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Streit um ÜbergewinnsteuerDie Altkader vom BDI

Russlands Überfall auf die Ukraine könnte hier Demokratie und Zusammenhalt fördern. Doch die deutschen Wirtschaftseliten wollen davon nichts wissen.

Blick auf die Skyline in Frankfurt/Main Foto: Panthermedia/imago

Ein Freund hatte in den 1990er Jahren eine recht hoffnungsvolle Karriere im Kulturbetrieb eingeschlagen. Schon als studentische Hilfskraft kannte er keinen Feierabend, fuhr auf eigene Kosten durchs Land, um die Menschen persönlich kennenzulernen, für deren Schaffen er sich begeisterte. Trotzdem ging er die ganze Sache spielerisch an, er leistete sich partybedingte Aussetzer, war freundlich zu den Fleißigen und deutlich zu den Speichelleckern; und hätte man seine durchaus frenetische Aktivität als ‚Netzwerken‘ bezeichnet, dann wäre seine Antwort wohl gewesen: „Was soll das denn Grauenhaftes sein?“

Irgendwann in den späteren Nullerjahren, nachdem er sich schlechtbezahlt und dauerhaft befristet von Job zu Job gehangelt hatte, gab er auf. Seine Analyse war, dass sich das System, in dem wir leben – ob wir es nun soziale Marktwirtschaft, Westen oder neoliberalen Kapitalismus nennen wollen – nicht mehr für Kunst interessierte.

Seit ‚wir‘ die Auseinandersetzung mit dem „Realen Sozialismus“ gewonnen hätten, sei die Geschäftsgrundlage entfallen, auf der seit den 1950er Jahren die Überlegenheit des freiheitlichen Systems durch einen „Cultural Cold War“ um die Herzen und Gehirne der Kunstschaffenden und des Publikums ausgefochten worden sei – unter Mobilisierung beträchtlicher Geldmengen.

Wenn ein Kampf gewonnen ist, kann abgerüstet werden. Wenn die Gesellschaft nicht gegen einen Feind mobilisiert werden muss, braucht es keine Gesellschaft mehr. Die einzige Idee, die benötigt wird, um den Laden am Laufen zu halten – warum auch immer, könnte man zynisch fragen, ohne abzustreiten, dass es in den letzten Jahrzehnten auch eine Menge Spaß und Freiheit gebracht hat, in einer Nicht-Gesellschaft zu leben –, ist die des Marktes.

Partner des heimischen Wirtschaftsmodells

Dass das nicht so zusammengereimt ist, wie es in manchen Ohren klingen mag, wird deutlich, wenn ein Verbandsvertreter eben im Namen der Heiligen Idee ins Stottern gerät: „Eine Übergewinnsteuer gefährde die Idee der Marktwirtschaft“, fasste der Deutschlandfunk die Aussagen von Holger Lösch vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) vom vergangenen Montag in seinem Morgenprogramm zusammen.

Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI, sagte, nach einer kurzen Herablassung zur Bevölkerung („die privaten Verbraucher, das ist alles wichtig“) wörtlich: „Ein Gewinn ist ein Gewinn, und ein Gewinn wird versteuert“, weswegen man trotz der „aufgeheizten, unheimlich bedrängten“ Situation „bei einer gewissen Logik bleiben“ solle. Die Übergewinnsteuer sei „ex­trem populistisch und pauschal“, und wenn sie doch käme, „wo kommen wir da hin?“ Das sei „eine grundsätzliche Frage unseres Systems: Wollen wir tatsächlich jeden Gewinn prüfen, ob irgendeine gesellschaftliche Instanz ihn für zu hoch hält? Das würde das Konzept der Marktwirtschaft wirklich aus den Fugen bringen.“

Nun kann man wissen, dass eine solche Übergewinnsteuer in Spanien und Italien leidlich funktioniert, ohne dass das System kollabiert. Aber in Spanien gibt es eben eine nach eigenem Anspruch “fortschrittliche Regierung“ und Italien hat mit Mario Draghi noch einen Regierungschef, der Ziele definiert – wie etwa einst die Rettung des Euro – und dann zu Maßnahmen greift, die den Ideologiehorizont deutscher Banker, Verbandsvertreter und Liberaler überschreiten: „whatever it takes“ eben.

