Debatte um Übergewinnsteuer: Freie Fahrt für Ölkonzerne
Immer mehr Politiker:innen von SPD und Grünen fordern eine Extrasteuer auf Krisengewinne, wie es sie in Italien und Großbritannnien gibt. Doch die FDP mauert.
D ie Spritpreise steigen weiter. Am Mittwoch veröffentlichte der ADAC seine neue Wochenstatistik; seit der Senkung der Kraftstoffsteuer kletterten die Preise an den Tankstellen demnach Tag für Tag. Pro Liter Super zahlen die Mineralölkonzerne seit Anfang Juni 35 Cent weniger Steuern, bei den Kunden kommen davon inzwischen aber nur noch 20 Cent an. Der gleichzeitige Anstieg der Rohölpreise erklärt den Trend laut ADAC „nur bedingt“.
Unwahrscheinlich also, dass innerhalb der Ampel-Koalition die Debatte über eine Übergewinnsteuer für die Ölkonzerne schnell endet. Finanzminister Christian Lindner würde sie gerne abwürgen und hat erst am Dienstag wieder klargemacht, dass die Steuer mit der FDP nicht zu machen sei. Für die Befürworter*innen bei SPD und Grünen ist die Sache damit allerdings nicht erledigt. „Gerade jemand, der die Schuldenbremse nicht antasten möchte, sollte in der Frage nicht aus ideologischen Gründen dichtmachen“, sagte der EU-Abgeordnete Rasmus Andresen am Mittwoch der taz.
Ein einheitliches Konzept für die Forderung nach der Übergewinnsteuer gibt es noch nicht, dafür aber den häufigen Verweis auf das Beispiel Italien. 25 Prozent zusätzliche Steuern zahlen Energieunternehmen dort auf alles, was sie innerhalb von sieben Monaten mehr eingenommen haben als in der vorangegangenen Zeit. Die italienische Regierung rechnet mit rund elf Milliarden Euro zusätzlicher Einnahmen, die in Entlastungspakete fließen sollen.
Am 30. Juni müssen Italiens Energieunternehmen die erste Rate der Übergewinnsteuer von 25 Prozent überweisen, die die Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi beschlossen hat. 4,3 Milliarden Euro sollen so in die staatlichen Kassen fließen. Die zweite, am 30. November fällige Rate soll weitere 6,5 Milliarden einbringen.
Auf diese Weise soll das Maßnahmenpaket gegenfinanziert werden, das Verbraucher*innen entlastet. So wurde die bisher in der Stromrechnung enthaltene Abgabe auf erneuerbare Energien ausgesetzt, zudem die Steuern auf Benzin und Diesel um gut 30 Cent pro Liter gesenkt. Alle Menschen mit einem Jahreseinkommen unter 35.000 Euro sollen in den nächsten Wochen einen Energiebonus von 200 Euro ausgezahlt bekommen, um die massiv gestiegenen Kosten für Strom und Gas abzufedern. Allein letztere Maßnahme wird etwa 6,5 Milliarden Euro kosten.
Dabei operiert die Regierung mit einer einfachen Faustformel: Sie schaut, was im Zeitraum 1. Oktober 2021 bis 30. April 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an zusätzlichen Milliarden auf den Konten der Energieerzeuger und -händler hängen geblieben ist. Es zählt allein die Differenz zwischen getätigten Ausgaben und erzielten Einnahmen.
In der Berliner Koalition waren Forderungen nach einer Übergewinnsteuer seit Längerem zumindest vereinzelt zu hören. Auf dem Kleinen Parteitag der Grünen Ende April ging ein entsprechender Antrag zwar noch nicht durch, Parteichefin Ricarda Lang schloss sich der Forderung aber schon damals an. Auch Vizekanzler Robert Habeck zeigte sich offen. Zuletzt mehrten sich entsprechende Forderungen aus der Partei dann, am Mittwoch legte auch Habeck nach. „Ich finde es richtig, nicht jeden Gewinn zu akzeptieren“, sagte er im Interview mit RTL.
Dass das Thema in der Partei mehr und mehr Unterstützung findet, ist nicht zuletzt eine Reaktion auf den unter Grünen unbeliebten Tankrabatt und die weiter steigenden Preise. Die Übergewinnsteuer erscheint da als Frage der Gerechtigkeit. Eine Rolle spielt aber auch, dass andere Staaten mittlerweile vormachen, wie es gehen könnte – neben Italien unter anderem Großbritannien. Aus Grünen-Kreisen ist zu hören, das man aktuell an eigenen konkreten Konzepten arbeitet.
In Großbritannien gibt es seit Ende Mai eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne. Die Energieprofitabgabe (Energy Profit Levy) beträgt 25 Prozent und wird zusätzlich zu bestehenden Steuern erhoben. Nach dem Modell, das Finanzminister Rishi Sunak am 26. Mai im Parlament vorstellte, unterliegen ihr alle Profite ab sofort für zunächst zwölf Monate. Sie kann aber bis Ende 2025 weiterlaufen.
Hintergrund der Maßnahme sind Rekordprofite der britischen Energieunternehmen. In Großbritannien gibt es einen gesetzlichen Energiepreisdeckel, den die Regulierungsbehörde Ofgem alle sechs Monate neu festlegt. Als er am 1. Januar 2019 eingeführt wurde, betrug er 1.137 Pfund pro Haushalt und Jahr – damals 1.265 Euro. Am 1. Oktober 2021 stieg er auf 1.277 Pfund, am 1. April dieses Jahres sogar auf 1.971 Pfund (2.303 Euro). Das können sich viele nicht leisten. Politisches Gegensteuern soll die neue Abgabe ermöglichen. Ihre Erlöse sollen in einen Fonds von 15 Milliarden Pfund fließen, der alle Haushalte mit einer einmaligen Energiebeihilfe von bis zu 400 Pfund im Jahr unterstützt, mit zusätzlichen Beihilfen für Arme, Rentner und Behinderte. Der Fonds wird ansonsten durch Kreditaufnahme gefüllt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Großbritannien eine befristete „Windfall Tax“ auf Superprofite einführt. Schon Margaret Thatcher besteuerte damit in Zeiten sehr hoher Zinsen Bankengewinne. Die Labour-Regierung von Tony Blair führte nach ihrem Amtsantritt 1997 eine Sondersteuer auf privatisierte Staatsbetriebe ein.
