piwik no script img

Alternativen zu fossilen EnergieträgernGaskrise den Mittelfinger zeigen

Geht doch: Ein Hotel, ein Naturkostvertrieb und eine Bäckerei zeigen, wie nachhaltiges Wirtschaften möglich ist.

Vom energiesparenden Bäcker zum Betreiber eines E-Autoladeparks: Unternehmer Roland Schüren Foto: Andreas Fechner

Berlin taz | In Uckermünde, an der Ostseelagune Stettiner Haff, steht das Hotel Haffhus. Auf den reetbedeckten Dächern der Hauptgebäude sind keine Solarpanele angebracht, auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass der Betrieb energieautark ist. Erst bei näherem Hinsehen erscheinen die glänzenden Photovoltaikanlagen auf den Dächern der unscheinbaren Nebengebäude. „Im Mai 2018 haben wir uns vom Stromnetz entkoppelt und wir sind seit vergangenem November unabhängig vom Gasnetz“, sagt Dirk Klein, der die Energiestrategie des Hotels koordiniert.

Steigende Gaspreise können dem Hotelbetrieb nichts anhaben. Viele andere Un­ter­neh­me­n aber bringen sie in Schwierigkeiten. Gas ist einer der wichtigsten Energieträger in der Industrie. Im Jahr 2020 verbrauchte der Industriesektor nach Angaben des Umweltbundesamtes 246 Terawattstunden Energie aus Gas. Damit könnte ganz Bayern über drei Jahre lang versorgt werden. Auch der Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen verfeuerte 2020 ordentlich Gas: insgesamt 102 Terawattstunden Energie.

Für das Hotel Haffhus hat sich die für die Energieselbstversorgung notwendige Investition von 1 Million Euro bereits ausgezahlt. 30 Prozent davon stammten von dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Das Geld floss in die Photovoltaikanlage, einen mit Forstabfällen betriebenen Holzhackschnitzelvergaser, einen Batteriespeicher und die Hardware für eine digitale Steuerung der Energieversorgung.

Mit­ar­bei­te­r:in­nen behalten mithilfe smarter Technologien den Überblick über die Stromproduktion, den Verbrauch und den Batteriespeicherstand. Gäste und Interessierte können sich diese Daten online auf einem Dashboard anschauen. „Die Digitalisierung ist extrem wichtig, um zu wissen, wo was benötigt und verbraucht wird und welcher Erzeuger aktiviert werden muss“, sagt der Energieverantwortliche Klein. Die Belegschaft kann auf einer App nachschauen, ob es energetisch Sinn ergibt, die Waschmaschine laufen zu lassen, weil gerade viel Strom produziert wird. Mit Blick auf die aktuelle Krisenlage sagt er: „Wenn es Richtung Winter geht, müssen wir uns keine Sorgen machen.“

Energieautarkie funktioniert nicht für alle gleich

Dem Beispiel des Hotels zu folgen, wird Unternehmen unnötig schwer gemacht, sagt Guido Körber vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). „Der Verwaltungsaufwand ist teilweise enorm“, sagt Körber. Und: Nicht jedes Unternehmen habe die Möglichkeit, Energie selbst zu gewinnen. „Wenn man einen Metallbetrieb hat, in dem größere Maschinen laufen, dann wird es schwierig, weil der Energiebedarf hoch ist.“ Das gilt erst recht für die Großindustrie – auch wenn der Wille zur CO2-Neutralität durchaus vorhanden ist. Der Chemieriese BASF etwa will bis 2050 klimaneutral werden. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die Zeit braucht. Allein das BASF-Werk in Ludwigshafen verbrauchte 2021 37 Terawattstunden Erdgas.

Weniger energieintensive und vor allem kleine Unternehmen wie das Hotel Haffhus haben es leichter. Im Bundesverband nachhaltige Wirtschaft (BNW) sind rund 500 Firmen organisiert. Das Hotel Haffhus gehört zu den Vorzeigebeispielen des Verbands für klimafreundliche Energieerzeugung. Als weiteres Vorbild gilt der Naturkostgroßhandel Kornkraft, den Sabine und Jochen Schritt seit 42 Jahren betreiben. Sie beliefern Kun­d:in­nen in Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Zum Zeitpunkt der Gründung Anfang der 80er Jahre spielte die Eigenerzeugung von Energie noch keine große Rolle, zu unausgereift waren die Möglichkeiten. Seit 1998 bezieht Kornkraft Ökostrom, heute ergänzt durch zwei Photovoltaikanlagen auf dem Dach.

Besonders ausgeklügelt ist die Kühl- und Wärmetechnologie des niedersächsischen Unternehmens. In den warmen Sommermonaten wird kühle Nachtluft von der Anlage eingesogen und in das Lager geblasen. Der Stromverbrauch ist dadurch deutlich geringer als der einer konventionellen Klimaanlage. Milchprodukte müssen zwar weiterhin mit einem herkömmlichen Kühlsystem kalt gehalten werden, davon können die Schritts aber Wärme rückgewinnen und zum Heizen nutzen.

Als Naturkosthandel besitzt Kornkraft 15 Lkw, 5 davon mit Biogas betrieben. Auch ein Rest der Heizung läuft mit Biogas. Wichtig ist den Schritts, dass das Gas aus nachhaltiger Produktion kommt. Sie kaufen ihr Biogas bei Verbio, einem Hersteller, der ausschließlich landwirtschaftliche Reststoffe wie Stroh nutzt. Das ist nicht selbstverständlich bei der Biogasherstellung. Kri­ti­ke­r:in­nen monieren, dass Land­wir­t:in­nen oft Ackerflächen extra für die Gewinnung von Biomasse monokulturell bepflanzen und dadurch wertvollen Platz für die Lebensmittelherstellung belegen.