Was Holger Lösch rhetorisch aufzieht, ist schlicht die Verweigerung, Teil einer Gesellschaft zu sein, die sich gerade einer beträchtlichen Herausforderung stellt: der einer gemeinschaftlichen Reaktion auf den Überfall eines mafiös-faschistischen Regimes auf einen sich demokratisch entwickelnden Staat; mit der deutschen Besonderheit, dass das Putin-Regime über Jahrzehnte als privilegierter Partner des heimischen Wirtschaftsmodells hofiert wurde. „Massenproteste wären Musik in den Ohren Putins“, kommentiert die FAZ denn auch mögliche Reaktionen der „privaten Verbraucher“. Sie allein sollen in diesem Ideologiemodell auf jeglichen Lärm verzichten, damit die Idee es weiterhin schön warm und kuschelig hat.

Der Schriftsteller Jörg-Uwe Albig hat in seinem 2006 erschienen Roman „Land voller Liebe“ die Vision eines solchen kapitalistischen Endzeitkatechismus schon mal durchgespielt. Er ließ 1989 nicht die DDR, sondern die BRD zusammenbrechen und seinen Unternehmensberater-Protagonisten final aufstöhnen: „Einmal erwähnte ich kurz unseren uralten Menschheitstraum, den Traum vom Markt, der offenkundig zu schön war für diese Welt: Unser Experiment ist gescheitert.“

Nun hätten viele und auch ich selbst vielleicht noch im vergangenen Jahr gegen ein solches Scheitern gar nicht viel einzuwenden gehabt. Dieser intellektuelle Anarchismus ist aber nun passé. Dass das Putin-Russland keine erträumte Alternative zum hier Bestehenden darstellen kann, war außer der Linkspartei, der AfD, der sächsischen CDU, der mecklenburg-vorpommerschen SPD und ein paar good old boys des linksradikalen Antiamerikanismus auch damals schon fast allen klar; dass es sich aber als Alptraum entpuppen würde, eben nicht.

Mut in der Analyse

Wir können den Altkapitalisten Lösch und seine BDI-Kader nicht einfach in ihrem selbstgegrabenen Loch sitzen lassen. Wir können aber auch nicht vorauseilend schweigen und zum Schweigen aufrufen, nur damit Putin, die Querdenker und die Nazis sich nicht freuen. Letzteres liefe auf einen autoritären Kapitalismus hinaus, und wir wissen, dass ein solches System real werden kann und funktioniert, jenseits der Fragen für wie lange und für wen.

Wir können uns auch nicht mit historischen Analogien beruhigen: Nichts ist und nichts wird, wie es einmal war. Aber der Konflikt ist so grundlegend, dass tatsächlich etwas Neues und Besseres aus ihm entstehen kann, ja muss. Mut und Gegenwärtigkeit in der Analyse, in der Politik, nicht das Festklammern an erledigten Konzepten: Das wären die deutschen Eliten der Gesellschaft schuldig. Vor allem aber denen, die in der Ukraine auch für unsere Freiheit kämpfen – und sterben.

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20 Kommentare

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  • Lösch hat aber doch Recht: Die Unternehmen zahlen bereits Steuern. Wenn die Gewinne hochgehen, steigen auch die Steuern. Jede Sondersteuer wäre mehr oder weniger willkürlich und damit rechtsstaatlich bedenklich.

  • @COCONUTREBEL

    Das Beste wollen sie schon. Nur nicht für die Unternehmer, sondern für die Reichen.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Doch die deutschen Wirtschaftseliten wollen davon nichts wissen."

    Ja klar, warum sollten die freiwillig auch nur einen Euro abgeben wollen.



    Übergewinnsteuer ist nur ein anderes Wort für Steuer für Kriegsgewinnler.



    Von diesen Leuten gibt es einige und nicht nur bei uns im Lande.

