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Schöner Schein ist noch kein guter Stoff

„Fair steht dir“: Unter diesem Motto stehen bei der Fairen Woche 2022 Textilien im Fokus. Nicht zuletzt in diesem Segment gibt es noch viel zu tun

Von Frank Herrmann

Die Missstände sind bekannt – doch Mensch und Natur werden noch immer bei der Produktion unserer Unmengen an Kleidungsstücken ausgebeutet. Textilkonzerne wie Inditex, Shein oder H & M werfen unverdrossen Billigkollektion nach Billigkollektion auf den Markt, und Verbraucherinnen und Verbraucher kaufen, was das Zeug hält. Doch Millionen Tonnen neuer Kleidungsstücke landen Jahr für Jahr irgendwo in der Welt auf offenen Deponien oder werden verbrannt. Kaum noch verwertbare Secondhandware überschwemmt Afrika, und auch die Resteverwerter in Osteuropa beklagen die meist miese Qualität der Kleidung. Denn für die Modeunternehmen ist es immer noch billiger, Überschüsse zu produzieren und diese zu vernichten, als weniger und nachhaltiger zu produzieren.

Zu viel CO2, zu viel Gift, zu viel Mikroplastik – unser Planet leidet massiv unter den Folgen des ungezügelten Ultra-Fast-Fashion-Wahnsinns. Das scheint die Großen der Branche nicht wirklich zu stören. Ihre Sorgen kreisen eher um Umsatz, Gewinn, Marktanteile und Shareholder Value als um die Bekämpfung des Klimawandels, faire Löhne oder ordentliche Arbeitsbedingungen. Wachsen möchte man natürlich auch noch – grün, versteht sich.

Doch die Kehrtwende hin zu weniger statt immer mehr bekommen die schwerfälligen Modekonzerne (noch) nicht hin. Es fällt ihnen außerordentlich schwer zu akzeptieren, dass grünes Wachstum nicht mehr als ein schönes Märchen ist, die dauerhafte Entkopplung von Wachstum und Umweltbelastung aber keiner wissenschaftlichen Analyse standhält. Viel zu oft gehen die Maßnahmen großer Textilkonzerne nicht über billiges Greenwashing hinaus.

Dabei gibt es durchaus einzelne Unternehmen, die sich ambitionierte Klimaziele setzen, sich zu weniger Chemie in der Kleidung verpflichten, die Kreislaufwirtschaft für sich entdecken und immer öfter auf grüne und faire Textilsiegel setzen.

Aber wenn es um die schwächsten Glieder der textilen Wertschöpfungskette geht, schauen sie weg – egal, ob sie in El Salvador, Bulgarien oder in Kambodscha produzieren lassen. Die wenigsten Textilarbeiterinnen und -arbeiter erhalten einen Existenzlohn, einen Lohn, von dem sie menschenwürdig leben können. Überdies arbeiten sie unter miserablen und gefährlichen Bedingungen und unter enormem Zeitdruck.

Das bekamen die Textilarbeiterinnen und -arbeiter besonders hart während der Coronakrise zu spüren. Große Konzerne wie etwa H & M und C & A stornierten Aufträge in Bangladesch, Kambodscha oder Myanmar und wälzten somit die eigenen finanziellen Verluste auf die Fabriken vor Ort ab. Die entließen Personal. Erst auf massiven öffentlichen Druck hin erneuerten einige Textilkonzerne die stornierten Aufträge. Doch Hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter erhielten weder den ausstehenden Löhn noch eine Abfindung.

Löhne auf ein gerechtes Niveau heben – das wollen die wenigsten Unternehmen aus dem Globalen Norden, die von niedrigen Löhnen im Globalen Süden profitieren. Auch die Politik bekleckert sich bei diesem Thema nicht mit Ruhm: Existenzlöhne und andere sozioökonomische Aspekte etwa spielen bei der im März 2022 von der Europäischen Kommission eingeführten „Strategy for Sustainable and Circular Textiles“ keine Rolle.

Im Fokus stehen vielmehr verbindliche Ökodesignanforderungen, weniger Mikroplastik und ein digitaler Produktpass. Das ist löblich, aber zu kurz gedacht, sagt Claudia Brück von Fairtrade Deutschland: „Kreislaufwirtschaft ist gut und richtig – aber eine Jeans, bei deren Herstellung Arbeiter und Baumwollbauern ausgebeutet werden, wird nicht nachhaltig, nur weil sie recycelbar ist.“

Auch das 2021 verabschiedete deutsche Lieferkettengesetz ändert in der Textilproduktion viel zu wenig. Es verpflichtet zwar erstmals große Unternehmen, ab 2023 auf Menschenrechts- und Umweltstandards in der Lieferkette zu achten. Doch das Gesetz hat Defizite, die das geplante EU-Lieferkettengesetz womöglich beseitigen kann: Etwa, wenn es auch für kleinere Unternehmen gilt, das Recht auf existenzsichernde Löhne anerkennt, Sorgfaltspflichten ohne Einschränkungen entlang der gesamten Lieferkette festlegt, und wenn es Arbeiterinnen und Arbeitern über eine Haftungsregelung im Falle von Verstößen gegen Menschenrechte eine Wiedergutmachung zugesteht.

Große Hoffnungen waren auch mit dem 2014 gestarteten Textilbündnis und dem ersten staatlichen Textilsiegel „Grüner Knopf“ verbunden. Eingeführt wurde es 2019. Firmen wie Esprit, Tchibo oder Aldi labeln mit dem Siegel Babykleidung, Bettwäsche, Handtücher oder Schlafanzüge.

Doch das Siegel, das bislang nur die Arbeitsschritte Bleichen, Färben, Zuschneiden und Nähen abdeckt, ist umstritten. Viele Unternehmen machten in der Anfangsphase überhaupt nur mit, weil das Thema Existenzlohn zunächst keine Rolle spielte.

Das soll sich nun allmählich ändern. Die neuen Kriterien für den „Grünen Knopf 2.0“, die im August 2022 in Kraft traten, erfordern nun auch neben Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette oder der Stärkung der Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern eine „Strategie zur Förderung existenzsichernder Löhne auf Ebene der Konfektion“ von den Unternehmen.

Nicht sonderlich konkret. Und zu wenig für NGOs wie die Christliche Initiative Romero oder die Kampagne für Saubere Kleidung. Sie haben das Textilbündnis inzwischen verlassen. Das Vertrauen in die Modemarken sei weg, heißt es von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Mitglied der Kampagne für Saubere Kleidung.

Dabei ist menschenwürdige Arbeit ein explizites Menschenrecht. Es leitet sich aus dem Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen ab. Es ist auch eines der Rechte, das die Vereinten Nationen in ihren 17 globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) bis 2030 umsetzen wollen.

Darauf möchte auch die diesjährige Faire Woche hinweisen. Unter dem Motto „Fair steht dir – #fairhandeln für Menschenrechte weltweit“ finden vom 16. bis 30. September deutschlandweit Veranstaltungen statt, die sich mit fairen Arbeitsbedingungen und nachhaltigem Wirtschaften in der Textil-Lieferkette auseinandersetzen. Ziel ist aber auch, so das Forum Fairer Handel auf seiner Webseite, uns allen konkrete Handlungsoptionen aufzuzeigen, wie wir unseren Alltag fairer und nachhaltiger gestalten und uns für einen gerechteren Welthandel engagieren können.

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