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Grüner Wasserstoff aus KanadaGroßes Potenzial, aber viele Fragen

Grüner Wasserstoff ist zentral für die Energiewende. Doch woher er kommen soll und ob der Transport von weither gestemmt werden kann, ist umstritten.

Wasserstoff-Tank in Brandenburg: Für die Energiewende wird dieser Stoff zentral sein Foto: Fabian Sommer/dpa

In einem sind sich praktisch alle En­er­gie­exper­t*in­nen einig: Um wie geplant bis 2045 klimaneutral zu werden, muss Deutschland in Zukunft große Mengen grünen Wasserstoff importieren. Denn während Heizen und Autofahren künftig vor allem direkt mit Ökostrom geschehen wird, ist eine Elektrifizierung in anderen Bereichen nicht möglich oder sinnvoll.

Ob für die chemische Industrie oder die Stahlherstellung, ob im Flug- und Schiffsverkehr oder in Reservekraftwerken für die Zeiten, in denen Wind und Sonne zu wenig Strom liefern: In vielen Sektoren sollen Kohle, Öl und Gas stattdessen durch Wasserstoff oder aus Wasserstoff hergestellten synthetischen Kraftstoffen ersetzt werden.

An dieser Stelle endet die Einigkeit aber schon. Bei der Frage, in welchem Ausmaß Wasserstoff benötigt wird und welcher Anteil davon importiert werden soll, gibt es bei den verschiedenen Szenarien schon deutliche Unterschiede. Selbst jene Berechnungen, die von einem starken Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland und einer hohen Effizienz ausgehen – etwa die Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ von dem Thinktank Agora Energiewende und Stiftung Klimaneutralität – kommen zu dem Ergebnis, dass langfristig maximal ein Drittel des benötigten Wasserstoffs in Deutschland erzeugt werden kann. Der Rest müsse importiert werden. Diese Studie kommt für 2045 auf einen Importbedarf von 170 Terawattstunden Wasserstoff; andere Szenarien berechnen ein Vielfaches dieses Bedarfs.

Erstmal nur Ammoniak

Wie viel davon in Zukunft aus Kanada kommt, ist ebenfalls unklar. Das Abkommen, das am Dienstag unterzeichnet wurde, nennt keinerlei konkrete Zahlen. Vielmehr kündigen Deutschland und Kanada darin zunächst nur an zu ermitteln, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um mit dem Export ab 2025 zu beginnen.

Grundsätzlich steht aber fest, dass Kanada gute Voraussetzungen für die Erzeugung von Wasserstoff bietet. Schon in der Vergangenheit war das Land dabei ein wichtiger Akteur. Bisher wurde Wasserstoff aber vor allem aus Erdgas erzeugt, was für den Klimaschutz keinen Vorteil bietet. An dieser Technik will das Land auch zunächst noch festhalten, doch zusätzlich soll künftig sogenannter grüner Wasserstoff dazukommen, der komplett mittels Windstrom erzeugt wird. Und nur an diesem Wasserstoff – das stellt das Abkommen klar – ist Deutschland interessiert.

Was tatsächlich aus Kanada herübertransportiert wird, ist zumindest am Anfang kein molekularer Wasserstoff (H2). Dieser muss nämlich für den Transport per Schiff auf die extreme Temperatur von minus 253 Grad heruntergekühlt werden – was technisch so aufwendig und zudem so teuer ist, dass es bisher große Zweifel gab, ob solche Transporte jemals wirtschaftlich werden. Bei den Exporten aus Kanada wird es darum zumindest zunächst um Ammoniak gehen – eine Verbindung von Wasserstoff und Stickstoff, die sehr viel leichter transportiert werden kann.

In dieser Form sollen auch die ersten Exporte stattfinden, die bisher geplant sind: Ebenfalls am Dienstag unterzeichneten die deutschen Energiekonzerne Eon und RWE eine Absichtserklärung zum Import von insgesamt 1 Million Tonnen Ammoniak pro Jahr ab 2025 – was vom Energiegehalt etwa 5 Prozent der Menge entspricht, die laut der deutschen Wasserstoffstrategie ab 2030 jährlich in Form von Wasserstoff eingeführt werden soll.