    Die Rohstoffbörsen und die Waffenherstellung explodieren!

  • @HUMUSAUFBAU

    Das Problem ist, dass diese Typen ordentlich Geld in die Zerstörung von Demokratien stecken.

    Peter Thiel hat die Tea Party grosszügig mit Geld zugeschüttet (1 Mio) und Trump (20 Mio).

    Bei uns ist es die FDP diejenige, die die meisten Grossspenden pro Mitglied einsackt, mit Abstand.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Die FDP will nur das Beste, also anderes ausgedrückt den möglichst größten Anteil für ihr Klientel - die Unternehmer.

      Eine klare Strategie, die seit Jahren gut funktioniert. Eigentlich brauchen wir die gar nicht.

      Dass diese Partei derzeit den Finanzminister stellt und laufend Zugeständnisse der Koalition einfordert, ist schon ein starkes Stück. Für uns Bürger ist das keinesfalls hilfreich.



      Aber die anderen Parteien machen ja auch jede Menge Fehler. Am schärften der SPD-Olaf mit seinen 100 Mrd. für die Bundeswehr. Sowas ist schon einmal mit der massiven Hilfe der SPD völlig schief gegangen - Afghanistankrieg.



      Bazzuka-Olaf hat daraus offenbar nichts, aber auch gar nichts gelernt.

      Von daher geht das alles in einen Sumpf des Versagens unter.

  • Die Analyse des Artikels ist an sich nicht schlecht aber der herablassende Begriff "Altkader" im Titel ist unpassend



    Er suggeriert eine gewisse Gestrigkeit, die hier aber gar nicht vorliegt.

    Vielmehr ist die Position des BDI eher zukunftsweisend. Das ist natürlich sehr beunruhigend und da sind wir uns auch schon wieder einig.

  • Eine Übergewinnsteuer im deutschen (!) Steuerrecht ist zu komplex, um wirksam umgesetzt zu werden. Viel Rauch um nichts. Der Focus muß auf Steuergerechtigkeit, Durchführung und Durchsetzung gelegt werden.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Arne M:

      Sie haben wahrscheinlich recht. Allein das deutsche Steurerrecht, das umfangreichste in der ganzen Welt, gehört reduziert und reformiert.

      Aber wer will dem Staat im Staate denn beikommen? Die Finanzämter machen offenbar vielfach was sie wollen und das auch noch miserabel. Man denke nur an deren Sprache. Ein Verbrechen gegen die deutsche Sprache. Ist leider nicht strafbar.

    • @Arne M:

      War da nicht mal eine jahrzehntealte Erkenntnis, dass das deutsche (!) Steuerrecht dringenst reformiert gehört, insbesondere weil es zu komplex ist?

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Arne M:

      Warum soll das Eine das Andere ausschließen? Funktioniert es in anderen Ländern denn nicht?

  • Die Funktion der Regierung ist im Wesentlichen, den Besitz / die Privilegien der Besitzenden vor der Mehrheit zu schützen und zu vermehren. Hat angeblich mal irgendein Amipolitiker vor 100 Jahren zu Protokoll gegeben. Schaut man sich so um, stellt man fest, keine so schlechte Beschreibung.

    Nachdem offiziell das Konzept von Gesellschaft entsorgt ist, sollten die Führungseliten aufpassen, dass nicht das Konzept von Regierung entsorgt wird. Sozialismus für Reiche und Konzerne (aka marktkonforme Demokratie) könnte sich bald erledigt haben.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @uvw:

      "Die Funktion der Regierung ist im Wesentlichen, den Besitz / die Privilegien der Besitzenden vor der Mehrheit zu schützen und zu vermehren."



      Eben deswegen haben sie aus dem Bericht an den Club of Rome schon vor der Wende den Schluss gezogen, dass sie etwas für ihre Machterhaltung tun müssen, weil die kommenden Zeiten von knappen Ressourcen soziale Fragen aufwerfen werden. Daher der Rechtsdrall allenthalben.

