hatte ich so in dieser Klarheit nun aktuell wirklich auch nicht mehr auf dem Schirm, aber das "vulnerable Netz" hat beim Suchen im Archiv der taz nicht versagt. Ausdrucken werde ich trotzdem nichts, aber weiterleiten.

    • @Martin Rees:

      Ehrhart skizziert ja in dem von Ihnen verlinkten Artikel (von wann ist der eigentlich?) die Ausgangsvorausetzungen, die divergierenden Interessen zwischen Ost- und Westukraine.

      Da ja derzeit viel von einem Wirtschaftskrieg die Rede ist, lohnt es sich, die Auswirkungen des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine auf ihre bestehenden Freihandelsabkommen mit Russland in den Blick zu nehmen - wahrscheinlich hat diese "wirtschaftskriegerische Auseinandersetzung" (Habeck) da begonnen

      www.bpb.de/themen/...us-und-kasachstan/

      de.m.wikipedia.org...on_und_der_Ukraine

      Ein bisschen wie die Probleme zwischen der EU und Großbritannien wegen des "Lochs im Zaun", der offenen inneririschen Grenze.

      • @ke1ner:

        2.3.2015

  • "International werden die Folgen des Krieges in ihren feinsten Verästelungen offenbar jetzt erst den politischen Ent­schei­de­r:in­nen klar"

    Nein, es ist viel beunruhigender: diese Entscheider:innen wissen und wussten offenbar nicht, was Krieg überhaupt ist:

    》Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Annexion von vier besetzten ukrainischen Gebieten durch Russland scharf verurteilt. Es handele sich um einen "Landraub mit brutalster Gewalt, mit Methoden, wie man sie sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann"《

    Der hier konnte es sich wohl vorstellen:

    》Am 1. Mai 2022 kritisierte Ströbele die Parteispitze der Grünen [...] bezüglich deren Reaktion auf denrussischen Überfall auf die Ukraine 2022. Er betonte, „bei dem Vorgehen, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern“, handele „es sich um erprobte, international seit Jahrzehnten anerkannte und auch gute Grundsätze der Friedenspolitik“《 (Wikipedia)

    Und auch Henry Kissingerin, der sich mit seinen Vorschlägen für die Ukraine 2014 gegen einen Natoeintritt www.washingtonpost...51760b9_story.html , dieses Jahr in Davos für Gebietsabtretungen ausgesprochen, hier www.washingtonpost...a-territory-davos/ in der Washington Post und im Juli drei Szenarien für das Ende des Ukraine-Kriegs skizziert hat www.merkur.de/poli...ende-91647771.html

    Das ist der "alte weiße Mann" (99), der das Ende des Vietnamkriegs verhandelt hat und - es ist ja viel von "Appeasement" die Rede - 15 war, als er 1938, dem Jahr des Münchner Abkommens, vor Hitler fliehen musste.

    Pazifismus sei "vulgär" (Habeck), das Gas holen wir locker woanders is.gd/nBIrwD , Schwarzer, Habermas, Welzer werden als Pseudointellektuelle bzw. -feminist*innen beschimpft.

    • @ke1ner:

      Haben Sie schon mitbekommen, dass die vor Monaten geäußerten (damals schon: Fehl-) Einschätzungen dieses Fossils aus dem Kalten Krieg längst von der Realität überholt wurden? Die ewige Wiederholung der immergleichen Zitate macht diese auch nicht richtiger.

      • @dites-mois:

        "Haben Sie schon mitbekommen, dass die vor Monaten geäußerten (damals schon: Fehl-) Einschätzungen dieses Fossils aus dem Kalten Krieg längst von der Realität überholt wurden?" - hätte ich, wenn es sich denn so verhielte.

        Kissingers Vorhersage von 2014 》The west speaks Ukrainian; the east speaks mostly Russian. Any attempt by one wing of Ukraine to dominate the other — as has been the pattern — would lead eventually to civil war or breakup. To treat Ukraine as part of an East-West confrontation would scuttle for decades any prospect to bring Russia and the West — especially Russia and Europe — into a cooperative international system《 bewahrheitet sich doch aktuell (und wird auch nicht dadurch fslsch, dass ich ihn gelegentlich zitiere)

        Dieses "Fossil aus dem kalten Krieg" hört sich im Vergleich zu z.B. 》Wladimir Klitschko und seine Delegation haben heute das ukrainische Kämpferherz, das uns jeden Tag in unzähligen Bildern erreicht ins Auswärtige Amt getragen《 (Außenministerin Baerbock im Flecktarn-Outfit hier neben Wladimir Klitschko www.instagram.com/...gshid=YmMyMTA2M2Y= am 1. April, dennoch offenbar sehr ernst gemeint, wie der reinste Peacenik an und ist damit auch näher an Ströbele als an Habeck und Baerbock.

        Und hat offensichtlich die tatsächlichen Gegebenheiten sehr viel besser im Blick als der Vizekanzler und die Außenministerin (für wie realistisch halten Sie denn z.B. Barbocks "Das wird Russland ruinieren" (zu den Sanktionen)?)

    • @ke1ner:

      "International werden die Folgen des Krieges in ihren feinsten Verästelungen offenbar jetzt erst den politischen Ent­schei­de­r:in­nen klar" - die Hoffnung stirbt zuletzt, ich glaube nicht mehr daran