Alternativen könnten rentabel werden

Der Import von Wasserstoff in Form von Ammoniak ist in gewissen Mengen sinnvoll, denn für diesem Stoff gibt es in der chemischen Industrie großen Bedarf, etwa zur Herstellung von Dünger. Bisher wird Ammoniak meist aus Erdgas erzeugt. Inwieweit über Ammoniakimporte auch der sonstige Wasserstoffbedarf gedeckt werden kann, ist dagegen offen. Denn die Rückverwandlung des Ammoniaks in Wasserstoff ist mit größeren Energieverlusten verbunden und großtechnisch bisher kaum erprobt.

Studien sind bisher davon ausgegangen, dass der Bedarf an molekularem Wasserstoff eher durch Pipelines aus Europa und Nordafrika gedeckt wird, weil die Kosten dabei deutlich geringer sind als beim Schiffstransport. Allerdings dürften die dramatisch gestiegenen Erdgaspreise viele Kalkulationen verändern: Viele Alternativen könnten wirtschaftlich werden, die bisher als nicht rentabel galten.

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6 Kommentare

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  • Es besteht hoffentlich Einigkeit darüber, dass die Ursache knapper Energie mit dem wachsenden Bedarf durch unsere Produktions- und Lebensweise zu tun hat. Völlig unabhängig vom Ukrainekrieg, der die Energie nur verteuert hat.



    Im Moment wird mit H2, Sonne, Wind eine psychologische Verteidigungslinie konstruiert, die imaginiert, dass wir damit zwei Dinge gleichzeitig schaffen können: das Klima schützen und unseren Wohlstand sichern.



    Bedauerlicherweise ist dies die Illusion von einem Perpetuum-Mobile. Sie lenkt davon ab, dass die Ursache des Klimawandels eben in unserem Streben nach immer mehr Wohlstand liegt. Und das, obwohl der Anstieg der Treibhausgasemissionen immer in Bezug zum Beginn der Industrialisierung gesetzt wird.



    Die Jahreszahl 2045, man könnte auch 2030 nehmen, den Zeitpunkt, bis zu dem wir laut Klimaschutzgesetz 65% CO₂ einsparen müssten (wir externalisieren es lieber), hat nicht zur Folge, dass wir die Produktion drosseln, andere Arbeitszeitmodelle entwickeln, um Ängste vor Einkommensverlust durch Arbeitsplatzverlust zu reduzieren, etc.



    Alles läuft wie immer: Infrastrukturprojekte werden geplant und gebaut, vom neuen Gewerbegebiet in der Kommune bis zu Autobahnen. Veränderungen? Keine!



    Energiesparmaßnahmen werden befristet. Warum? Weil es, wenn das Perpetuum-Mobile erst mal ins Laufen kommt, wir den Gashahn aufdrehen und das Gaspedal wieder der "Normalität" entsprechend durchtreten können sollen?



    Von small is beautiful will niemand was wissen, in unserem Wirtschaftswunderland, in dem man gleichzeitig etwas einsparen kann, in dem man es verschwendet.

  • Ein Problem fehlt in der aktuellen Diskussion: Lagert oder transportiert man molekularen Wasserstoff, gibt es relativ große Verluste durch Diffusion. H2 entweicht in die Atmosphäre und ein Teil davon in den Weltraum. Wenn man das lange genug macht, verliert der Planet Wasser. Weiß nicht, ob das mengenmäßig gravierend ist - sollte man aber mal durchrechnen, bevor man groß einsteigt...

    • @CarlaPhilippa:

      Glaube nicht das das relevant wird, ansonsten fängt man halt ein paar Kometen mit Eis ein und lässt die in der Atmosphäre verglühen.

  • Danke für den sehr informativen Artikel, der angenehmerweise ganz frei von Kommentar bleibt!

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Gesamtökobilanz? Insbesonder bez. des Faktors originäre Naturwälder als Standorte für Windparks!

    • @31841 (Profil gelöscht):

      In Deutschland sind gerade einmal knapp 3% aller Wälder "Naturwälder" und diese sind in ihrer jetzigen Struktur auch massiv gefährdet durch den Klimawandel.



      Ansonsten sollten Sie sich mal mit den Fakten befassen, für ein mittleres Windkraftwerk (Höhe 135 Meter) müssen lediglich 350 m² versiegelt werden.



      So, und jetzt sehen Sie mal in Ihrer Straße nach, wieviele Quadratmeter dort asphaltiert sind, um dort Autos zu parken, die CO2 statt Strom produzieren.