Ex-Weggefährte des ukrainischen Präsidenten: Staatsbürgerschaft „beendet“
Hennadij Korban darf nicht mehr in die Ukraine einreisen. Auslöser soll ein Geheimerlass Selenskis sein, der doppelte Staatsbürgerschaften ausschließt.
Kiew taz | Erneut wird ein wichtiger Mann aus dem Umfeld früherer Weggefährten von Präsident Wolodomir Selenski ausgebremst. Dieses Mal trifft es Hennadij Korban, Chef der Territorialverteidigung der ostukrainischen Millionenstadt Dnipro. Er ist ein Vertrauter des Oligarchen Ihor Kolomojskyj und des Bürgermeisters von Dnipro, Boris Filatow. Die Territorialverteidigung untersteht dem ukrainischen Generalstab und besteht aus Reservisten und Freiwilligen.
Wirklich verwundert dürfte Korban nicht gewesen sein, als er am Freitag mit seinem Mercedes und in Begleitung seiner Anwälte von Polen in seine ukrainische Heimat einreisen wollte und ihn ein Grenzbeamter daran hinderte. Der Grund: Der Präsident hätte seine Staatsbürgerschaft „beendet“.
Zuvor machte das Gerücht die Runde, dass Präsident Selenski einen Geheimerlass herausgegeben hätte. Personen, die neben der ukrainischen Staatsbürgerschaft eine weitere besäßen, würden diese für beendet erklärt bekommen. Am 21. Juli hatte der Abgeordnete Serhiy Vlasenko auf Facebook eine angebliche Kopie solch eines Präsidentenerlasses veröffentlicht, mit dem Hennadij Korban die ukrainische Staatsbürgerschaft „beendet“ wurde.
Auf diesem Papier, das den Briefkopf des Präsidenten, nicht jedoch seine Unterschrift trägt, wird auch die ukrainische Staatsbürgerschaft weiterer Personen für „beendet“ erklärt. Darunter soll auch der Oligarch und langjährige Förderer von Selenski, Ihor Kolomoiskyj, sein.
Mehrere Spitzenbeamte wurden entlassen
Als „sehr schweren Fehler“ kritisierte auf Facebook Boris Filatow, Bürgermeister von Dnipro, die Beendigung der Staatsbürgerschaft seines Mitstreiters Korban. Die Angelegenheit könne zum Präzedenzfall für viele andere im Ausland tätigen Bürger werden.
„Was ist mit den ukrainischen Staatsbürgern, die durch den Krieg vertrieben wurden und die Staatsbürgerschaft der Länder erhalten, die sie aufgenommen haben? Dürfen sie dann auch nicht mehr nach Hause?“ fragt er. Auch der rechtliche Status hunderttausender Ukrainer, Ungarn oder Rumänen, die einen EU-Pass besitzen, sei unklar.
Das „Beenden“ der Staatsbürgerschaft stehe in einer Reihe mit Entlassungen von Spitzenbeamten, schreibt das in der Ukraine blockierte Portal strana.news. So wolle die Präsidialadministration im Sinne einer vorgeblichen „Konsolidierung des Staates im Krieg“ ihre Macht weiter festigen. Nach Angaben des Portals ukranews.com, das sich auf eine Quelle bei den Behörden beruft, besitzt Hennadij Korban auch die israelische Staatsbürgerschaft.
„Jetzt werde es wohl eng werden für Ihor Kolomoiskyj, der die Staatsbürgerschaften von Zypern und Israel besitzt“, kommentiert der Investmentbanker Serhyj Fursa auf der Website gazeta.ua die „Beendigung“ dessen Staatsbürgerschaft. Uncle Sam, also die USA, würde schon auf ihn warten.
Ohne Staatsbürgerschaft darf Kolomoiskyj ausreisen
Laut der Plattform ermittle das FBI gegen den Oligarchen Kolomoiskyj wegen Korruption. Die USA hätten ihn mit Sanktionen belegt, ein Auslieferungsgesuch sei nun nicht mehr auszuschließen. „Die ukrainische Staatsbürgerschaft schützt ihn auch nicht mehr“, schreibt Fursa.
Demgegenüber sieht das Business Information Network bin.ua auch Vorteile, die der 59-jährige Oligarch nun ohne die ukrainische Staatsbürgerschaft habe. Denn nun gelte für ihn das Gesetz nicht mehr, das männlichen ukrainischen Staatsbürgern unter 60 Jahren eine Ausreise verbietet.
Außerdem habe ein Geschäftsmann des EU-Staates Zypern gute Chancen, Großaufträge beim Wiederaufbau der Ukraine zu erhalten. Schließlich würde die Ukraine europäischen Investoren sehr gute Bedingungen bieten.