Unabhängig heißt nicht gleich nachhaltig

Selbst wenn das nicht der Fall ist, ist diese Alternative nicht krisenfest. „Biogas funktioniert auch nur so lange, wie das Gasnetz funktioniert“, sagt Jochen Schritt. Biogas läuft durch dieselben Leitungen wie das konventionelle Gas. „Hat das Gasnetz keinen Druck mehr, können unsere Biogas-Lkw auch nicht mehr laufen“, erklärt er. Sollte Russland die Gaslieferungen weiter drosseln und der Druck im Pipelinesystem wegen zu geringer Speicherkapazitäten dramatisch abfallen, greifen Sicherheitsmechanismen, die für den Stillstand sorgen. Die alten Diesel-Lkw müssten deshalb noch mal als Reserve herhalten. Sollten die Gasheizungen ausfallen, kann Kornkraft so umstellen, dass die Energie aus den holzbetriebenen Anlagen reicht.

Diese Möglichkeit macht das Unternehmen robuster für Krisenzeiten. „Wir können theoretisch die Hälfte des Büros schließen, verlegen und in die Räume gehen, die mit Holz beheizt werden“, sagt Jochen Schritt.

Holz als Energieträger ist allerdings auch nicht unproblematisch. „Einem Wald soll nur so viel Holz entnommen werden, wie auch wieder für die nachfolgenden Generationen nachwachsen kann“, erklärt Roland Schüren, Bäckermeister aus Hilden. Schüren ist Inhaber eines großen Bäckereibetriebs, der ebenfalls vom BNW als vorbildlich eingestuft wird. Auch Schüren nutzt Holz für seine Biomassekessel, um seine Öfen anzuheizen. „Da kann alles rein. Holz, Holzpellets, Maisspindel“, sagt der Unternehmer. Holz ist zwar ein nachwachsender Rohstoff, beim Verbrennungsprozess wird jedoch das CO2 freigesetzt, das die Bäume über Jahre gebunden haben.

Die Bundeswaldinventur zeigt, dass in den Jahren 2002 bis 2012 in deutschen Wäldern mehr Holz nachgewachsen ist, als entnommen wurde. Die aktuelle Inventur der Jahre 2013 bis 2022 steht noch aus. Extremwetter und Insektenbefall könnten dafür gesorgt haben, dass die Bilanz negativ ist. Die CO2-Bilanz der Biomasseheizungen bleibt umstritten. Dennoch: Mit seinen Biomassekesseln ist Schüren im Vorteil, wenn es an Gas mangelt.

Brötchen kaufen und E-Auto aufladen

„Die Bäckerei ist die energieintensivste Handwerksbranche“, sagt Schüren. Am meisten Energie benötigt nicht der Ofen, sondern die Kühlung. Ähnlich wie Kornkraft arbeitet auch der Bäckereibetrieb mit einem fortschrittlichen Kühlsystem – allerdings mit Wasser statt mit Luft.

Im Jahr 2008 begann Schüren mit einem Energieplaner, seinen Betrieb nachhaltiger zu denken. Biomasse statt Gas, Kälte aus der Erde, Wärmerückgewinnung, Elektrofahrzeuge und Photovoltaik. Danach machte Schüren weiter: Er errichtete Europas größten Ladepark für Elektrofahrzeuge, der 2020 den Betrieb aufgenommen hat. Völlig unbeeinflusst von den aktuellen Preisentwicklungen ist sein Betrieb nicht. „Natürlich bekommen auch wir die hohen Preise zu spüren. Molkeprodukte kosten zum Beispiel deutlich mehr“, sagt Schüren. „Aber wir sind resilienter.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Woher hat eigentlich der Europäische Fonds für regionale Entwicklung die 300.000€, mit denen das Hotel unterstützt wurde?

  • Alles schön. Leuchtürme braucht man.



    Aber eine Million um 1 Hotel halbwegs autark zu machen, zeigt eigentlich, dass es sich nicht flächendeckend umsetzen lassen wird. Zumal es soviel Holzschnitzel nicht geben wird.

    • @fly:

      Geschenkt, natürlich geht das nicht von selbst.



      Aber wenn man 1970 mit dem gleichen Elan die Nachhaltigkeit gefördert hätte wie die Atomkraft, dann wären wir heute ein großes Stück weiter.



      Und weil das 1970 nicht gewollt war, dann lasst es uns heute angehen, damit man morgen vielleicht sogar auf die Holzschnitzel verzichten kann...

      • @Helmut van der Buchholz:

        1970 kostete das Heizöl auch nur 9 Pfenninge / Liter. Und man war froh, dass man die ganzen Kohleöfen gegen moderne Zentralheizungen tauschen konnte.

    • @fly:

      eine flächendeckende Umsetzung kann auch nicht Ziel sein. Das gleiche gilt auch für die Wärmepumpentechnik. Auch die kann nicht flächendeckend umgesetzt werden.



      In der Energieversorgung gibt es keine Standardlösung, da die Verbraucher zu unterschiedlich sind.



      Es geht immer darum die jeweils optimalste Lösung zu finden. Zu allererst Energieinsparen, dann Sonne und Wind vor Ort anzapfen, oder auch Wasser falls vorhanden, dann Restenergiene nutzbar machen und dann Einsatz von Strom (Wärmepumpe) oder Biomasse. Letztere beiden Energielieferanten sind immer nur als letzte Lösung zu sehen. Bei der regenerativen Nutzung ist eben andersherum zu denken. Eben nicht in der Art ich habe da eine Technik wie wärmepumpoe und Biomassekessel und damit decke ich jetzt einfach 100% meines Energiebedarfs. Das ist fossiles Denken - das ist nicht nachhaltig und nicht resilient.