Kanzler-Visite in Kanada: Wasserstoff aus Neufundland

Beim Besuch von Kanzler Scholz in Kanada stehen saubere Energiequellen im Vordergrund – eine schnelle Lösung für die Engpässe bieten sie aber nicht.

Olaf Scholz und Justin Trudeau lächeln während eines Gespräches

Olaf Scholz und Justin Trudeau während des G7-Gipfels auf Schloss Elmau, Juni 2022 Foto: Kirsten Donovan/Reuters

CALGARY taz | Das kanadische Städtchen Stephenville ist ein unscheinbarer Ort. Viele der knapp 7.000 Einwohner leben vom Fischfang, dem kleinen Hafen oder der Forstwirtschaft. Früher gab es in dem Ort einmal eine Papierfabrik und das US-Militär unterhielt einen Luftwaffenstützpunkt. Doch die fetten Zeiten sind längst vorbei und so hat man in Stephenville neuerdings große Erwartungen an Deutschland.

Womit wir bei Olaf Scholz wären. Am Sonntag reist der deutsche Bundeskanzler für drei Tage nach Kanada und er wird dabei auch in Stephenville einen Stopp einlegen. Auf der Suche nach neuen Energiequellen jenseits von russischem Gas setzt der Kanzler große Hoffnungen auf das rohstoffreiche Land – und der kleine Ort an der Westküste der Insel Neufundland könnte dabei langfristig eine Schlüsselrolle spielen.

Im Beisein von Kanadas Premierminister Justin Trudeau will der Kanzler in Stephenville eine Fachmesse für Wasserstoff besuchen und ein Abkommen zur Lieferung des sauberen Rohstoffs unterzeichnen. Der Ort ist die perfekte Kulisse, denn wenn alles klappt, könnte dort in den nächsten Jahren eine der weltweit modernsten Anlagen zur Gewinnung von grünem Wasserstoff entstehen.

Das kanadische Konsortium „World Energy GH2“ hat im Juni bei der Regierung Pläne für einen riesigen Onshore-Windpark eingereicht, mit dessen Hilfe es in der Region sauberen Wasserstoff und Ammoniak für den Export produzieren will. Der Bürgermeister von Stephenville, Tom Rose, sieht seine kleine Gemeinde bereits überschwänglich als ein neues „Drehkreuz für grüne Energien in Nordamerika“.

Drei Phasen

In einer ersten Phase sollen dazu auf einer nahen Halbinsel 164 Windkraftanlagen entstehen, zwei weitere Phasen sollen später folgen. Der so generierte Strom soll dann in einer Anlage im Tiefseehafen von Stephenville bei der Herstellung von Wasserstoff und Ammoniak verwertet werden. Mit riesigen Tankschiffen könnten die Produkte dann von dort unter anderem nach Europa befördert werden.

Das Zwölf-Milliarden-Dollar-Projekt liegt ganz auf der klimafreundlichen Linie der Bundesregierung und seines grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck. Bei der Herstellung von grünem Wasserstoff mit Hilfe von Wind- oder Wasserkraft entstehen anders als beim blauen oder grauen Wasserstoff – bei dem Erdgas oder Öl verwendet wird – praktisch keine Emissionen. Der Energieträger wäre klimaneutral.

Die geplante Anlage in Stephenville ist nicht das einzige Projekt dieser Art in Kanada. In Québec baut Thyssenkrupp gerade eine Wasserkraftanlage, die ab 2024 elf Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren soll. Kanada gilt als einer der Vorreiter der Technologie und hat sich vorgenommen, zum drittgrößten Wasserstoff-Produzenten weltweit aufzusteigen. Bis 2050 will das Land klimaneutral werden.

Allerdings: Eine schnelle Lösung der europäischen Energieprobleme versprechen die Projekte nicht. Bis im Hafen von Stephenville die ersten Tanker ablegen, dürften noch einige Jahre vergehen. Selbst ein Scheitern ist nicht ausgeschlossen. Wie bei vielen derartigen Vorhaben in Kanada gibt es auch in Neufundland noch zahlreiche bürokratische, kulturelle und ökologische Hürden zu überwinden.

Bedenken der Bevölkerung

Anfang August hatte die zuständige Regierung eine schnelle Genehmigung der Anlage abgelehnt und stattdessen eine ausführliche Prüfung angeordnet, bei der auch die Bedenken der Bevölkerung zum Tragen kommen. Viele Anwohner stören sich an dem gewaltigen Ausmaß der geplanten Windparks, die zum Teil in einem ökologisch sensiblen Naturschutzgebiet entstehen sollen.

„Viele sind besorgt“, berichtete die Bürgermeisterin der betroffenen Landkreisgemeinde Cape St. George, Stella Cornect, im Sender CBC. Auch die Zustimmung der Ureinwohner steht noch aus. Ohne diese kommt in Kanada in der Regel kein größeres Bauprojekt voran. Kaum noch durchsetzbar sind auch neue Pipelines zum Transport, weswegen es auf die lokale Infrastruktur vor Ort ankommt.

Doch daran mangelt es. Experten warnen, dass für einen großvolumigen Export noch viel getan werden muss – es fehlt an geeigneten Hafenanlagen, Schiffen, Terminals. Am Rande des G7-Gipfels in Bayern im Juni sprach Premier Trudeau von einer „mittelfristigen“ Erweiterung bestehender Anlagen. Das betrifft auch den Export von Flüssiggas, für den die Bundesregierung ebenfalls Kanada im Auge hat.

Beim Besuch des Kanzlers soll das Thema Flüssiggas allerdings nicht mehr im Vordergrund stehen. Noch gibt es an der Ostküste Kanadas keine exporttauglichen Verladeterminals, die für einen Gastransport nach Europa geeignet wären. Das Interesse der Investoren an einem schnellen Ausbau hält sich auch deswegen in Grenzen, weil Deutschland langfristig aus fossilen Energieträgern wie Gas aussteigen will.

In Kanada hält man es kurzfristig allenfalls für machbar, die Lieferung von Flüssiggas in die USA anzukurbeln, wovon Europa indirekt profitiert. Durch die zusätzlichen Kapazitäten können die USA dann ihrerseits über ihre Terminals an der Atlantikküste den Export nach Europa ausbauen. Kanada gilt mit rund 170 Milliarden Kubikmetern im Jahr als der fünftgrößte Erdgasproduzent der Welt.

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