  • Endlich beginnt es zu dämmern, dass der 'Sieg' über den realen Sozialismus durch den Raubtierkapitalismus neu aufgearbeitet werden muss. Wenn wir sehen, wie weit uns diese globale Wirtschaft schon in die Klimakatastrophe getrieben hat, ist es aber schon ziemlich spät für die neue Einsicht, dass Kapitalisten im Grunde die gewählten 'Repräsentanten' besser im Griff hielten, als ihre Wähler*innen es tun konnten, die jetzt als Kosumenten und total Abhängige das Nachsehen haben. Wenn wir uns die angeblich freien Länder so anschauen mit ihren immer weiter (hilflos?) nach rechts tendierenden Regierungen, bleibt von der Überlegenheit 'westlicher' Werte kaum noch etwas übrig, insbesondere, weil uns jetzt Inflation und Staatsverschuldung das Versagen dieses Systems bei einer ausreichenden Versorgung seiner Bevölkerung deutlich machen.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Dietmar Rauter:

      Der "Glaube" an eine Überlegenheit "westlicher Werte" wurde durch Wachstumswohlstandspropaganda genährt. In meiner Umgebung wurde die Wende des Kalten Kriegs mit der Bemerkung kommentiert: "Jetzt fängt es erst richtig an." Eswar klar, dass eine "Solidarität", die sich nicht wenig aus dem Druck der Atomwaffen im Nacken speiste, nicht länger währen konnte. Was zuvor nicht wirkliche Solidarität war, konnte danach nicht tragfähig sein.

  • Wir können hier nicht, wird dürfen das nicht und alles andere soll ganz anders werden. Aber keine Ahnung wie.



    Herr Waibel, Sie tischen uns die unlösbaren Widersprüche zwischen Ideologie, Moral und realem Tagesgeschehen auf die in Ihrem Kopf rumgeistern. Das nennt man einen veritablen kognitiven Dissens.



    Ja, sowas tut weh. Aber Gejammer lößt diese Widersprüche nicht auf sondern produziert immer weitere hinzu.



    Der alte Brecht Bertl hatte schon Recht als er feststellte: Zuerst kommt das Essen - und dann die Moral.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @LittleRedRooster:

      Ja so ist das, wenn die Moral zuletzt kommt.

  • "Wenn ein Kampf gewonnen ist, kann abgerüstet werden", schreibt Ambros Waibel. - Eben nicht! Ambros irrt! Vielmehr gilt im Kapitalismus: The winner takes all, und zwar als Aktionäre nehmen sie sich jedes Jahr alles immer wieder von Neuem. Das heißt: Seitdem die Mauer gefallen ist, braucht und will "das Kapital" keine Rücksicht mehr auf den "Sozialklimbim" nehmen.

    Das ist leider die bittere Realität. Deshalb hat Ambros letztlich recht, wenn er zu dem Schluss kommt, dass alles neu gedacht werden muss! Das bedeutet: Keine Angst vor neuem Klassenkampf, sonst gehen wir selber unter.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Rosmarin:

      Der Klassenkampf läuft längst von oben. Herr Lösch baut vor, damit Ruhe die erste Bürgerpflicht bleibt. Kubicki will mit Gas aus NS2 dasselbe. War ja auch ein Projekt der deutschen Wirtschaft (Merkel) bzw. des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft (Fischer). Statt Lebensraum im Osten, Wachstum im Wetsen mit billigem Gas aus dem Osten.

  • Peter Thiel hat schon Recht: Demokratie ist halt mit Freiheit nicht vereinbar.

    Zumindest nicht mit der Freiheit der Thiels, Musks (und offensichtlich auch Löschs), der Freiheit jener Soziopathen, die sich kurzerhand Twitter kaufen um ihre freie Meinungsäusserung zu sichern.

    Die Leute sind eine ernste Gefahr für unsere Demokratie. Genauso ernst wie Putin und seine Oligarchen eine für die ehemalige Demokratie Russlands gewesen sind.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Eine gefahr für "unsere Demokratie" sind sie um so mehr, je weniger diese eine ist. Ich denke, diese Gefahr ist ziemlich groß.