Die SPD-Minister halten sich vorerst zurück
In der SPD kritisierte zuletzt Lars Klingbeil, sonst ein Freund moderater Töne, dass die Mineralölkonzerne „in der Krise die Taschen noch voller machen“. Deshalb müsse man mit einer Übergewinnsteuer extreme Krisengewinne abschöpfen. Offenbar will Klingbeil die Partei wieder als eigenständige Stimme hörbar machen.
Von den SPD-Ministern hört man zu dem Thema dagegen bislang nichts. Auch in der Bundestagsfraktion ist es in Sachen Übergewinnsteuer eher ruhig – vielleicht auch, weil viele im Urlaub sind. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch erklärte Ende letzter Woche, wir müssten uns fragen, „ob bestimmte Gewinne nicht sittenwidrig sind“. Daher müsse die Politik auch über Modelle nachdenken, wie man Krisengewinne abschöpfen kann. Das klang nach viel Konjunktiv und „man müsste mal“ – und nicht nach dem Kampfesmut, den man für den Streit mit FDP-Finanzminister Christian Lindner braucht.
Dabei sind die Fakten eindeutig: Die fünf größten Mineralölkonzerne haben von Januar bis März 30 Milliarden Euro verdient, doppelt so viel wie im ersten Quartal 2021. Die Initiative für eine neue Steuer geht in der SPD derzeit von der Partei aus – und von den Ländern.
So hält Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies die Preispolitik der Mineralölkonzerne für „schlicht unanständig und unmoralisch“. Das Kartellamt müsse mehr tun. Falls dort weiter nichts passiere, so Liess, „muss die Übergewinnsteuer kommen, wie sie Italien und Großbritannien bereits eingeführt haben.“
Am Freitag im Bundesrat
Den Schritt von der Kritik zur praktischen Anwendung will das rot-rot-grün regierte Bremen gehen. Bremen will am Freitag eine Initiative für die Übergewinnsteuer in den Bundesrat einbringen. Bremens SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte sagte der SPD-Zeitung vorwärts, dass es nicht richtig sei, wenn die Politik mit Entlastungspaketen die Inflation abfedere und sich gleichzeitig „einige Unternehmen allein aufgrund der kriegsbedingten Preissteigerungen die Taschen voll machen“.
Aber der Bundesfinanzminister und die FDP lehnen die Übergewinnsteuer eben rigoros ab. Am Dienstagabend verliert Christian Lindner, bei dem sonst jedes Wort und jede Handbewegung sitzt, für einen kurzen Moment die Kontrolle. Der Bundesfinanzminister ist zu Gast bei Maischberger und soll sich erklären: War der von der FDP durchgesetzte Tankrabatt ein Geschenk für die Mineralölkonzerne? Und überhaupt: Braucht es nun eine Übergewinnsteuer?
Lindner lacht etwas hysterisch, nachdem er den etwas bescheidenen Witz gemacht hat, dass die FDP ja leider die absolute Mehrheit bei der Bundestagswahl verloren hat. Sonst hätte er den jetzt so kritisierten Tankrabatt so umgesetzt, dass mehr Transparenz da gewesen wäre beim Einkaufs- und Verkaufspreis des Benzins, behauptet er. Aber das wollten laut Lindner die Grünen nicht.
Skeptisch aus Tradition
Es ist einer der wenigen Momente, in denen Lindners Anspannung zutage tritt. In der Ampel läuft es nicht gut und für die Liberalen erst recht nicht. Drei Landtagswahlen infolge hat die Partei versemmelt. In der Diskussion um die Übergewinnsteuer sieht er offenbar eine wichtige Profilierungsfrage: Auf Steuererhöungen reagieren die Liberalen traditionell allergisch. In den Koalitionsverhandlungen hatten sie durchgesetzt, dass es keine geben soll.
Eine „willkürliche Steuererhöhung“ für eine einzelne Branche, fürchtet Lindner, könne dazu führen, dass die Preise an der Zapfsäule noch weiter steigen. Schließlich ginge es ja um eine Weltmarktentwicklung und Deutschland habe keine eigenen Ölquellen. Zudem sieht er mit einer solchen Steuer die Rechtssicherheit des deutschen Steuerrechts in Gefahr. Das Kartellamt müsse dafür sorgen, dass es keine illegalen Preisabsprachen gibt. Dazu, dass andere Länder es eine solche Steuer bereits umgesetzt haben, verliert er kein Wort.
Nach Einschätzung der FDP-Abgeordneten Ria Schröder herrscht bei dem Thema innerhalb der Fraktion Einigkeit. Sie selbst hält diese Steuer für „volkswirtschaftlich mindestens fragwürdig.“ Es sei allein interpretationsbedürftig, „was Gewinn und was Übergewinn ist.“ Zudem sieht sie viel zu viel Raum für Willkür. „Sollen Biontech, die LNG-Produzenten oder Windkraftanlagen darunter fallen oder nur die Branchen, die in der Gesellschaft einen schlechten Ruf haben, wie Mineralölkonzerne?“ fragt sie. Auch sie hält daran fest: Keine Steuererhöhungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen