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Aufbruch, Angst und MutWir zählen auf Sie

Es ist Abi-Reden-Saison. Unser Autor war dieses Jahr indirekt betroffen. Was sagt man jungen Menschen, die jetzt ein Leben in der Klimakrise aufbauen?

Also raus aus der Schule und ran ins echte Leben! Foto: Alberto Ruiz/dpa

W enn ich Sie heute hier vor mir sehe, kommt es mir vor, als hätten Sie alle einen Oscar gewonnen: die Herren zum ersten Mal im Anzug, die Damen in unglaublichen Kleidern, die LehrerInnen unfassbar kumpelig. Und sicherlich fühlen Sie sich zu Recht auch genau so, als hätten Sie eine große Trophäe gewonnen: Die Arbeit hat sich gelohnt, 13 Jahre Schule – oder mehr – liegen hinter Ihnen. Und da draußen wartet das Leben auf Sie.

Und genau deshalb wollte ich Ihnen kurz ein paar ungebetene Ideen mitgeben. Blicken wir kurz zurück: Als Sie eingeschult wurden, die meisten im Jahr 2009, scheiterte gerade mit großem Krawall die Klimakonferenz in Kopenhagen. Das war nicht Ihre Schuld, aber es hat was mit Ihnen zu tun. Damals stand die CO2-Konzentration in der Atmosphäre noch bei etwa 390 ppm (fragen Sie den zauberhaften Physik-Nerd mit der roten Mütze neben sich nach Details), heute sind wir bei etwa 420.

Während Sie damit beschäftigt waren, Mathe und Französisch zu lernen, haben wir Eltern hunderte von Tier- und Pflanzenarten ausgerottet, riesige Flächen von Naturschätzen verwüstet und mit Plastikflaschen alles zwischen Südsee und Arktis vermüllt. Sie haben darüber sicher mal ein Referat gehalten.

Nun stehen wir da, wo wir stehen. Und Sie gehen voller Vorfreude in eine Zukunft, die entscheidend für uns alle wird. Wenn Sie in 30 Jahren stolz bei der Abiturfeier Ihrer ersten Tochter in der Schule erscheinen, ist diese Welt eine andere. Entweder Deutschland und Europa stoßen 2052 kein einziges Molekül Kohlendioxid mehr aus oder wir (und Sie) haben diese Schlacht verloren. Dann sind Sie (viele von uns heute stolzen Eltern fungieren dann schon als Kohlenstoffsenken) echt im Schlamassel. Das kann man Ihnen nicht wünschen.

Nicht alles ist beherrschbar

Wer gibt Ihnen solche Ratschläge? Ein Abiturient des Jahrgangs 1984. Wir hatten Orwells Buch gelesen, konnten uns aber nicht vorstellen, wie recht er haben würde: Dass seine Slogans „Freiheit ist Sklaverei“, „Friede ist Krieg“ und „Unwissenheit ist Stärke“ heute in so vielen Gegenden offizielles Regierungsprogramm sind. Und dass der Große Bruder von uns freiwillig mit so vielen persönlichen Daten gefüttert wird, dass es 1984 als Horrorszenario galt.

Ich will Ihnen keine Angst machen, eher Mut zum Kämpfen. Sie werden Bio oder Chemie studieren und neue technische Lösungen für die Klima- und die Artenkrise erfinden, Sie werden als Juristin bessere Gesetze machen und als Ökonom endlich eine Wirtschaft, die uns nicht ruiniert. Nehmen Sie Ihre Arbeit ernst.

Die Coronapandemie hat Sie besonders getroffen. Aber auch gezeigt: In natürlichen Kreisläufen herumzupfuschen kann böse Folgen haben. Nicht alles ist beherrschbar, was aus dem Wald kommt. Und systemrelevant sind auch und vor allem Menschen, die nicht auf die Uni gegangen sind: Krankenpfleger, BusfahrerInnen, Reinigungskräfte – die Leute, die Ihnen mit ihren Steuern nun das Studium finanzieren werden. Denken Sie daran, wenn Sie sich mit einem gutdotierten Job über zu hohe Steuern und soziale Umverteilung aufregen.

Also raus aus der Schule und ran ans echte Leben! Ihre Generation hat gezeigt, dass die Welt sich manchmal am besten verändern lässt, wenn man am Freitag nicht zur Schule geht. Da müssen sie unbedingt weitermachen. Wir zählen auf Sie. Retten Sie Ihre Welt. Und hören Sie dabei nicht allzu sehr auf die Ratschläge Ihrer Eltern.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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8 Kommentare

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  • Danke. Gut auf den Punkt gebracht. Hat mich nicht ganz so bewegt, wie die Rede, die David Forster Wallace 2005 vor College-Absolventen hielt ("This is Water", KiWi-Verlag), dafür habe ich hier mehr lachen können - zynisches Lachen natürlich ...