Leser*innenkommentare
Jalella
Die rechtsstaatlichen Bedingungen für einen EU Beitritt erfüllt die Ukraine offenbar nicht. Aber hey, das tun Ungarn und Polen auch nicht. Da steht uns eine tolle "Wertegemeinschaft" bevor.
Lästige Latte
@Jalella Der meisten anderen dieser "Wertegemeinschaft" erstrahlen auch nicht grade im Lichte lupenreiner Demokratien u Freiheitsrechten.-Wie oft schon gab es hier für das Inanspruch nehmen wollen solcher Rechte, heftig was auf die Rübe. Mit Gummiknüppeln, Pfefferspray u Würgegriffen?
Michi W...
Ich frage mich ja, ob man nach dem Krieg eine Ukraine wiederfindet, mit der man vielleicht gar nicht mehr befreundet sein möchte.
Lästige Latte
@Michi W... Das ist genau die Frage:
Mit wem genau kriegt man es hier zu tun?
Günter Picart
Richtet sich das Gesetz vielleicht gegen Ukrainer in den russisch besetzten Gebieten, die (mit oder ohne sozialem Druck oder Zwang) die russische Staatsbürgerschaft annehmen? Verlieren sie damit die ukrainische?
Barbara Falk
@Günter Picart Nach ukrainischem Staatsbürgerrecht verliert jemand, der freiwillig (!) die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates annimmt, die ukrainische Staatsbürgerschaft.(das ist bei uns übrigens genauso).
Die zahlreichen Ausnahmen davon sind gesetzlich geregelt. Wenn ein strittiger Fall eintritt und keine der Ausnahmen greift, ist der tatsächlichen Entzug der ukrainischen Staatsbürgerschaft nur aufgrund einer Einzelfallentscheidung des Präsidenten möglich. Eine solche Einzelfallentscheidung hat Selensky (wie es in den Jahren zuvor auch schon seine Vorgänger regelmäßig getan haben) in dem vorliegenden Fall getroffen, das ist alles.
Da bei der die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft in den besetzten Landesteilen direkter oder mittelbarer Zwang vorliegen dürfte (z.B. bekommt nur eine Rente, wer einen russischen Pass annimmt, und Kinder, diegeboren werden, erhalten automatisch eine russische Geburtsurkunde), ist die Bedingung der Freiwilligkeit nicht gegeben, es ist also nicht zu befürchten, dass es nach dem Krieg zu einer Massenausbürgerung von Menschen in den nun besetzten Gebieten kommen wird. Und es gibt auch keinen Grund zu unterstellen, dass irgend jemand das vorhätte.
Kirsten Tomsen
Und das wirft nicht irgendwelche Frage auf?
Löst keine unguten Gefühle aus?
Arne Babenhauserheide
@Kirsten Tomsen Hat die Taz einen nicht gerade unkritischen Artikel dazu veröffentlicht oder nicht?
Kartöfellchen
@Kirsten Tomsen Es löst sie aus. Auch, dass Selensky 2021 zwei Sender der pro-russischen Oppositionspartei verboten hat. Und dass ein Sprachgesetzt beschlossen wurde, das laut FAZ "Das russsische Abwürgen" soll.
Dass Bandera-Verehrung (der moralisch vergleichbar mit einem SS-General ist) nicht nur eine Marotte eines alten Mannes namens Melnyk ist (u.a. wurde nach dem Maidan der Moskau-Prospekt in Bandera-Prospekt umbenannt). Und auch, dass rechtsextreme Bataillone einfach in die Nationalgarde eingegliedert werden, die eigentlich laut Minsker Abkommen aufgelöst hätten werden müssen.
So sehr ich die Ukrainer bewundere und mich freuen würde, wenn sie in die EU kämen und endlich sicher wären.
Es gibt da so Dinge, die mir zu denken geben....
Bürger L.
@Kirsten Tomsen Nein, in derveröffentlichten Meinung ist Herr Selenski "der Gute" - der darf das.
Ria Sauter
Gast
@Kirsten Tomsen Bei mir schon. Ob bei weiteren ist ungewiss.
Taztui
@Kirsten Tomsen Nein, der Kampf gegen Russland hat gerade erst begonnen. Schon so mancher lupenreiner Demokrat war am Ende gar keiner.
Amandas
@Kirsten Tomsen Doch, natürlich. Fragen gar nicht so sehr, aber Sorge und sehr ungute Gefühle. Wundern tut es mich (ohne jetzt genau zu wissen, was dahinter steck) allerdings überhaupt nicht. Krieg ist kein guter Nährboden für Demokratie und Pluralismus.