Ökonom Dullien über Gasumlage: „Inflation steigt auf 10 Prozent“

Der Ökonom Sebastian Dullien hält die Gasumlage nicht für sozial gerecht. Der IMK-Direktor plädiert für einen Gasdeckel und weitere Entlastungspakete.

Ein roter Topf auf einer Gasflamme

Da muss der Deckel drauf: Die Gasumlage steht in der Kritik Foto: imago

taz: Herr Dullien, die Gasumlage ist entschieden, die Höhe wird in der ersten Runde bei 2,419 Cent pro Kilowattstunde liegen. Halten Sie diesen Wert angesichts der derzeitigen Umstände mit Ukrainekrieg und Russlands Gaslieferstopp für angemessen?

Sebastian Dullien: Die nun angekündigte Umlage wird rechnerisch die Inflationsrate um 1,0 Prozentpunkte erhöhen, wenn auf die Umlage auch Mehrwertsteuer erhoben wird. Und danach sieht es derzeit aus. Gelingt der Bundesregierung eine Lösung, bei der die Mehrwertsteuer entfällt, läge der Inflationseffekt bei 0,8 Prozentpunkten. Das bedeutet, dass wir im Herbst bei der Inflation sehr nahe an die 10 Prozent-Marke kommen. Das halte ich schon für ein Problem.

1,0 Prozentpunkt von wahrscheinlich 10 Prozentpunkten – im Verhältnis zu anderen Faktoren, die derzeit die Inflation in die Höhe treiben, scheint die Gasumlage nicht gerade der große Preistreiber zu sein.

Jahrgang 1975, Professor für Volkswirtschaftslehre und seit 2019 Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunktur­forschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung

Die Preise für Erdgas an sich sind die großen Treiber. Die Gasumlage kommt jetzt obendrauf. Die 10-Prozent-Marke ist psychologisch eine wichtige Marke. In normalen Zeiten achten die Menschen nur wenig auf die Inflation, weil sie wissen, dass Preissteigerungen von um die 2 Prozent einen niedrigen Wert darstellen. Wenn die Inflation jedoch eine bestimmte Höhe erreicht, fangen sie an, ihre Erwartungen zu revidieren und dann möglicherweise nach oben zu korrigieren. Je höher die Inflation ist, desto größer ist also die Gefahr, dass die Inflationserwartung sich von der tatsächlichen Entwicklung verselbstständigt. In Erwartung, dass alles teurer wird, erhöhen die Akteure ihre Preise zusätzlich. Das könnte eine gefährliche Inflationsspirale auslösen. Die Gas­umlage kommt in einer Situation, wo durch andere staatliche Maßnahmen die Inflation wieder nach oben springt. Das Auslaufen des 9-Euro-Tickets und der Wegfall des Tankrabatts werden im September etwa anderthalb Prozentpunkte zur Inflation beitragen. Vom Timing her ist das schon unglücklich.

Halten Sie die Gasumlage grundsätzlich für falsch?

So wie sie jetzt konstruiert ist, halte ich sie zumindest für problematisch. Millionen Haushalte werden zusätzlich belastet, damit sie systemrelevante Gasversorger retten – ohne die sozialen Folgen auch mit Blick auf eine noch höhere Inflation abzufedern. Grundsätzlich müssen wir uns die Frage stellen, ob es richtig ist, die Rettung der Gasgroßhändler nur über eine Umlage aller Gaskunden abzuwickeln. Wenn es sich um systemrelevante Unternehmen handelt, sollten wir das – wie einst bei den Banken während der Finanzkrise – als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten und damit auch Nichtgaskunden einbeziehen.

Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, mit dem Lieferstopp aus Russland umzugehen, der nun mal einige Gasgroßhändler besonders heftig trifft, weil sie vorher eben auf russisches Gas gesetzt haben? Dass es nun eine Umlage gibt, damit die Gasversorgung in einigen Teilen Deutschlands nicht zusammenbricht, scheint mir eine sozialverträgliche Lösung zu sein.

Nein, für sozialverträglich halte ich die Umlage nicht. Was man hätte stattdessen machen können: die Umlage mit einem Gaspreisdeckel für den Grundverbrauch kombinieren. Jeder Haushalt hat das Recht auf einen subventionierten Grundverbrauch; da ziehen wir einen Preisdeckel ein, der vielleicht bei 10 Cent pro Kilowattstunde liegt. Die Umlage und der Marktpreis beim Gas gelten erst für Kunden, die oberhalb dieses subventionierten Grundverbrauchs liegen. Das würde die Haushalte entlasten, weil der Grundverbrauch billiger bleibt. Nur wer also oberhalb des Grundverbrauchs Gas verbraucht, muss dafür den Marktpreis und die Umlage zahlen. Damit gebe es auch weiter einen Anreiz zu sparen. Der Anstieg der Inflation wäre zumindest gedämpft, weil die Umlage nur einen Teil der verbrauchten Gasmenge beträfe. Für dieses Modell hat sich die Regierung aber nicht entschieden.

Weil zu teuer?

Natürlich wäre das teuer. Mein Vorschlag wäre, dass man das Geld zunächst aus dem Energie- und Klimafonds (EKF) nimmt, dem Sondervermögen des Bundes zur Umsetzung der Energiewende. Gleichzeitig sollten wir einen Boden für den Gaspreis einziehen. Sobald der Großhandelspreis wieder fällt, soll er bei den Endverbrauchern nicht sofort fallen, sondern die Einnahmen sollten wieder dem Energie- und Klimafonds zugeführt werden. Ich glaube aber, dass es einen anderen Grund für die Ablehnung dieses Modells gibt. Die Politik will erst mal abwarten, bis die anderen Entlastungspakete voll wirken und die Menschen sie auch spüren. Im September wird die Energiepauschale ausgezahlt. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie im nächsten Monat Geld bekommen. Aus Koalitionskreisen habe ich gehört, dass sie nicht noch was Neues aufsetzen wollen, bevor die bereits beschlossenen Pakete noch nicht ihre Wirkung gezeigt haben. Diese Verzögerung ist natürlich ein Problem: Die Einführung eines Gaspreisdeckels für den Grundverbrauch bedarf einer gewissen administrativen Vorlaufzeit. Wenn man verhindern möchte, dass die Inflationsrate in den nächsten Monaten nicht noch weiter in die Höhe schießt, wäre es gut gewesen, den Gaspreisdeckel frühzeitig einzuführen.

Wäre Ihr Vorschlag sozial gerecht? Häufig sind es arme Haushalte, die in schlecht gedämmten Wohnungen leben und damit viel Gas verbrauchen.

Natürlich lässt sich nicht bei jedem genau überprüfen, ob jemand in einer schlecht gedämmten Wohnung wohnt oder ob das jemand ist, der seine Wohnung immer auf 26 Grad heizt und im T-Shirt herumläuft. Ich denke, keine Entlastungsmaßnahme wird 100-prozentig perfekt sein. Was letztlich das Signal sein sollte: Jede und jeder hat das Recht hat auf einen bezahlbaren Gasverbrauch bei der Grundversorgung. Aber jeder und jede trägt auch Eigenverantwortung, was das Gassparen oder auch das Isolieren von Wohnungen angeht.

Ein weiterer Vorschlag, für den sich der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium bereits ausgesprochen hat: günstiges Gas in Relation zum Vorjahresprogramm. Was halten Sie davon?

Ich halte diesen Vorschlag für falsch. Hier in Deutschland verbrauchen die obersten 10 Prozent der Bevölkerung doppelt so viel Gas wie die untersten 10 Prozent. Wenn wir die Vergabe von günstigem Gas am Verbrauch des Vorjahres festmachen, würde das bedeuten, dass die reichsten Haushalte eine doppelt so hohe Gassubvention erhalten wie die ärmsten 10 Prozent. Das ist nicht wirklich gerecht – zumal bei ärmeren Haushalten das Sparpotenzial geringer ist als bei reichen Haushalten.

Die Bundesregierung hat zugesagt, ärmeren Haushalten zu helfen. Was müsste aus Ihrer Sicht kommen?

Klar muss sein, dass der Gaspreisdeckel nur ein Instrument unter mehreren ist. Wenn jetzt die Großhandelspreise eins zu eins an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden, reden wir von einer Vervierfachung der Heizkosten. Haushalte mit Ölheizung müssen „nur“ mit einer Verdopplung ihrer Heizkosten rechnen. Heizen gehört zum Grundrecht. Wenn bei Familien mit zwischen 2.000 und 3.000 Euro netto die Gasrechnung auf über 400 Euro im Monat steigt, ist das einfach brutal. Darum halte ich es für wichtig, dass vor allem Menschen, die Einkommen nur knapp über der Grundsicherung beziehen, gezielt unterstützt werden.

Auch auf die Industrie kommen gewaltige Kosten zu, besonders auf energieintensive Branchen wie Stahl, Chemie oder Papier. Das könnte auch Arbeitsplätze kosten. Was muss da geschehen?

Keine Frage. Unternehmen, die wegen zu hoher Gaspreise ihre Produktion drosseln, muss geholfen werden, sei es in Form von Kurzarbeitunter­stützung oder auch mit Direkthilfen. Niemand soll wegen der Gaskrise pleitegehen oder den Arbeitsplatz verlieren.

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