  • 'Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir', das sagte uns schon mein Lateinlehrer. Aber wäre es nicht wirklich zu prüfen, ob die Schule uns für 'das Leben' zum Beispiel in der Klimakastrophe vorbereitet ? ich bezweifle das, sonst wären wir nicht so in dieser Verdrängungsgesellschaft gefangen und hätten längst auch Antworten für die jungen Leute, die freitags den Unterricht verweigern oder zumindest den Grund für die Fragestellung in unserem Lebenswandel berücksichtigt. Jetzt haben 'wir' so viele Krisen gleichzeitig, dass wir gar nicht mehr dazu kommen, eine Reihenfolge in ihrer Bewältigung aufzustellen, wie es die erste Seite der taz heute so eindrücklich darstellt. Vielleicht sollten wir einmal eine Zukunfts-taz erstellen und im Nachdenken darüber feststellen, wie wir trotz so vieler wissenschaftlich erbrachter 'Fortschritte' immer wieder feststellen müssen: Es reicht nicht, die Armut zu überwinden. Das uns fesselnde System passt nicht zu den Erkenntnissen, die uns eigentlich dazu bringen müssen, uns den Zukunftsfragen, dem Weiterleben für die junge Generationen eindringlicher zu widmen und sie nicht Fortschrittspredigern von zweifelhaften Ruf (auch wenn Robert sich noch so viel anstrengt, es bleibt ein Schauspiel) überlassen dürfen.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Hoffe mal ein paar werden auch als Handwerker arbeiten, Studierte haben wir genug.

    Was fehlt sind Leute die Wärmepumpen einbauen. Da braucht man nicht mal Französisch.

    • @49732 (Profil gelöscht):

      "Studierte haben wir genug."



      Ist das so? Wo sind dann die Massen an arbeitslosen Akademiker*innen? Der Mangel im Handwerk ist, wie in anderen Bereichen auch, primär ein Resultat davon, dass die Zahl der Arbeitsplätze in den letzten Jahren gestiegen ist, sich aber gleichzeitig der demographische Wandel bemerkbar macht und mehr Menschen in den Ruhestand wechseln als von den Schulen abgehen. Auch sind viele Jobs zunehmend anspruchsvoller geworden. Die Idee der Bologna-Reformen ein System zu schaffen, dass mit dem Bachelor einen schnellen Pfad in die Wirtschaft und mit dem Master einen längeren in die akademische Karriere eröffnet hat sich entsprechend in vielen Bereichen auch nicht erfüllt.

  • JA, so ist es.



    Aber.



    Es ist zu einfach, zu sagen, wir zählen auf diese Generation. Bis die irgendwelche Entscheidungen treffen können, sind weitere 10 Jahre ins Land gegangen. Und dann mal sehen, ob die Entscheidungen noch rein wissenschaftliche Grundlagen haben. Die 30jährigen kämpfen dann auch um den KitaPlatz, den Wohnungsputz etc. Soll man sagen, hoffentlich? Dann wäre nämlich die Klimakatastrophe noch nicht katastrophal.



    Aber.



    Die Abi Feier ist schon Teil des Problems.



    Gab es 1984 schon Abi Feier mit Gastredner, Herausputzen und Festessen? Das ist, selbst wenn der Gastredner mit dem Zug angereist ist, alles nicht wirklich klimaneutral. Sprich, dass ist eine CO2 Quelle, die es früher nicht gab. Alle diese, heute als normal empfundenen, Verhaltensweisen und Bräuche müssen auf den Prüfstand, auch die der jungen Leute.

    • @fly:

      Och... meine Abifeier war 1995, und bei uns im Schulhof hatte sich eine Abifeier 1983 mit Statue verewigt gehabt.

      Also ja, die gab es schon damals und lange zuvor!

      • @Herbert Eisenbeiß:

        Sorry, zwischen dem, was heute abläuft, und dem war damals war, liegen Welten, so mein Eindruck.

        Zur Abi-Feier gehört nicht nur die feierliche Ausgabe der Zeugnisse, sondern ein Abi-Ball.

        Organisiert durch ein Event-Management.

        Die Karte kostet 85 € pro Person.

        Die Jungs recyceln vielleicht noch ihren Konfirmationsanzug, für die Mädchen muss es aber ein Abi-Kleid sein.

        Die Brautmodengeschäfte sind voll von Abiturientinnen mit Anhang.

        Diese Abifeiern in Form von Bällen sind definitiv Teil mehrerer Probleme.

        Klima, soziale Schere, sinnloser Konsum, ...

        • @rero:

          Abiball mit Rausputzen gabs auch schon damals, nur war er günstiger weil einfach alles günstiger war. Organisiert haben wir ihn selber.